Versteckter Lauschangriff auf «Agentinnen»
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K-Tipp 13/2001
22.08.2001
Stichprobe zeigt: 10 von 21 Call-Centers setzen auf illegale Telefonüberwachung
Heimliches Mithören von Telefongesprächen, versteckte Tonbandaufnahmen und sogar Video: Viele Telefonzentralen, so genannte Call-Centers, verletzen die Rechte ihrer Mitarbeiterinnen - und der Konsumenten.
Thomas Müller tmueller@ktipp.ch
Der Spuk begann Anfang letzten Jahres. «Eines Tages erschienen Handwerker und begannen, in allen drei Arbeitsräumen Videokameras zu...
Stichprobe zeigt: 10 von 21 Call-Centers setzen auf illegale Telefonüberwachung
Heimliches Mithören von Telefongesprächen, versteckte Tonbandaufnahmen und sogar Video: Viele Telefonzentralen, so genannte Call-Centers, verletzen die Rechte ihrer Mitarbeiterinnen - und der Konsumenten.
Thomas Müller tmueller@ktipp.ch
Der Spuk begann Anfang letzten Jahres. «Eines Tages erschienen Handwerker und begannen, in allen drei Arbeitsräumen Videokameras zu installieren», erzählt die Telefonistin Gaby Schoch.
Schoch, deren richtiger Name geheim bleiben soll, arbeitete im Call-Center der Secur Sicherheitstechnik AG in Bern. Zusammen mit 30 Kolleginnen hatte sie die Aufgabe, potenzielle Kunden in der ganzen Schweiz anzurufen und wenn möglich einen Termin für einen Vertreterbesuch zu vereinbaren. Eine monotone Arbeit, denn die Telefonistinnen - im Branchenjargon «Agentinnen» genannt - müssen sich an ein vorgegebenes Skript halten.
Ob sie dies auch wirklich tun, wollte Geschäftsführer Jürg Rosser kontrollieren. Mit einer Video-Überwachung, so seine Überzeugung, würden Disziplin und Leistung seiner Angestellten steigen.
Getreu diesem Motto liess Rosser gleich noch eine Videokamera in der hauseigenen Cafeteria montieren. So konnte er an einem Monitor seine Mitarbeiterinnen jederzeit in Bild und Ton überwachen.
Das wollte sich Gaby Schoch nicht bieten lassen. Unterstützt von Michael Jordi, Gewerkschaftssekretär beim VPOD Bern, erstattete sie Anzeige gegen die Secur. Mit Erfolg: Das Kantonale Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (Kiga) kam zum Schluss, dass alle Kameras zu entfernen seien.
Chefs dürfen Verhalten nicht überwachen
Seinen Entscheid begründete das Amt damit, dass laut der Verordnung 3 zum Arbeitsgesetz «Überwachungs- und Kontrollsysteme, die das Verhalten der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz überwachen», verboten seien. Es brauche keine Bildaufnahmen, um das Einhalten des Scripts und die Freundlichkeit der Telefonistinnen zu überprüfen. Allerdings, so das Kiga vorbeugend, seien auch reine Ton- aufnahmen nur unter gewissen Bedingungen zulässig.
In der Tat: Für das Mithören und Aufzeichnen geschäftlicher Telefongespräche hat der Eidgenössische Datenschutzbeauftragte strenge Regeln aufgestellt, die nicht nur für Call-Centers, sondern für alle Betriebe gelten.
- Telefon-Überwachungen dürfen nur dazu dienen, die Leistung eines Mitarbeiters zu kontrollieren, ihn zu schulen oder Beweise zu sichern (zum Beispiel bei Bankgeschäften).
- Arbeitgeber müssen die Kontrollperioden im Voraus ankündigen und die Perioden dürfen nicht länger als zwei bis drei Tage dauern. Es genügt also nicht, einem Mitarbeiter beispielsweise bei der Anstellung mitzuteilen, dass von Zeit zu Zeit Stichproben durchgeführt werden.
- Gesprächspartner, zum Beispiel anrufende Kunden, müssen über das Mithören oder Aufnehmen informiert werden - etwa mit Hilfe eines vorgeschalteten Tonbands.
