Strom fliesst (noch) immer zu teuer durchs Schweizer Netz
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K-Tipp 17/2000
18.10.2000
Elektrizität Strommarktgesetz will Verteilwerke zu mehr Effizienz zwingen
150 Franken pro Jahr zahlt der Schweizer Durchschnittshaushalt zu viel für den Strom, weil die meisten Verteilwerke zu klein sind. Das soll sich ändern.
Gery Schwager gschwager@k-tip.ch
Ständerat Eugen David bringts auf den Punkt: «Der Föderalismus in der Stromverteilung hat uns eine schöne Stange Geld gekostet.» Es bedürfe jetzt «einer grossen Übung», die unübersi...
Elektrizität Strommarktgesetz will Verteilwerke zu mehr Effizienz zwingen
150 Franken pro Jahr zahlt der Schweizer Durchschnittshaushalt zu viel für den Strom, weil die meisten Verteilwerke zu klein sind. Das soll sich ändern.
Gery Schwager gschwager@k-tip.ch
Ständerat Eugen David bringts auf den Punkt: «Der Föderalismus in der Stromverteilung hat uns eine schöne Stange Geld gekostet.» Es bedürfe jetzt «einer grossen Übung», die unübersichtliche Struktur auf Effizienz zu trimmen, urteilt der St. Galler CVP-Vertreter.
David weiss, wovon er spricht. Die eidgenössischen Räte und ihre Kommissionen haben sich zum neuen Elektrizitätsmarktgesetz, das kaum vor Mitte 2001 in Kraft treten dürfte, schon mehrmals zähe, heftige Debatten geliefert - zuletzt in der vergangenen Herbstsession.
Erstaunlich ist das nicht. Immerhin steht das Parlament vor der gewaltigen Aufgabe, ein über Jahrzehnte gewachsenes Monopolsystem zu zerschlagen. Das Geschäft mit der Stromverteilung betreiben in der Schweiz nicht weniger als 900 Elektrizitätsversorgungsunternehmen (EVU). Sie können für Stromlieferungen über ihre Leitungsnetze - plakativ formuliert - verlangen, was sie wollen, denn für ihre Kunden gibts keine Alternative (siehe auch K-Tip 6/00).
Keine Spur auch von Preistransparenz: Der K-Tip hat 50 Verteilwerke nach den Netzkosten in Rappen pro Kilowattstunde (kWh) befragt, die sie den Privathaushalten für die Stromdurchleitung bis zur Steckdose verrechnen.
Fazit: Von den 35 antwortenden EVU war kein einziges in der Lage oder willens, präzise Auskunft zu geben. Schätzungen gaben die Elektra Baselland (7 Rp./kWh im Mittel über alle Kundengruppen), das Elektrizitätswerk der Stadt Zürich (10 Rp./ kWh) und die Industriellen Werke Basel (10 bis 11 Rp./kWh) preis. Die meisten Werke begnügten sich mit dem Hinweis, dass die Netzkosten in den Verkaufspreisen enthalten seien.
Dem Schweigen der Werke zum Trotz: Neuere Studien der Firma Ecoplan sowie der ETH-Wissenschaftler Massimo Filippini und Jörg Wild liefern konkrete Zahlen über die aktuelle Höhe der Netzkosten.* Sie weisen zudem nach, dass neben den Bau-, Betriebs- und Unterhaltskosten vor allem die Besiedlungsdichte und die Menge des abgesetzten Stroms das Preisniveau bestimmen.
Entsprechend variieren die Durchleitungskosten sehr stark: In der günstigsten Gemeinde betragen sie 2,7 Rp./kWh, in der teuersten 35,9 Rp./kWh. Weil die Verteilwerke innerhalb ihrer Netzgebiete für gleiche Kundengruppen zumeist identische Tarife anwenden, bleibt die effektive Bandbreite der Kosten im Dunkeln.
In ländlich-gebirgigen Regionen ist Strom teurer
Die Unterschiede zwischen den Netzgebieten sind kleiner. Die durchschnittlichen Kosten für die regionale und lokale Stromverteilung liegen laut Studie zwischen 4,5 und 13 Rp./kWh. Am meisten zahlen Verbraucher in ländlich-gebirgigen Gegenden. Hier sind Bau und Unterhalt des Stromnetzes wegen des Geländes und des rauen Klimas vergleichsweise teuer. Vor allem aber ist die Zahl der Konsumenten relativ gering.
Das hat Konsequenzen: Filippini und Wild weisen nach, dass ein Verteilwerk erst bei einem Stromabsatz ab 1000 Gigawattstunden (GWh) pro Jahr die optimale Betriebsgrösse und maximale Effizienz aufweist. Diese Zahl erreichen nur wenige Schweizer EVU. Die meisten Werke sind zu klein; mehr als die Hälfte bringt es gerade mal auf 100 GWh pro Jahr.
Damit liegen die Netzkosten im Mittel um rund 3 Rp./kWh über den Kosten eines Werks von optimaler Grösse, wie Filippini und Wild errechnet haben. In der Rechnung des schweizerischen Durchschnittshaushalts mit einem Jahresverbrauch von 5000 kWh summiert sich das auf 150 Franken pro Jahr.
