Strombarone sahnen ab
Einige Gemeindewerke verlangen neue Strom-Lieferverträge mit tieferen Preisen. Doch die meisten tun nichts und lassen Konsumentinnen und Konsumenten weiterhin zu viel zahlen.
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K-Tipp 12/2005
15.06.2005
Marc Gusewski - redaktion@ktipp.ch
Die Winterthurer zahlten in den letzten 50 Jahren 1,3 Milliarden Franken zu viel für ihren Strom. Aufgeteilt auf die einzelnen Bezüger waren dies 200 bis 300 Franken zu viel - und zwar pro Jahr. Eine Welle der Empörung ging durch die Stadt im Kanton Zürich, als die Zahlen im Februar 2005 öffentlich wurden.
Die Angaben stammen von Christian von Burg - und er muss es wissen, denn er ist Chef der Städtischen Werke. Jener Einrichtung also, die den Strom von einem grossen Stromli...
Die Winterthurer zahlten in den letzten 50 Jahren 1,3 Milliarden Franken zu viel für ihren Strom. Aufgeteilt auf die einzelnen Bezüger waren dies 200 bis 300 Franken zu viel - und zwar pro Jahr. Eine Welle der Empörung ging durch die Stadt im Kanton Zürich, als die Zahlen im Februar 2005 öffentlich wurden.
Die Angaben stammen von Christian von Burg - und er muss es wissen, denn er ist Chef der Städtischen Werke. Jener Einrichtung also, die den Strom von einem grossen Stromlieferanten bezieht und dann in die Winterthurer Haushalte und zu den übrigen Stromverbrauchern verteilt.
Winterthurs Stromlieferantin ist die Axpo/NOK, die Stromproduzentin der Nord-ostschweizer Kantone. Ihr gibt von Burg die Schuld für die überteuerten Stromlieferungen. Und deshalb hat er den Abnehmervertrag mit der Axpo/NOK 2004 gekündigt. Weil die Kündigungsfrist fünf Jahre beträgt, läuft der Vertrag erst 2009 aus.
Von Burgs Forderung ist klar: Der Strom muss billiger werden. Zwar hat die Axpo/ NOK ihre Tarife letzten Herbst auf Druck des Preisüberwachers gesenkt. Ein (gemäss Vergleichstabellen des Preisüberwachers) typischer Familienhaushalt mit einem Stromverbrauch von 4500 Kilowattstunden pro Jahr spart seither 15 Prozent oder 140 Franken pro Jahr.
Doch das ist zu wenig, sagt von Burg. Die Einsparung müsse fast doppelt so hoch sein. Konkret fordert er: «Der Strom muss einen Rappen billiger werden.» Damit meint der Chef der Städtischen Werke den Preis, den er selber als Verteiler dem Grosslieferanten zahlt. Derzeit bekommt die Axpo/ NOK 7,5 Rappen pro Kilowattstunde, 1994 waren es noch 11,5 Rappen.
Den Haushalten verrechnet man in Winterthur grob gerechnet 15 bis 21 Rappen pro Kilowattstunde - je nach Verbrauchsprofil. Es bleibt also zwischen Einkauf und Verkauf noch immer eine anständige Marge für die Städtischen Werke.
Auch in Interlaken BE setzt sich der Stromverteiler für tiefere Preise ein. Gian Franco Lautanio, Direktor der Industriellen Betriebe Interlaken (IBI), versucht nach wie vor, mit Stromlieferantin Bernische Kraftwerke (BKW) einen neuen Vertrag auszuhandeln.
Ausländischer Strom wäre billiger
Als Übergangslösung resultierte immerhin schon mal ein Rabatt von 1,5 Millionen Franken pro Jahr. Für den üblichen Standardhaushalt reduziert sich die Stromrechnung dadurch von rund 1000 Franken auf rund 825 Franken. Doch auch Lautanio will mehr. Denn er weiss: Dürfte Interlaken seinen Strom in Deutschland oder Frankreich einkaufen, würde der Strom für die Haushalte in seiner Verteilregion noch rund 600 Franken kosten.
Dies geht aus einer vertraulichen Marktstudie hervor, in die der K-Tipp Einblick erhielt. Das Papier wurde von den Interlakner IBI, dem Stadtwerk Energie Service Biel/Bienne (ESB) und der Energie Thun AG in Auftrag gegeben. Sie wollen sich gegen das Preisdiktat der Bernischen Kraftwerke wehren und sagen, die BKW verlangen missbräuchlich hohe Preise. Die Stadtwerke erhoffen sich zugunsten ihrer Kundschaft unter dem Strich Preissenkungen im zweistelligen Prozentbereich.
Die beiden Thurgauer Städte Arbon und Romanshorn sind bereits da, wo Interlaken mit seinen Tarifen hin will: Innert vier Jahren sank der Strompreis in Arbon um ein gutes Drittel.
Im Vergleich zu 2001 bezahlen Haushalte mit 4500 Kilowattstunden Verbrauch derzeit jährlich rund 30 Prozent oder 280 Franken weniger als vor vier Jahren, nämlich rund 640 Franken im Schnitt.
