«Vielverbraucher profiti eren»
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K-Tipp 13/2002
21.08.2002
Die Verordnung zum neuen Strommarktgesetz kurbelt den Stromverbrauch an statt das Sparen zu fördern, warnt Greenpeace-Präsident Heini Glauser - und sorgt damit kurz vor der Abstimmung für Unruhe.
Gery Schwager gschwager@ktipp.ch
Am Anfang stand eine einfache Aussage: «Artikel 5 der Elektrizitätsmarkt-Verordnung belohnt hohen Stromverbrauch.» Greenpeace-Präsident und Energiefachmann Heini Glauser zog diesen Schluss nach intensiver Beschäftigung mit den Strom-...
Die Verordnung zum neuen Strommarktgesetz kurbelt den Stromverbrauch an statt das Sparen zu fördern, warnt Greenpeace-Präsident Heini Glauser - und sorgt damit kurz vor der Abstimmung für Unruhe.
Gery Schwager gschwager@ktipp.ch
Am Anfang stand eine einfache Aussage: «Artikel 5 der Elektrizitätsmarkt-Verordnung belohnt hohen Stromverbrauch.» Greenpeace-Präsident und Energiefachmann Heini Glauser zog diesen Schluss nach intensiver Beschäftigung mit den Strom-Durchleitungskosten, deren Verteilung auf die verschiedenen Spannungsebenen und Leitungsnetze in diesem Artikel geregelt wird.
Sicher: In der Abstimmung vom 22. September zum neuen Elektrizitätsmarktgesetz gehts um wesentlich mehr als nur um Artikel 5 der zugehörigen Verordnung. Doch Glausers Befund ist brisant.
Der K-Tipp konfrontierte deshalb diverse Experten und Organisationen, die für die Abstimmung ein Ja empfehlen, mit einer Musterrechnung zur Wirkungsweise von Artikel 5. Die Reaktionen waren erstaunlich.
«Diese Frage ist sehr wichtig - und sehr technisch», sagte etwa SP-Nationalrat Rudolf Strahm. Der Autor des Buches «Strommarkt-Entscheid: Das neue Elektrizitätsmarktgesetz EMG - Fakten gegen Vorurteile» empfahl dem K-Tipp, sich beim Bundesamt für Energie (BFE) zu erkundigen.
Alle verweisen aufs Bundesamt für Energie
Auch der WWF, das Konsumentenforum und die Agentur für erneuerbare Energien und Energieeffizienz verwiesen aufs BFE. Die Schweizerische Gesellschaft für Umweltschutz sowie die Schweizerische Energie-Stiftung blieben gar gänzlich stumm.
Umso beherzter sprang das BFE in die Bresche. Auf sieben Seiten setzte sich Urs Näf, Leiter der BFE-Sektion Energiemärkte und -versorgung, mit der Musterrechnung auseinander. Vor allem aber stellte er fest, dass die gewählten Beispiele wenig realistisch seien.
Also passte der K-Tipp die Rechnung an. Doch ihr Resultat blieb bemerkenswert. Es zeigt nämlich, dass bei einer Verteilung der Durchleitungskosten nach Artikel 5 ein Elektrizitätswerk (EW) drei Möglichkeiten hat, den Betrag pro Kilowattstunde (kWh) zu senken:
- Es kann den Stromverbrauch steigern - etwa durch Förderprogramme für Elektroheizungen.
- Es kann die maximal bezogene Leistung reduzieren - zum Beispiel durch ein Verbot, Anlagen, Maschinen und Geräte mit hoher Wattzahl in Hauptverbrauchszeiten zu benutzen.
- Es kann beides tun.
Anders gesagt: Artikel 5 begünstigt bei der Kostenverteilung Werke mit hohem Verbrauch und tiefem Leistungsbezug. Stromversorger, die dem nicht entsprechen, haben das Nachsehen: «Sie müssen entweder ihre höheren Kosten über unattraktive Gebühren und Tarife auf die Endkunden überwälzen, oder sie werden zu idealen Übernahmekandidaten für stärkere Werke», analysiert Glauser.
Er sieht deshalb voraus: Manches EW dürfte versucht sein, aus Konkurrenzgründen den Kostendruck via Verbrauchssteigerung und/ oder tieferem Leistungsbezug zu senken. «Ein Werk kann es sich kaum leisten, allein wegen der Durchleitungskosten spürbar teurer zu sein als sein Nachbar-EW», so Glauser. «Es läuft sonst Gefahr, zumindest Grosskunden ans Nachbar-EW zu verlieren. Denn für diese gehts rasch um einige tausend Franken im Jahr.»
Aber auch Kleinkunden müssten rechnen. Ausgehend von aktuellen Zahlen diverser schweizerischer EW hält Glauser nämlich Differenzen bei den Durchleitungskosten von gegen 5 Rappen pro kWh für durchaus denkbar. Für Haushalte schlüge das mit etwa 100 bis 300 Franken im Jahr zu Buche.
BFE-Mann Näf vermag diesen Folgerungen wenig abzugewinnen. Benachbarte Gemeinde-EW würden sich punkto Kundschaft und damit auch punkto Strombezug strukturell meist nicht gross unterscheiden, argumentiert er. Deshalb sind Differenzen von bis zu 5 Rappen pro kWh seiner Ansicht nach unwahrscheinlich.
