SBB lassen Velofahrer auf dem Perron stehen
Inhalt
K-Tipp 4/2002
20.02.2002
Expo.02: Intercity-Neigezüge bieten zu wenig Platz für Velos, Kinderwagen und sperriges Gepäck
Das eigene Velo an die Expo mitnehmen - das ist in den Intercity-Neigezügen aus Platzgründen nicht erlaubt. Mehr Stauraum wollen die SBB auch in den neuen Intercity-Neigezügen nicht bieten.
Rolf Muntwyler rom@ktipp.ch
Bahnhof Grenchen, am späten Sonntagnachmittag. Der Perron ist voll mit erschöpften Ausflüglern. Ein grauer, eleganter Zug fährt ein ...
Expo.02: Intercity-Neigezüge bieten zu wenig Platz für Velos, Kinderwagen und sperriges Gepäck
Das eigene Velo an die Expo mitnehmen - das ist in den Intercity-Neigezügen aus Platzgründen nicht erlaubt. Mehr Stauraum wollen die SBB auch in den neuen Intercity-Neigezügen nicht bieten.
Rolf Muntwyler rom@ktipp.ch
Bahnhof Grenchen, am späten Sonntagnachmittag. Der Perron ist voll mit erschöpften Ausflüglern. Ein grauer, eleganter Zug fährt ein und die Passagiere drängen zu den Türen. Einige haben ihre Velos dabei. Verzweifelt suchen sie die Wagen nach freien Velohaken ab. Vergeblich. Alle Haken sind besetzt. Der Zug fährt ohne die Velofahrer weiter.
So schildert Christoph Merkli, Geschäftsführer der Interessengemeinschaft (IG) Velo Schweiz, das chaotische Ende eines Ausflugswochenendes.
Grund für den Ärger ist die geringe Zahl von Velohaken, die in den Neigezügen zur Verfügung stehen: Pro Zug können nur zwölf Fahrräder transportiert werden.
Prekär dürfte die Situation während der Expo werden: Dann verbieten die SBB den Selbstverlad von Velos auf ihren Intercity-Neigezügen (ICN) vollständig. Betroffen sind also ausgerechnet jene Züge, die als offizielle Expo-Botschafter unterwegs sind.
Gerade die Jurasüdfusslinie Zürich - Olten - Solothurn - Biel, eine der wichtigsten Expo-Zubringerachsen, ist bei Veloausflüglern besonders beliebt. Auf ihr verkehren die Neigezüge stündlich.
«Da kann es vorkommen, dass an einem schönen Wochenende dreissig bis vierzig Ausflügler mit ihren Velos in denselben Zug steigen möchten», sagt Merkli. «Die Plattform ist schon mit Gepäckstücken, Kinderwagen oder mit der Railbar verstellt, wenn man mit dem Velo zusteigen will.» Auch anderen Reisenden fehlt es an Ablageflächen.
Immerhin gibt es während der Expo Ausweichmöglichkeiten für den Velo-Selbstverlad: Die ICN fahren stündlich, dazwischen verkehren geräumigere Kompositionen. In diesen sind Velos erlaubt. Zudem stehen an Expo-Bahnhöfen und -Eingängen hunderte von Mietvelos bereit.
Verbände wie die IG Velo und die Stiftung Veloland Schweiz haben den Entscheid der SBB akzeptiert, weil nur so ein Chaos verhindert werden kann.
Hans-Kaspar Schiesser vom Verband öffentlicher Verkehr (VöV) befürchtet aber, dass der Selbstverlad von Velos auf der Strecke Zürich-Biel auch nach der Expo untersagt bleiben könnte. «Das wäre ein herber Verlust für den Ausflugsverkehr.» Doch SBB-Sprecher Kormann beschwichtigt: «Dieses Szenario haben wir nicht vorgesehen.»
Aber trotz der offensichtlichen Raumprobleme haben die SBB zwanzig weitere Neigezüge der gleichen Bauart bestellt, die sie ebenfalls auf der bei Velofahrern so beliebten Jurasüdfusslinie einsetzen wollen. Ab 2005 verkehren möglicherweise nur noch ICN auf dieser Strecke.
Die SBB sind sich bewusst, dass sich ICN nur beschränkt für den Velo-Selbstverlad eignen. Denn die Pünktlichkeit der Züge leidet, wenn Fahrgäste mit ihrem Gepäck nicht zügig einsteigen können. «Mit dem Einsatz der neu bestellten ICN könnte sich das Problem verschärfen», gibt SBB-Sprecher Reto Kormann zu.
Unter der Platznot leiden auch Eltern mit Kinderwagen und Rollstuhlfahrer. «Bei der Planung gehen Kinderwagen oft vergessen», kritisiert Urs Franzini, Präsident der Schweizerischen Vereinigung der Elternorganisationen.
Und Beat Schweingruber von der Schweizerischen Fachstelle Behinderte und öffentlicher Verkehr sagt: «Für Rollstuhlfahrer sind die ICN-Eingänge sehr eng.» Schweingruber stellt dem ICN sonst aber ein positives Zeugnis aus.
Klar ist zwar, dass die SBB auf der Jurasüdfusslinie Neigezüge einsetzen müssen. «Mit Abschluss der 1. Etappe der Bahn 2000 ist es unabdingbar, dass die Fahrzeiten via Bern und via Biel gleich lange dauern», erklärt SBB-Sprecher Kormann. Dieses Ziel könne nur mit den ICN erreicht werden.