Eine K-Tipp-Umfrage bei 21 zufällig ausgewählten Call-Centers zeigt nun, dass rund die Hälfte der Chefs illegale Telefonkontrollen durchführt. Damit missachten sie nicht nur den Datenschutz, sondern machen sich auch strafbar.
Zum einen hapert es bei der Mitarbeiter-Information. So gesteht etwa Sylvie Leuthold, Sprecherin derTelekommunikationsfirma Orange, dass die Telefonistinnen an der Hotline nicht wissen, «wann und wie lange ihre Vorgesetzten Gespräche aufnehmen. Sie wissen nur, dass das passiert.»
Auch beim Medienunternehmen Bertelsmann sind versteckte Tonbandaufnahmen an der Tagesordnung. «Meine Chefin nimmt immer wieder ohne Ankündigung Gespräche auf, um zu kontrollieren, ob ich mich genau ans Skript halte und aufgestellt töne», erzählt eine Marketingtelefonistin vom Bertelsmann Buchclub. «Das ist ein enormer Druck.»
Bertelsmann-Vertriebsdirektor Johannes Thelen bestätigt diese Praxis, weist aber darauf hin, «dass wir die Mitarbeiterinnen bereits im Bewerbungsgespräch darüber informieren und die Aufnahmen nur zur Schulung und Qualitätssicherung verwenden. Danach werden die Aufnahmen gelöscht.»
Dass es nur darum gehe, die Gesprächsqualität zu verbessern, versichern auch jene Call-Centers, die Telefonate versteckt mithören. «Wenn wir im Voraus über den Zeitpunkt informieren würden, wäre der Eindruck des Gesprächs verfälscht», glaubt Barbara Fas, Projektleiterin bei Telemarketing Plus.
Darüber kann Edith Gasser, Leiterin der Arbeitsgruppe Call-Center bei der Gewerkschaft Kommunikation, nur den Kopf schütteln: «Eine gute Schulung hängt nicht davon ab, ob die Gespräche heimlich mitgehört werden. Gute Vorgesetzte merken auch ohne Druck, wie eine Mitarbeiterin arbeitet.»
Heimliche Kontrollen: «Nicht leistungsfördernd»
Dieser Meinung ist auch Konrad Huber, Call-Center-Leiter der Basler Firma Extratel, die beispielsweise die Hotlines von Mövenpick, Fust und Feldschlösschen betreut: «Wir verzichten auf heimliche Kontrollen, weil sie unter den Angestellten Angst und Misstrauen säen; das ist nicht leistungsfördernd.»
Und auch bei Cablecom findet man «ein offenes Betriebsklima sympathischer».
Die oft fehlende Mitarbeiter-Information ist das eine. Viele Call-Centers verletzen aber auch ihre Pflicht, die Gesprächspartner - also die Konsumentinnen und Konsumenten - über das Abhören oder Aufzeichnen eines Gesprächs zu informieren.
Das sei, heisst es unisono, oft nicht praktikabel. «Ein solcher Hinweis wäre vor allem für Verkaufsgespräche ein schlechter Einstieg, weil die Spontaneität verloren geht», gibt etwa Thomas Eicher von Tel'n'Sell zu bedenken. Im Klartext: Man will den Konsumenten nicht mit schlechten Nachrichten die Laune verderben.
Keine Nachteile befürchtet hingegen die Firma RBC Mediaphone. «Wenn wir Gespräche aufzeichnen, informieren wir die Gesprächspartner darüber - und zwar auch dann, wenn wir selber anrufen», sagt Sprecherin Isabel Diaz. Allerdings: Vom Mithören erfahren die Kunden nichts.
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Internet-Adresse des Datenschutzbeauftragten: www.edsb.ch
Wer heimlich Gespräche aufnimmt, riskiert Gefängnis oder eine saftige Busse
Maximal drei Jahre Gefängnis oder 40 000 Franken Busse drohen jedem, der «ein fremdes nichtöffentliches Gespräch ohne die Einwilligung aller daran Beteiligten mit einem Abhörgerät abhört oder auf einen Tonträger aufnimmt». So will es das Strafgesetzbuch.
