Sturz vom Baum - direkt ins Unglück
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K-Tipp 1/2002
09.01.2002
Unfallversicherung Die Mobiliar lässt ein Unfallopfer im Regen stehen
Auch Schwarzarbeiter sind gegen Unfall versichert. Trotzdem weigert sich die Mobiliar, für einen verunfallten Landarbeiter zu zahlen - mit fadenscheinigen Argumenten.
Ernst Meierhofer emeierhofer@ktipp.ch
Das Unfallprotokoll ist holprig formuliert, in der Sache aber klar: «Ervin Toth ging mit Leiter auf Baum für Nüsse schütteln. Auf einem Ast ausgerutscht und runtergefallen a...
Unfallversicherung Die Mobiliar lässt ein Unfallopfer im Regen stehen
Auch Schwarzarbeiter sind gegen Unfall versichert. Trotzdem weigert sich die Mobiliar, für einen verunfallten Landarbeiter zu zahlen - mit fadenscheinigen Argumenten.
Ernst Meierhofer emeierhofer@ktipp.ch
Das Unfallprotokoll ist holprig formuliert, in der Sache aber klar: «Ervin Toth ging mit Leiter auf Baum für Nüsse schütteln. Auf einem Ast ausgerutscht und runtergefallen auf Strasse.»
Medizinisch hatte der Sturz vom Nussbaum die Folgen, die zu befürchten waren: schwere Verletzungen an Handgelenk, Ellenbogen und Hüfte. Die Behandlung im Spital kostete bis heute 19 600 Franken. Der zuständige Arzt rät zu weiteren Operationen.
Versicherungstechnisch jedoch ging der Fall nicht so aus, wie man es hätte erwarten dürfen. Die Mobiliar weigert sich nämlich, für die Arzt- und Spitalkosten geradezustehen.
Der Hintergrund: Ervin Toth war ein Schwarzarbeiter aus Rumänien. Er arbeitete ohne Bewilligung auf dem Bauernhof der Familie K. im Bündnerland.
Theoretisch wäre die Sachlage zwar eindeutig: Wer in der Schweiz für ein Entgelt arbeitet, ist automatisch gegen die Folgen von Unfällen am Arbeitsplatz versichert - selbst wenn der Arbeitgeber es versäumt hat, seinen Angestellten zu versichern.
Die Suva schreibt zum Beispiel klar: Die Leistungen gemäss Unfallversicherungs-Gesetz «werden einem Schwarzarbeiter ausgerichtet, wie wenn eine Arbeitsbewilligung vorliegen würde». So gesehen stünde die Mobiliar als Kollektiv-Unfallversicherer der Bauersleute klar in der Pflicht.
«Unfallopfer war kein versicherter Arbeiter»
Sie stellt sich aber quer. Ihre Argumente: Ervin Toth habe die Arbeiten freiwillig und ohne Verpflichtung verrichtet und er habe dafür keine Entschädigung erhalten. Also sei er kein versicherter Arbeitnehmer gewesen.
Die Mobiliar stützt sich bei der Beurteilung des Falls zur Hauptsache auf das Unfallprotokoll, das die Bauersleute unterzeichnet haben. Dort steht in der Tat, der Rumäne sei «für Ferienzwecke» eingeladen gewesen, er habe sich aber «von sich aus zum Mitarbeiten verpflichtet» gefühlt - und zwar «acht bis zehn Stunden pro Tag». Dafür habe er auf dem Hof «gratis Kost und Logis» erhalten.
Viele Indizien weisen auf Schwarzarbeit hin
Rechtsanwalt David Husmann, der die Interessen von Ervin Toth vertritt, findet diese Haltung unverständlich. «Es ist doch naiv zu glauben, ein Rumäne komme zwei Monate lang in die Schweiz, nur um hier freiwillig und ohne Lohn zu schuften.»
In der Tat: Es gibt zahlreiche Indizien, die dafür sprechen, dass die Bauern ihrem «Gast» aus Rumänien ein Entgelt bezahlt haben:
- Schwarzarbeit ist in der Landwirtschaft gang und gäbe. Der Schweizerische Bauernverband schreibt, das Arbeitskräfteproblem treibe «viele Bauern und Bäuerinnen an den Rand der Verzweiflung». Folge: «Die Befürchtung, dass Landwirte in der Notlage auf die Anstellung von Schwarzarbeitern zurückgreifen, ist leider nur allzu real.»
- Einer, der in seiner Notlage zum Mittel Schwarzarbeit griff, ist der Waadtländer SVP-Nationalrat Jean Fattebert. Er hat als Tabakbauer vier Jahre lang Arbeiter aus Polen illegal beschäftigt und muss sich jetzt dafür vor Gericht verantworten. Er ist geständig.
- Das Schweizerische Forum für Migrationsstudien schätzt die Zahl der ausländischen Schwarzarbeiter in der Schweizer Landwirtschaft auf 20 000.
