Schluss mit dem Rentenklau!
Statt 1766 plötzlich nur noch 512 Franken pro Monat: Diese Rentenkürzung wollte die Migros-Pensionskasse bei einer invaliden Frau durchsetzen. Jetzt krebst sie zurück.
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K-Tipp 6/2007
28.03.2007
Ernst Meierhofer
Das Urteil stammt vom 20. Dezember 2006. An diesem Tag entschied das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen: Die Pensionskasse der Migros (MPK) muss einer Frau wieder die bisherige Invalidenrente zahlen - und zwar rückwirkend ab Juni 2005.
Anlass für den Streit war eine seit Januar 2005 geltende Verordnungsänderung. Sie besagt: Ist der Bezüger einer IV-Rente nicht zu 100 Prozent invalid, kann ihm die Pensionskasse die Rente kürzen - und zwar um denjenigen Betrag, den der...
Das Urteil stammt vom 20. Dezember 2006. An diesem Tag entschied das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen: Die Pensionskasse der Migros (MPK) muss einer Frau wieder die bisherige Invalidenrente zahlen - und zwar rückwirkend ab Juni 2005.
Anlass für den Streit war eine seit Januar 2005 geltende Verordnungsänderung. Sie besagt: Ist der Bezüger einer IV-Rente nicht zu 100 Prozent invalid, kann ihm die Pensionskasse die Rente kürzen - und zwar um denjenigen Betrag, den der Teilinvalide trotz Behinderung theoretisch dazuverdienen könnte.
Im Gesetz ist vom «zumutbarerweise noch erzielbaren Erwerbseinkommen» die Rede.
Bis 2005 erfolgte eine solche Kürzung nur, wenn der Rentner tatsächlich ein Einkommen hatte.
Geklagt hatte eine Migros-Angestellte, die erkrankte und nicht mehr arbeiten kann. Von der staatlichen Invalidenversicherung (IV) bezieht sie eine Vollrente, weil ihr Invaliditätsgrad 75 Prozent beträgt.
Seit Februar 2001 zahlte ihr deshalb auch die MPK eine Invalidenrente von monatlich 1766 Franken. Ab Juni 2005 waren es nur noch 512 Franken.
Arbeits-Chance muss überprüft werden
Bei dieser Kürzung ging die MPK rein mathematisch vor: Die Kürzung erfolgte einzig wegen der 25-prozentigen theoretischen «Resterwerbsfähigkeit». Ob die Frau tatsächlich in der Lage war, noch einen 25-Prozent-Job zu finden und zu bewältigen, prüfte die Pensionskasse nicht.
Falsch, sagt nun das Gericht. Solche Fälle müsse eine PK einzeln prüfen und «die spezifischen Gegebenheiten und tatsächlichen Chancen auf dem jeweiligen Arbeitsmarkt mitberücksichtigen». Im konkreten Fall kommt das Gericht zum Schluss, diese Frau finde keinen 25-Prozent-Job mehr. Es dürfe nicht «von realitätsfremden Einsatzmöglichkeiten ausgegangen werden».
Die Migros-Pensionskasse akzeptiert den Richterspruch und will auch das Reglement wieder ändern. Genauer: Wenn ein Rentenbezüger von der Invalidenversicherung eine volle Rente erhält - das ist ab einem IV-Grad von 70 Prozent der Fall -, will sie künftig auf Rentenkürzungen ganz verzichten. Und sie will auch die anderen Prozesse stoppen, die in der gleichen Sache bereits angelaufen sind.
Mehr noch: Sie will eine Rente bei einem IV-Grad über 70 Prozent sogar dann unangetastet lassen, wenn diese Person effektiv noch etwas dazuverdient.
Pensionskasse geht vor Bundesgericht
In einem anderen Punkt bleibt die MPK hart: Bei einem IV-Grad unter 70 Prozent will sie auch künftig Kürzungen ohne Einzelfall-Prüfung vornehmen. Zwar hat die MPK in einem solchen Fall ebenfalls vor dem St. Galler Sozialversicherungsgericht verloren: Die Richter entschieden, bei einem IV-Grad von 60 Prozent (IV zahlt eine Dreiviertelsrente) sei der Einzelfall auch zu prüfen. Die MPK will das nicht akzeptieren und zieht den Fall ans Bundesgericht weiter.
Weitere Kassen ziehen nach
Das Urteil des Versicherungsgerichts St. Gallen hat Signalwirkung: Die Migros-Pensionskasse war nämlich nicht die einzige PK, die Rentenkürzungen ohne Einzelfall-Prüfung vornehmen wollte (siehe K-Tipp 4/06).
Zum Beispiel die Winterthur-Versicherung. Sie sagt nun, seit Anfang 2007 gebe es Kürzungen nur noch aufgrund einer «konsequenten Einzelfall-Prüfung» - so, wie es das Bundesamt für Sozialversicherungen den Pensionskassen nahegelegt hatte.
Andere Pensionskassen nehmen nun bei einem IV-Grad über 70 Prozent generell keine Kürzungen mehr vor - etwa die Pensionskassen von Post, Credit Suisse und Roche sowie die Sammelstiftung der Zürich-Versicherung.