Ob der Telefonapparat des Chefs, mit dem er ein Gespräch versteckt mithört, als «Abhörgerät» zu qualifizieren ist, ist umstritten. Sicher strafbar ist es aber, ein Gespräch aufzunehmen, ohne dass die Teilnehmer einverstanden sind. Chefs, die keine Strafe riskieren wollen, informieren daher ihre Angestellten im Voraus. Im Gegensatz zu den Vorgaben des Datenschutzes genügt strafrechtlich betrachtet eine generelle Information ohne Angabe einer Kontrollperiode.
Ebenso wichtig ist die Information der Gesprächspartner. Sie kann durch den telefonierenden Mitarbeiter selber oder über eine Bandansage erfolgen. Gegenüber bestehenden Kunden genügt auch ein Hinweis in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen.
Auf wenig Gegenliebe stösst diese Informationspflicht vor allem bei jenen Call-Centers, die nicht bloss Anrufe empfangen, sondern selber anrufen (so genannte «outbound calls»). Sie haben Angst, potenzielle Kunden zu verärgern.
Roger Meili, Präsident des Branchenverbandes Call Center Network Switzerland und Geschäftsführer der Firma Optimas, räumt denn auch ein, dass sich diese Call-Centers meist nicht ans Gesetz halten: «Bei outbound calls ist die Information des Kunden nicht praktikabel und wird auch nicht gemacht.»
Jedes zweite Call-Center missachtet das Gesetz
10 von 21 Call-Centers hören laut eigenen Angaben Telefongespräche ab oder zeichnen sie auf, ohne ausreichend zu informieren.
Call-Centers sind nichts anderes als Telefonzentralen. Neben unternehmensinternen Call-Centers - etwa dem Auskunftsdienst 111 der Swisscom - gibt es auch spezialisierte Firmen, die ausschliesslich für andere tätig sind. So betreibt die Firma Telag die Hotline der Migros, Nebus betreut die Supercard-Kunden von Coop.
In der Schweiz existieren rund 350 Call-Centers mit gegen 20 000 Telefonistinnen und Telefonisten, so genannten «Agenten». Sie beantworten zum Beispiel Kundenanfragen, nehmen Bestellungen entgegen oder betreiben Telefonmarketing. Nicht selten führen sie pro Arbeitstag über 100 Telefongespräche.
Praktisch alle Call-Centers erfassen die Leistung ihrer Angestellten zahlenmässig. Sie messen also, wie viele Gespräche eine Telefonistin pro Stunde schafft oder wie viele Aufträge sie an Land zieht.
Viele Chefs gehen aber noch weiter: Sie hören Telefonate heimlich mit oder nehmen sie auf. Betroffene Angestellte können sich an die Gewerkschaft oder ans kantonale Arbeitsamt wenden.
10 Firmen halten sich nicht ans Gesetz
- Aufnehmen von Telefonaten ohne ausreichende Information der Angestellten und Gesprächspartner: Bertelsmann Medien, Ittigen BE
- Mithören von Telefonaten ohne ausreichende Information der Angestellten und Gesprächspartner: Telag Communications, Zürich Telemarketing Plus, Emmenbrücke LU
- Aufnehmen von Telefonaten ohne ausreichende Information der Angestellten: Orange, Genf
- Aufnehmen von Telefonaten ohne Information der Gesprächspartner: Iba, Bolligen BE; Tel'n'Sell, Basel
- Mithören von Telefonaten ohne Information der Gesprächspartner: Nebus, Biel BE
RBC Mediaphone, Meilen ZH Optimas, Brüttisellen ZH; Sysmar, Cham ZG
Diese Firmen halten sich ans Gesetz
- Mithören oder Aufnehmen von Telefonaten mit ausreichender Information der Angestellten und Gesprächspartner: Credit Suisse, Zürich MS Direktmarketing, St. Gallen; Sunrise, Zürich Swisscom, Bern; UBS Card Center, Glattbrugg ZH
- Kein Mithören oder Aufnehmen von Telefonaten: Bas, Küttigen AG; Cablecom, Zürich Coop Versicherung, Wallisellen ZH; Die Post, Bern Extratel, Basel; Schweizerische Mobiliar, Bern