Politik im Raucherabteil
Zigarettenwerbung hat keinen Einfluss auf die Raucherzahlen. Das behauptet die Tabaklobby - obwohl heute rund 40 Prozent der Jugendlichen qualmen.
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K-Tipp 7/2003
09.04.2003
Gery Schwager - gschwager@ktipp.ch
Die Forderung, die das US-Justizministerium in einer Mitte März eingereichten Klage aufgestellt hat, ist gigantisch: 289 Milliarden Dollar soll die Tabakindustrie zugunsten der staatlichen Krankenversicherungen lockermachen. Begründung: In den letzten 50 Jahren hätten rund 30 Millionen Minderjährige in den USA zu rauchen begonnen - meist verführt durch Marketingkampagnen.
Wegen vergleichbarer Befunde in Europa haben die EU-Gesundheitsminister vor kurzem beschlossen, das fürs...
Die Forderung, die das US-Justizministerium in einer Mitte März eingereichten Klage aufgestellt hat, ist gigantisch: 289 Milliarden Dollar soll die Tabakindustrie zugunsten der staatlichen Krankenversicherungen lockermachen. Begründung: In den letzten 50 Jahren hätten rund 30 Millionen Minderjährige in den USA zu rauchen begonnen - meist verführt durch Marketingkampagnen.
Wegen vergleichbarer Befunde in Europa haben die EU-Gesundheitsminister vor kurzem beschlossen, das fürs Fernsehen bereits geltende Zigaretten-Werbeverbot ab Juli 2005 auf Presse, Radio, Internet und Grossveranstaltungen auszudehnen. Sie ziehen damit am gleichen Strick wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO), deren Anti-Tabak-Konvention im Mai verabschiedet werden soll.
Und was läuft in der Schweiz? Hier geben die Gegner den Ton an. Unter der Federführung des Verbands Schweizer Werbung (SW) haben sie sich in der Allianz gegen Werbeverbote zusammengeschlossen.
Die Zigarettenkonzerne selber bleiben im Hintergrund. Sie lassen sich über die Schweizerische Vereinigung der Tabakindustrie (CISC) vertreten. Und diese hat laut Sprecher Yves Romanens in der Allianz bloss Beobachterstatus. Romanens räumt aber ein, dass die CISC «absolut bereit» wäre, sich an den Kosten der Allianz zu beteiligen.
Mehr muss sie auch nicht tun, glaubt Jürg Hurter, Präsident der Stiftung für rauchfreie Luft «pro aere» und Mitglied der Eidgenössischen Kommission für Tabakprävention. Den Rest würden andere erledigen: «Der Tabakindustrie ist es mit viel Geld gelungen, ein gehorsam-braves Knechte-Netzwerk aus Werbern, Gewerbe- und Wirteverband, Politikern und Bauern zu bilden.»
Und so ziehen die «Knechte» gegen jede Bestrebung, das bereits für Radio und TV geltende Tabak-Werbeverbot auf weitere Bereiche auszudehnen, lautstark zu Felde. Speziell stört sie das Vorgehen des Kantons Genf, der vor knapp drei Jahren Plakatwerbung für Tabak und Alkohol untersagte.
Das Genfer Beispiel hat nämlich Politiker in rund einem Dutzend weiterer Kantone zu Vorstössen inspiriert. Diese gelte es unbedingt zu bodigen, predigt die Allianz gegen Werbeverbote. Sie will jetzt möglichst viele Parlamentsmitglieder argumentativ bearbeiten.
«Wir stehen für die Kommunikationsfreiheit ein, weil sie schützenswertes Rechtsgut in einer freien Marktwirtschaft ist», sagt SW-Sprecher Piero Schäfer. In der Sache allerdings argumentiert die Allianz wesentlich handgestrickter. Ihre zentrale Behauptung lautet nämlich: «Werbung schafft keine Raucher.» Sie habe vielmehr den Zweck, Marken zu positionieren und Marktanteile zu sichern.
«Das ist ein Lüge und die Leute für dumm verkauft», ärgert sich Jürg Hurter. Raucher seien erwiesenermassen überaus markentreu. Die Arbeitsgemeinschaft Tabakprävention Schweiz bestätigt das: «Innerhalb eines Jahres wechseln nur 13 Prozent der Rauchenden die Zigarettenmarke, zudem öfters zu einer Marke des gleichen Produzenten. Wozu also die grosse Werbetrommel rühren?»
«Um ein positives Umfeld fürs Rauchen zu schaffen», ist Hurter überzeugt. «Tabakwerbung verbindet Rauchen mit billigen Illusionen von Freiheit, Abenteuer und Erfolg.» Sie spreche die Jungen gezielt an. Die Rauchertoten müssen ja durch Neueinsteiger ersetzt werden. Tatsächlich greifen heute rund 40 Prozent der 15- bis 19-Jährigen in der Schweiz zur Zigarette; 1992 waren es erst 23 Prozent. Das hat offenbar auch im Bundesamt für Gesundheit (BAG) zu denken gegeben. Letzten Dezember kündigte dessen Direktor Thomas Zeltner an, bis 2004 eine Gesetzesänderung vorzubereiten mit dem Ziel, Tabakwerbung stärker einzuschränken.
Doch jetzt tönts bereits wieder unverbindlich: «Ein Terminplan für die Gesetzesrevision liegt noch nicht vor», so das BAG zum K-Tipp. Für Hurter passt das ins Bild: «Das BAG und sein Direktor geizen nicht mit markigen Worten, lassen aber kaum je Taten folgen.» Das gelte auch beim Passivraucherschutz, mit dem man leicht sehr viel erreichen könnte.
Dazu das BAG: «Wegen mangelnder gesetzlicher Grundlagen kann der Bund heute keine weiteren Massnahmen zum Schutz vor dem Passivrauchen anordnen.»
Die Tabaklobby hat offenbar ganze Arbeit geleistet.
www.ktipp.ch
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