Doch warum rüsten die SBB die neuen ICN nicht mit mehr Platz für Velos, Kinderwagen und Gepäck aus? «Ein grosszügigerer Ausbau lohnt sich betriebswirtschaftlich nicht», hält Kormann entgegen. «Wir können nicht mehr Ablagefläche auf Kosten von Sitzplätzen einbauen.» Priorität habe der Transport von Passagieren.
Nicht aufgegeben hat die IG Velo. «In den neuen ICN braucht es mehr Stauraum», fordert Merkli. «Statt Sitzplätze zu opfern könnten die SBB auch die kaum genutzten Gepäckabteile für Velos freigeben.»
Und Hans-Kaspar Schiesser vom Verband öffentlicher Verkehr fügt hinzu: «Ein paar zusätzliche Velohaken pro Zug wären bereits eine echte Verbesserung.»
Expo.02: Mit Velo, Skates und Bahn unterwegs
Damit Sie nicht schon auf dem Weg an die Expo (15. Mai bis 20. Oktober 2002) stecken bleiben, geben wir Ihnen ein paar Tipps.
- «Human Powered Mobility»: Muskelkraft ist angesagt. Für die Expo hat die Stiftung Veloland Schweiz ein Netz von Velowegen und Skating-Routen verwirklicht. Es verbindet die vier Arteplages im Drei-Seen-Land.
- Mieten: Sie können die Velos bei allen Arteplage-Eingängen oder an Bahnhöfen mieten. Reservieren Sie wenn möglich im Voraus.
«Bike Station», der offizielle Vermieter an der Expo, bietet an den Arteplage-Eingängen Biel, Murten, Neuchâtel und Yverdon sowie am Bahnhof in Ins verschiedene Velotypen an, zudem Skates und Behindertenfahrzeuge. Informationen finden Sie unter www.bikestation.ch, Reservation: Tel. 0901 02 02 02.
Die «Bike Station» bringt Velos für Gruppen auf Wunsch zudem an beliebige Ausgangspunkte.
SBB: Mietvelos gibt es in Estavayer, Ins, Kerzers und Täuffelen sowie in den Expo-Bahnhöfen Biel, Murten, Neuchâtel und Yverdon: Tel. 0900 300 300, www.rentabike.ch
- Velo verladen: Ihr eigenes Velo dürfen Sie in den Intercity-Neigezügen (ICN) auf der Strecke Zürich-Biel nicht mitnehmen. Diese Züge verkehren stündlich ab Zürich (Abfahrt jeweils .07) und ab Biel (.31).
Die Züge dazwischen (Zürich ab .32, Biel ab .11) eignen sich für Velos und Kinderwagen.
Zwischen 17 und 20 Uhr ist der Velo-Selbstverlad auf dem gesamten Bahn-Netz zwischen den Arteplages und auf den Zubringerstrecken untersagt.
- Velo aufgeben: Fahrräder können zwei bis drei Tage im Voraus an grösseren Bahnhöfen als Reisegepäck aufgegeben werden.
- Auf den Expo-Bahnhöfen: Begeben Sie sich eine Viertelstunde vor Zugsabfahrt zum Velo-Treffpunkt. Dort koordiniert SBB-Personal den Einstieg von Passagieren mit Velos.
- Routenführer: «Veloland Schweiz» mit der aktualisierten «Expo-Route 5» erscheint im April (Werd-Verlag, Fr. 19.90).
Internet-Adressen zum Thema Expo und Mobilität: www.ktipp.ch/expomobil
Interview - Verschlafen die SBB eine Entwicklung?
Paul Blumenthal, Leiter der SBB-Division Personenverkehr, stellt sich den Fragen des K-Tipp.
Herr Blumenthal, die SBB verbannen erstmals Velos aus ihren Zügen. Fallen die Velofahrer den SBB zur Last?
Keineswegs. Wir betrachten die Velofahrer als wichtiges Publikum. Trotz des - zugegeben - beschränkten Angebots in Sachen Velo-Selbstverlad bieten wir diesen Kunden doch einiges: Sie können die Velos als Reisegepäck aufgeben, wir haben hunderte von Mietvelos an SBB-Bahnhöfen und offerieren viele Velo-Freizeitangebote. Während der Expo.02 jedoch können wir auf Einschränkungen nicht verzichten.
Warum ausgerechnet während der Expo?
Sondermassnahmen sind unabdingbar, weil nebst den Ausstellungsbesuchern täglich 750 000 Fahrgäste sicher, bequem und pünktlich ans Ziel kommen wollen.
Neben den engen ICN auf der Jurasüdfusslinie sind Züge mit geräumigen Abteilen für Rollstühle, Velos und Ski unterwegs. Warum diese Diskrepanz?
Für die angestrebte Fahrzeitverkürzung hätten die SBB hunderte von Millionen Franken in den Ausbau der Jurasüdfusslinie investieren müssen. Dank der schnelleren ICN konnten wir diese Kosten sparen.
Pro ICN können wir aber «nur» 900 Sitzplätze anbieten. Während der Spitzenzeiten reicht diese Platzzahl schon heute nur knapp aus. Opfern wir Sitzplätze für andere Zwecke, produzieren wir zwangsläufig Stehplätze. Darauf reagiert unsere Kundschaft zu Recht sehr sensibel.
Der Ausflugsverkehr hat einen immer grösseren Stellenwert. Verschlafen die SBB eine Entwicklung?
Im Gegenteil, wir sind hellwach! Unsere Tochterfirma Railaway verkauft doppelt so viele Freizeitangebote wie vor vier Jahren. Und die Snow'n'Rail-Angebote, eine Kombination von ÖV-Transport und Ski-Abo, stossen auf reges Interesse.