Original oder Fälschung?
Gefälschte Arzneien waren vor allem in Entwicklungsländern ein Problem. Doch jetzt schlagen auch die Schweizer Medikamentenwächter Alarm.
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K-Tipp 4/2004
25.02.2004
Bernhard Matuschak - redaktion@ktipp.ch
Premiere in der Schweiz: Schweizer Zollbeamte konfiszierten vor gut einem Jahr eine Sendung mit 22 000 Viagra-Tabletten. Grund: Die Potenzpillen waren nicht ordnungsgemäss in Faltschachteln, sondern in Durchdrückpackungen - so genannte Blister - abgefüllt. Die Grenzer hatten den Verdacht, dass es sich um gefälschte Ware handelte.
Empfänger der Sendung im Wert von fast einer halben Million Franken war ein Pharma-Grossist in Liestal BL, der wiederum deutsche Apotheken beliefert...
Premiere in der Schweiz: Schweizer Zollbeamte konfiszierten vor gut einem Jahr eine Sendung mit 22 000 Viagra-Tabletten. Grund: Die Potenzpillen waren nicht ordnungsgemäss in Faltschachteln, sondern in Durchdrückpackungen - so genannte Blister - abgefüllt. Die Grenzer hatten den Verdacht, dass es sich um gefälschte Ware handelte.
Empfänger der Sendung im Wert von fast einer halben Million Franken war ein Pharma-Grossist in Liestal BL, der wiederum deutsche Apotheken belieferte. Das alarmierte Heilmittelinstitut Swissmedic liess die Tabletten untersuchen. Ergebnis: Die Zöllner hatten sich nicht geirrt. «Die Fälschungen waren nahezu perfekt und vom Originalpräparat nur schwer und nur mit modernster Analysetechnik zu unterscheiden», sagt Swissmedic-Direktionsmitglied Paul J. Dietschy.
Kontrollmechanismen fallen weg
Die Risiken für die Patienten sind nicht zu unterschätzen. Denn niemand kann auf den ersten Blick erkennen, wie die Medikamente gelagert wurden, welche Wirkstoffe sie enthalten, ob diese noch wirksam sind oder ob Pillen beim Verpacken mit einem Lösungsmittel verunreinigt wurden. Swissmedic warnt deshalb auch eindringlich vor dem Medikamentenkauf im Internet, bei dem alle Kontrollmechanismen ausser Kraft gesetzt seien.
Der Viagra-Fall zeigt: Auch wenn die Tabletten letztlich nicht für den heimischen Markt bestimmt waren und hierzulande - im Gegensatz zum Ausland - keine Todesfälle durch die Einnahme gefälschter Mittel aktenkundig sind (siehe Kasten), sieht Swissmedic Gefahren - trotz hoch entwickelter Sicherheitssysteme: «Bislang waren derartige Fälle vor allem aus Drittweltländern bekannt. Für Europa ist das eine neue Erfahrung», sagt Dietschy. Und der Präsident des Schweizerischen Apothekerverbandes, Dominique Jordan, ergänzt: «Die Kontrolle funktioniert in der Schweiz gut, und im Prinzip sollten keine gefälschten Medikamente in Apotheken gelangen.»
Doch ausschliessen möchte Jordan dies nicht: «Das Risiko liegt unter einem Prozent.» Immerhin: Bei rund 5 Milliarden Franken, die in der Schweiz pro Jahr für Medikamente ausgegeben werden, geht es um Arzneien im Wert von bis zu 50 Millionen Franken.
Swissmedic setzt Task-Force ein Wie ernst Swissmedic den Fall nimmt, zeigt ein Schreiben von Ende 2003, das sich an Medizinalfachleute richtet. Darin stuft die Behörde das Problem in die «Hochrisikoklasse» ein. Die Schweiz ist damit das erste europäische Land mit dieser Einstufung. Eine neue Task- Force soll nun verhindern, dass gefälschte Medikamente in offizielle Schweizer Verkaufskanäle gelangen. Zudem regt Swissmedic die Gründung einer Arbeitsgruppe im Europarat an, die sich mit gefälschten Arzneien befasst.
Skrupellose Medikamentenhändler spielen mit Menschenleben
Die Anzahl gefälschter Medikamente nimmt stark zu. Der Gewinn aus solchen Verkäufen wird auf 32 Milliarden Dollar pro Jahr geschätzt.
Die Weltgesundheitsbehörde WHO vertritt die Ansicht, dass 10 Prozent aller weltweit gehandelten Medikamente gefälscht sind. In Entwicklungsländern liegt der Anteil jedoch wesentlich höher. Eine WHO-Studie in sieben afrikanischen Ländern ergab, dass die Fälschungsrate bei teureren Malariamitteln bis zu 90 Prozent beträgt. Und 200 000 der insgesamt eine Million Malaria-Todesopfer gehen auf das Konto gefälschter und unwirksamer Medikamente.
Doch auch in westlichen Industrienationen wird das Problem drängender. Der US-Pharmakonzern Glaxo SmithKline stiess im Jahr 2002 auf verdächtige Originalflaschen seines Medikaments Combivir. Doch diese, so stellten Mitarbeiter der Firma fest, enthielten ein anderes Medikament - Ziagen. Beide HIV-Medikamente werden jeweils in Kombination mit anderen Präparaten einge- setzt. Ein falsch zusammengesetzter Medikamenten-Mix kann für gewisse Patienten lebensgefährliche Auswirkungen haben.