Schweineschmalz im Gipfeli
In vielen Lebensmitteln steckt Tierisches, ohne dass dies ersichtlich wäre. Das neue V-Label soll jetzt für mehr Klarheit sorgen.
Inhalt
K-Tipp 5/2003
12.03.2003
Urs Fitze - redaktion@ktipp.ch
Wer sich vegetarisch ernähren will, hat keinen leichten Stand. Denn tierische Produkte finden sich in vielen Lebensmitteln, wo sie nicht erwartet werden - zum Beispiel in Patisserie, Berlinern und Nussgipfeln.
Häufig werden darin tierische, meist aus Schlachtabfällen gewonnene Fette verarbeitet, sei es aus geschmacklichen Gründen oder weil sie die Konsistenz des Teiges verbessern. Das ist nicht verboten, muss aber deklariert werden.
Bei abgepackten Produkten ste...
Wer sich vegetarisch ernähren will, hat keinen leichten Stand. Denn tierische Produkte finden sich in vielen Lebensmitteln, wo sie nicht erwartet werden - zum Beispiel in Patisserie, Berlinern und Nussgipfeln.
Häufig werden darin tierische, meist aus Schlachtabfällen gewonnene Fette verarbeitet, sei es aus geschmacklichen Gründen oder weil sie die Konsistenz des Teiges verbessern. Das ist nicht verboten, muss aber deklariert werden.
Bei abgepackten Produkten steht auf der Verpackung, welche Zutaten enthalten sind. Anders sieht es bei Ware aus, die im Offenverkauf angeboten wird. Laut Deklarationspflicht müsste das Personal die Inhaltsstoffe der Ware kennen.
Renato Pichler, Präsident der Schweizerischen Vereinigung für Vegetarismus, hat jedoch die Erfahrung gemacht, dass die Verkäufer oft keine Ahnung haben, was in den Backprodukten enthalten ist. «Viele können sich gar nicht vorstellen, dass der Blätterteig mit Schweineschmalz vermischt wird.»
Häufig klärt nur die Verpackung des Teiglieferanten, ob in den Backwaren tierische Fette enthalten sind. Der Absatz dieser Fette aus Schlachtabfällen ist in den vergangenen Jahren stark zurückgegangen. Bruno Manser, Betriebsleiter der Fettraffinerie Nutriswiss in Lyss BE, konstatiert einen klaren Trend zu pflanzlichen Fetten - obwohl tierische Fette bis zu 50 Prozent günstiger sind.
Das neue, im vergangenen Mai in Kraft getretene Lebensmittelgesetz regelt die Deklarationspflicht: Für tierische Fette ist sie zwingend. Weniger eindeutig sind die Vorschriften, wenn es um die zahlreichen Zusatzstoffe geht. Diese sind mit dem Buchstabenkürzel «E» und einer dreistelligen Ziffer gekennzeichnet.
Wer in den einschlägigen Listen nachblättert, findet Namen wie Calciumortho-phosphat und Inosinsäure (siehe Kasten Seite 30). Doch ob sich dahinter tierische oder pflanzliche Ingredienzen verbergen, bleibt offen. Denn bei vielen Zusatzstoffen ist beides möglich - eine entsprechende Deklarationspflicht besteht nicht. E 129 (Karminsäure) wird aus Schildläusen gewonnen. E 422 (Glycerin) wird zwar meist synthetisch hergestellt, kann aber auch aus tierischem Fett gewonnen werden. E 470 a und b (Speisefettsäuren und deren Salze) können ebenfalls tierische Fettsäuren enthalten. Vitamin D entsteht aus einer Synthese aus Schafwollfett. Die als Binde- und Verdickungsmittel eingesetzte Gelatine ist hochreines Eiweiss aus tierischem Bindegewebe.
Sich hier zurechtzufinden, fällt selbst Experten schwer. Dazu Urs Müller, Berner Kantonschemiker: «Auch wenn eine eindeutige Deklaration auf den Verpackungen nicht vorgeschrieben ist, so müssen künftig zumindest jene Produzenten, die ihre Lebensmittel als "vegetarisch", "ovo-lacto-vegetarisch" oder "ovo-lacto-vegetabil" bezeichnen, vollständig auf tierische Zusatzstoffe verzichten - Milch, Milchbestandteile, Eier und Eibestandteile sowie Honig ausgenommen.»