Im Herbst gibt es bereits zum vierten Mal einen Preisabschlag: Der neue Rabatt von 0,8 Rappen entlastet die Stromrechnungen um 5,6 Prozent oder etwa 36 Franken pro Jahr beim erwähnten Durchschnittshaushalt.
Ähnliche Preisverhältnisse hat Romanshorn, das eng mit Arbon zusammenarbeitet. Fridolin Rüegge, Verwaltungsratspräsident der Genossenschaft EW Romanshorn, musste sich gar vor Gericht für seine Kundschaft wehren, um gegen den Willen seiner Stromlieferantin tiefere Tarife durchzusetzen.
Der Hintergrund: Arbon und Romanshorn bezogen ihren Strom bis anhin bei dem zur Axpo/NOK gehörenden Elektrizitätswerk des Kantons Thurgau (EKT) - für ca. 10,6 Rappen pro Kilowattstunde. Auf der Suche nach günstigerem Strom wurden sie bei der St. Galler SN Energie fündig - ca. 6,9 Rappen lautete das Angebot.
Eigene Leitungen vor Gericht durchgesetzt
Als die beiden Städte für den Transport dieses Stroms von St. Gallen an den Bodensee die bestehenden Leitungen nutzen wollten - sie gehören dem EKT -, verlangte das EKT eine abschreckend hohe Durchleitungsgebühr. Die zwei Gemeinden beschlossen dann, eigene Leitungen zu bauen.
Gegen dieses Ansinnen wehrten sich EKT und Axpo/ NOK vor Gericht - und verloren. Die Rekursinstanz beim Energiedepartement (UVEK) stellte fest, das EKT habe die Kabelbaupläne ohne Berechtigung zu torpedieren versucht.
Die paar wenigen Beispiele zeigen: Für die Konsumentinnen und Konsumenten liegen markante Preisabschläge drin - falls der Stromverteiler auf Draht ist und sich gegen das Preisdiktat der grossen Stromproduzenten wehrt.
Dass die Produzenten satte Profite einfahren, die viel Raum lassen für Preisabschläge, zeigen auch einige generelle Aussagen zum Strommarkt:
- Walter Stoffel, Präsident der eidgenössischen Wettbewerbskommission (Weko), schätzt: Schweizerinnen und Schweizer zahlen jedes Jahr rund 800 Millionen Franken zu viel für Strom - insbesondere betrifft dies Industrie und Gewerbe.
Grob gerechnet sind damit die Durchschnittstarife um ca. 10 Prozent überzahlt.
- Diese grossen Stromproduzenten konnten seit 1997 9 Milliarden Franken Schulden vorzeitig zurückzahlen. Auch das zeigt: Die Kassen sind übervoll. Allein die BKW haben gegenwärtig über 2 Milliarden Franken flüssige Mittel in ihrer Schatulle, bei den sieben grössten Stromproduzenten sind es geschätzte 10 Milliarden.
Doch nicht nur bei den grossen Stromproduzenten wie Axpo/NOK, BKW oder Centralschweizerische Kraftwerke (CKW) wird kräftig abgeschöpft. Auch die rund 900 Stromverteil- oder Gemeindewerke, die es in der Schweiz gibt, sorgen mit ihrer jeweiligen Monopolstellung dafür, dass sie für sich selber beziehungsweise für die Gemeindekasse genug Geld verdienen.
Über wie viel Luft die Elektrizitätswerke-Chefs bei der Gestaltung ihrer Preise verfügen, demonstrierte das Elektrizitätswerk der Stadt Zürich (EWZ): Im Herbst 2003 senkte es für seine Viertelmillion Kunden die Tarife per Rabatt um 16 Prozent. Ein Durchschnittshaushalt mit einem Jahres-Stromverbrauch von 4500 Kilowattstunden zahlt derzeit in Zürich 14 bis 15 Rappen pro Kilowattstunde oder rund 630 bis 675 Franken im Jahr - im schweizerischen Mittel zahlt man 16 bis 18 Rappen oder rund 720 bis 810 Franken im Jahr.
Störefriede machen sich unbeliebt
Trotz dieses Margenverzichts hat das EWZ im Jahr 2004 immer noch einen Reingewinn zuhanden der Stadtkasse von 58,8 Millionen Franken erzielt.
Apropos Reingewinn: Ihren Verdienst haben auch all jene Stromverteil- und Gemeindewerke im Sinn, die das Preisdiktat der Produzenten klaglos hinnehmen - und das sind die meisten. Das hat diverse Gründe:
- Viele Verantwortliche sind schlicht zu bequem, um für günstige Konditionen zu kämpfen oder nach Alternativen zu suchen. Im alten Stil weiterwirtschaften - das schafft am wenigsten Probleme. Störefriede machen sich unbeliebt.
- In der Regel tragen die Gemeindewerke einen grösseren Anteil an die Gemeindefinanzen bei. Auf diese Einnahmen verzichten Gemeinden nur ungern.
- Viele Werke wollen sich als Sponsoren in Szene setzen und sind auch deshalb an kräftig sprudelnden Einnahmen interessiert.