In Artikel 5 der EMV sieht Näf primär «einen wichtigen Anreiz, Leistung und Energie effizient einzusetzen». Das Zauberwort heisst Leistungsbewirtschaftung. Nutzungsbeschränkungen, zum Beispiel die Abschaltung leistungsintensiver Installationen wie Schweissanlagen, grosse Elektromotoren oder Waschmaschinen in der Hauptverbrauchszeit am Mittag, seien ja heute schon gängige Praxis.
«Würde sich niemand um die Leistungsbewirtschaftung kümmern, müssten zusätzliche Investitionen in Kraftwerke und Netze getätigt werden», so Näf weiter. Und das hätte neben bedeutenden Mehrkosten auch Umwelteingriffe zur Folge.
Dass ein EW mit Verbrauchssteigerung statt besserer Leistungsbewirtschaftung auf Artikel 5 reagieren könnte, hält Näf für unrealistisch. Das Werk müsste den meisten Kunden wegen des Mehrverbrauchs eine höhere Stromrechnung präsentieren, auch wenn es den Preis pro kWh etwas senken könne, macht er geltend.
«Sinkende Tarife fördern den Konsum»
Dagegen wendet Energiefachmann Glauser allerdings ein, wenn hoher Dauerkonsum mit sinkenden Tarifen verbilligt werde, führe das absehbar in vielen Fällen zu grösserem Stromverbrauch. Vorab das Aus- und Einschalten von Geräten und Maschinen werde dadurch unattraktiv, sollte es mit Aufwand verbunden sein.
Glauser setzt auch hinter die von Näf gepriesene Leistungsbewirtschaftung Fragezeichen. Dieser seien erstens Grenzen gesetzt; ein EW dürfe die Betriebsabläufe der Endkunden nicht über Gebühr behindern. Es könne also beispielsweise den Restaurants über Mittag oder den Haushalten in den Abendstunden den Strom nicht einfach abschalten, um Leistungsspitzen zu brechen.
Und zweitens bestehe Leistungsbewirtschaftung vorab darin, Teile des Stromverbrauchs von Spitzen- in Randzeiten, zum Beispiel in die Nacht, zu verlagern. Der Verbrauch selber gehe damit aber keineswegs zurück.
Für Glauser ist klar: «Die Verordnung zum Elektrizitätsmarktgesetz setzt ein völlig falsches energiepolitisches Zeichen. Elektrizitätswerke mit vielen Dauerstromverbrauchern werden belohnt, Sparsamkeit wird nicht honoriert.»
Je grösser die Menge, desto tiefer der Preis
Ein grosser Teil des Stroms durchfliesst vom Kraftwerk bis zur Steckdose mehrere Ebenen: Eingespiesen ins Höchst- oder Hochspannungsnetz gelangt er über regionale Mittelspannungs- in lokale Niederspannungsnetze zur Endverteilung - und überall fallen Kosten an.
Artikel 5 der Elektrizitätsmarktverordnung setzt nun fest, dass die Kosten für ein Netz mit höherer Spannung den Netzen der jeweils tieferen Spannungsebene anzulasten sind, und zwar zu 70 Prozent nach der maximal bezogenen elektrischen Leistung und zu 30 Prozent nach dem Verbrauch.
Doch wie wirkt sich dieser Verteilschlüssel aus? Der K-Tipp hat eine Musterrechnung gemacht. Sie geht von drei fiktiven lokalen Elektrizitätswerken (EW) aus, die ihren Strom vom gleichen Mittelspannungsnetz beziehen, sich punkto Leistung in Kilowatt (kW) und Verbrauch in Kilowattstunden (kWh) aber unterscheiden.
Die Musterrechnung ist unter www.ktipp.ch/ew-rechnung zu finden. Sie zeigt, dass ein EW die Kosten pro kWh senken kann, indem es den Verbrauch steigert und/oder die maximal bezogene Leistung reduziert. Macht es dies nicht, läuft es Gefahr, seinen Strom spürbar teurer verkaufen zu müssen als benachbarte EW - in der Musterrechnung um fast 2 Rappen pro kWh.
Wettbewerb statt Monopol
Sollen die Konsumenten ihren Stromlieferanten frei wählen dürfen? Am 22. September entscheiden die Stimmbürger.
Heute müssen Konsumenten ihren Strom bei jenem Elektrizitätswerk beziehen, das in ihrem Gebiet das Versorgungsmonopol innehat. Mit dem neuen Elektrizitätsmarktgesetz (EMG) soll sich das schrittweise ändern. Die Privathaushalte können nach sechs Jahren ihren Stromlieferanten frei wählen. Damit löst in der Stromversorgung der Wettbewerb die Monopole ab.
Die Stromverteilung dagegen bleibt ans Netz als natürliches Monopol gebunden. Daher unterstellen das EMG und die zugehörige Verordnung diesen Bereich einer Vielzahl komplexer Regeln.
Die Vorlage sorgt aber auch für mehr Transparenz in den Stromrechnungen: Deklaration von Art und Herkunft des Stroms, separate Auflistung von Produktionspreis und Durchleitungsgebühren. Und sie enthält Bestimmungen zugunsten von Ökostrom aus Sonne, Wind, Biomasse und kleinen Wasserkraftwerken.
Ob das EMG den Haushalten höhere oder tiefere Strompreise bringt, ist umstritten. Massive Abschläge allerdings erwarten auch die Befürworter kaum.
Sie setzen vielmehr auf das Argument, mit dem EMG lasse sich die unvermeidliche Marktliberalisierung geordnet vollziehen. Engpässe in der Versorgung seien so nicht zu befürchten - was die Gegner mit Verweis auf Kalifornien indes bezweifeln.