- Nach Ansicht von Anwalt Husmann ist klar, dass die Bauern beim Ausfüllen des Unfallprotokolls Angst vor Bestrafung hatten und deshalb die wahren Verhältnisse verschwiegen. Wer Schwarzarbeiter ohne Arbeits- und Aufenthaltsbewilligung beschäftigt, verstösst nämlich gegen das Gesetz «über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer» (Anag). Dafür droht eine Busse von maximal 5000 Franken.
- Gegenüber dem Anwalt hat das Ehepaar im Nachhinein zugegeben, dem Knecht aus Rumänien für seine Dienste 1000 Franken pro Monat versprochen zu haben - plus Kost und Logis.
- Ervin Toth selber hat nachträglich schriftlich erklärt: «Die Familie hat mir einen Monatslohn angeboten.»
All das ficht die Mobiliar nicht an. Sie beharrt auch in ihrer Stellungnahme gegenüber dem K-Tipp darauf, dass kein Arbeitsverhältnis vorlag. Von einem Lohn sei erst «nach zweimaligem Nachfragen des Anwalts bei der Gastfamilie» die Rede gewesen.
Anlaufstelle für Unfallopfer
Seit 1994 gibt es die «Rechtsberatungsstelle für Unfallopfer und Patienten U. P.». Derzeit sind etwa 45 Juristinnen und Juristen aus den Regionen Bern, Luzern und Zürich in der Beratung aktiv. Die meisten von ihnen sind Anwälte, die schwergewichtig im Haftpflichtrecht und Sozialversicherungsrecht arbeiten.
Die Beraterinnen und Berater informieren Sie, welche Versicherungsleistungen Ihnen zustehen. Sie prüfen, ob weitere medizinische Abklärungen nötig sind. Sie begutachten die Entschädigungsangebote von Versicherungen. Sie zeigen Ihnen, wie Sie zu Ihrem Recht kommen, und vermitteln Ihnen auf Wunsch kompetente Anwältinnen und Anwälte in der ganzen Deutschschweiz.
Die Beratungsstelle ist zu den Bürozeiten erreichbar unter der Gratisnummer 0800 707 277. Das Sekretariat reserviert Ihnen einen Beratungstermin. Eine Beratung von rund 45 Minuten kostet 80 Franken. www.rechtsberatung-up.ch
Auch Putzfrauen versichern
Wer eine Putzfrau beschäftigt, muss sich auch um deren Unfallversicherung kümmern. Hier gilt:
- Jeder einzelne Arbeitgeber einer Putzfrau ist dafür verantwortlich, dass seine Hausangestellte gegen Unfälle versichert ist. Die Mindestprämie dafür beträgt für jeden Arbeitgeber einzeln 100 Franken pro Jahr.
- Allerdings: Falls die Frau pro Jahr im betreffenden Haushalt weniger als 2000 Franken verdient, kann sie gegenüber der AHV ein offizielles Verzichtsformular unterschreiben; dann sind keine AHV-Prämien geschuldet. Voraussetzung ist aber, dass die Hausangestellte daneben noch einen AHV-pflichtigen Haupterwerb hat (das Führen eines Haushalts gilt bei verheirateten Frauen ebenfalls als Haupterwerb). In diesem Fall besteht auch keine Unfall-Versicherungspflicht und die Putzfrau kann zusammen mit dem Arbeitgeber bei der so genannten UVG-Ersatzkasse eine Verzichtserklärung einreichen (Tel. 01 434 61 90).
- Liegt eine solche UVG-Verzichtserklärung vor, kommt bei einem Unfall die Krankenkasse zum Zug. Allerdings zahlen die Krankenkassen nur Arzt- und Spitalkosten, richten aber keine Geldzahlungen aus (z.B. Taggelder). Zudem müssen die Versicherten bei der Krankenkasse Franchise und Selbstbehalt selber zahlen, was bei der Unfallversicherung nicht der Fall ist. Wer für seine Putzfrau die beste Lösung will, versichert sie also in jedem Fall gegen Unfall.
- Verunfallt eine nicht versicherte Putzfrau, die aber versicherungspflichtig gewesen wäre (die also schwarz gearbeitet hat), so zahlt die erwähnte UVG-Ersatzkasse. Falls der Arbeitgeber die Versicherung «verschlampt» hat (und keine Verzichtserklärung vorliegt), muss er die Unfallversicherungsprämien für maximal 5 Jahre (inkl. 12 Prozent Verzugszins pro Jahr) nachzahlen.
Weitere Infos: Beim Dachverband «Hauswirtschaft Schweiz» gibt es für 15 Franken (inkl. Porto) Musterarbeitsverträge für Putzfrauen sowie weitere Infos über die nötigen Versicherungen. Tel. 01 831 02 55, Fax 01 831 02 57, E-Mail: info@hauswirtschaft.ch