Die Strombarone freuts, für die Konsumenten ist diese Situation höchst ärgerlich. «Viele Haushalte wären bereit, aus Solidarität zu benachteiligten Regionen etwas höhere Stromtarife in Kauf zu nehmen - aber sie wollen sicher nicht ineffiziente Werke finanzieren», ist die FDP-Ständerätin und Präsidentin der Energiekommission, Erika Forster, überzeugt.
Filippini und Wild fordern ein Elektrizitätsmarktgesetz, das die Werke motiviert, sich zu «grösseren Einheiten» zusammenzuschliessen. Positiver Zusatzeffekt wäre: Die regionalen Preisunterschiede nähmen ab, denn der Gesetzesentwurf sieht vor, dass innerhalb eines Netzgebietes die Durchleitungspreise für identische Kundengruppen nicht variieren dürfen.
Tatsächlich werden die Marktkräfte allein die Sache kaum richten. Auch nach der Liberalisierung bilden die Verteilnetze noch faktische Monopole, an denen Konsumenten nicht vorbeikommen. Das Elektrizitätsmarktgesetz will die Werke deshalb über eine Preisregulierung zu mehr Effizienz zwingen.
«Deren Ausgestaltung wird entscheiden, wie rasch und ob Fusionen oder andere Zusammenarbeitsformen kommen werden», unterstreicht Preisüberwacher Werner Marti die Bedeutung dieses Instruments.
Der aktuelle Gesetzesentwurf sieht bloss vor, dass sich der Stromdurchleitungspreis «nach den notwendigen Kosten eines effizient betriebenen Netzes und eines angemessenen Betriebsgewinnes» zu richten hat. Die Kostenfaktoren, welche die Verteilwerke über den Durchleitungspreis auf ihre Kundschaft abwälzen dürfen, zählt er nicht abschliessend auf.
Da lauert für die Verbraucher eine erhebliche Gefahr: Manches Verteilwerk dürfte es vorziehen, sich über einen hohen Durchleitungspreis schadlos zu halten statt zu fusionieren. Ein erstes von der Strombranche vorgeschlagenes Berechnungsmodell hat denn auch einen Durchleitungspreis von 11 bis 21 Rp./ kWh für Private ergeben. Selbst der Bundesrat sah darin «sehr hohe Preise», die man «im Einzelnen prüfen» müsse.
Für nüchtern urteilende Führungskräfte in der Strombranche ist klar: «Die EVU müssen im liberalisierten Strommarkt kooperieren», wie es der Direktor der Elektra Baselland, Klaus-Peter Schäffer, formuliert. Er prognostiziert Zusammenarbeitsformen «von der lockeren Arbeitsgruppe über Kompetenzzentren bis zur Fusion».
Strompreise: Bundesrat kann Notbremse ziehen
Sollte die Preisregulierung die Verteilwerke nicht zur Strukturbereinigung zwingen, könnte eine Bestimmung zum Tragen kommen, die der Ständerat erst vor wenigen Tagen ins Elektrizitätsmarktgesetz eingefügt hat.
Danach erhält der Bundesrat unter gewissen Bedingungen die Kompetenz, überregionale Netzgesellschaften und damit grosse Netzgebiete anzuordnen. Er darf also notfalls für effizientere EVU und einen gewissen Kostenausgleich zwischen den Regionen sorgen. Ausserdem könnte bei überhöhten Durchleitungstarifen die geplante Schiedskommission ebenfalls die Notbremse ziehen.
Vor diesem Hintergrund hört man zumindest im Parlament optimistische Töne: «Die Gefahr zu hoher Durchleitungspreise ist begrenzt», sagt etwa SP-Nationalrat und Energiefachmann Rudolf Rechsteiner aus Basel, «sofern die Schiedskommission nicht schläft.»
Die Studien gibts unter www.ecoplan.ch/wichtigste/sep2.html oderwww.cepe.ethz.ch/staff/joerg/lugano.pdf
Kommission und Preisüberwacher sollen Missbrauch verhindern
Die Liberalisierung des Strommarkts garantiert nicht automatisch, dass Preismissbrauch wegfällt. Deshalb haben Bundesrat und Parlament Sicherungen ins Elektrizitätsmarktgesetz eingebaut.
- Eidgenössische Schiedskommission: Ihre Aufgabe ist es, Streitigkeiten rund um die Stromdurchleitung und den dafür verrechneten Preis zu regeln. Die Kommission kann von sich aus die Durchleitungsvergütungen prüfen. Entzündet sich ein Konflikt am Preis, muss sie den Preisüberwacher beiziehen. Dessen Gutachten bildet die Basis für ihren Entscheid.
Die Kommissionsmitglieder wählt der Bundesrat. Er muss sich dabei auf «unabhängige Sachverständige» konzentrieren. Zudem muss er darauf achten, dass «nicht nur Sachverständige mit Erfahrung im Zusammenhang mit der Produktion, Übertragung und Verteilung von Elektrizität, sondern auch solche mit Erfahrung im Umfeld der Konsumentinnen und Konsumenten berücksichtigt werden». So stehts zumindest in der Botschaft zum Elektrizitätsmarktgesetz.
- Preisüberwacher: Die Kompetenzen des Preisüberwachers nehmen mit dem neuen Gesetz zu. Künftig darf er gegen behördlich festgelegte oder genehmigte Strompreise einschreiten. Liegt ein Missbrauch vor und kommt keine einvernehmliche Regelung zu Stande, verbietet der Preisüberwacher den Aufschlag.