Bislang haben es etwa Produzenten von Fertigsuppen diesbezüglich nicht so genau genommen. Jetzt werden sie sich nach einer Übergangsfrist umstellen müssen. Müller verspricht, ihnen bei Gelegenheit genauer auf die Finger zu schauen. Für Josianne Walpen von der Stiftung für Konsumentenschutz gehen die neuen Gesetzesbestimmungen bezüglich Deklarationspflicht noch zu wenig weit. Vegetariern und Menschen, die aus religiösen Gründen das Fleisch bestimmter Tiere nicht essen, bliebe unter den heutigen Umständen nichts anderes übrig, als genau hinzuschauen und im Zweifelsfall nachzufragen. «Wir verlangen deshalb, dass auch die Zusatzstoffe ausführlich deklariert werden.»
Die Schweizerische Vereinigung für Vegetarismus hat zusammen mit Partnerorganisationen im Ausland ein europaweit gültiges Vegetarismus-Label entwickelt. Eine unabhängige Kontrollstelle garantiert die Einhaltung der Selbstverpflichtung - siehe www.v-label.info
Seit 4. März haben 28 Migros-Restaurants das Vegi-Label, am 6. Mai kommen 42 weitere hinzu. Und auch mit ihrer vegetarischen Produktelinie Cornatur macht die Migros mit.
Die 28 Cornatur-Lebensmittel tragen alle das Vegi-Label und werden entsprechend kontrolliert. Eine Ausdehnung auf weitere Migros-Lebensmittel wird geprüft.
Coop stellt derzeit bei den Eigenmarken von tierischen auf pflanzliche Zutaten um. Das soll bis Ende Juni abgeschlossen sein. Ein nicht vom europäischen Vegetarismus-Label kontrolliertes «V» tragen bereits einige vegetarische Produkte der Betty-Bossi-Linie.
Deklarationen beachten und Verkaufspersonal fragen
Vegetarier aufgepasst: Scheinbar fleischlose Produkte können tierische Substanzen enthalten.
Wer ganz auf Fleisch und tierische Zusätze verzichten will, muss bei folgenden Lebensmitteln besonders vorsichtig sein und die Deklaration genau prüfen:
- Joghurt, Quark, Süssspeisen: Bei verpackten Produkten müssen tierische Fette vermerkt sein. Auch Gelatine wird in aller Regel aus Tierfett (häufig Schweineschwarte) gewonnen.
Übrigens: Entgegen immer wieder gehörten Behauptungen enthält Kaffeerahm kein Schweinefett. Für Kaffeerahm und alle anderen Rahmerzeugnisse wird ausschliesslich Milchfett verwendet.
- Süsse Backwaren: Beim Offenverkauf nachfragen. Auch Fertigteige sind oft mit tierischen Fetten versetzt.
- Käse: Lab wird oft aus den Mägen junger Kälber gewonnen. Es gibt dafür keine Deklarationspflicht. Weichkäse werden unter Einsatz von Gelatine in Form gebracht.
- Brot: Tierische Fette können vor allem in Spezialbroten wie Gipfeli und Brioches enthalten sein. Die Verwendung dafür ist gestattet.
Keine tierischen Fette hat es in Broten aus Ruch-, Weiss- oder Halbweiss-mehl.
- Fertigsuppen: Sind oft mit tierischen Fetten aufgepeppt.
- Convenience und Functional Food: In solchen Produkten steckt häufig Tierisches.
Bei den Herstellern nachhaken muss man bei den Zusatzstoffen, den so genannten E-Nummern. Folgende können tierische Bestandteile enthalten: E 120, E153, E160a, E 161a- f, E234, E236, E237, E238, E252, E270, E300, E304, E422, E431, E432-436, E441, E442, E444, E470a/ b, E471, E472 a-f, E473, E474, E475, E476, E477, E479b, E481/482, E483, E491-495, E516, E570, E572, E620-625, E626, E627, E628, E629, E630, E631, E640, E904, E913, E920, E1100, E1518.
Der Einkaufsführer «E-Nummern» erklärt die Zusatzstoffe. Bestellen kann man ihn mit der Karte auf Seite 9.