Voltaren ist nicht Voltaren
Die Pharmaindustrie umgeht trickreich das Werbeverbot für Medikamente - mit dem Segen der zuständigen Behörde.
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K-Tipp 3/2004
11.02.2004
Patrick Gut - pgut@ktipp.ch
Werbung für Arzneimittel ist verboten. Und zwar dann, wenn das Medikament nur auf Rezept erhältlich ist oder wenn es auf der Spezialitätenliste steht und die Krankenkasse dafür bezahlen muss. Im Umgehen dieses Werbeverbots zeigt sich die Pharmaindustrie jedoch äusserst erfinderisch.
Beispiel Voltaren: Das entzündungshemmende Medikament von Novartis gehört zu den Topsellern. Allein in der Schweiz hat der Pharmariese im Jahr 2000 damit über 30 Millionen Franken umgesetzt.
Werbung für Arzneimittel ist verboten. Und zwar dann, wenn das Medikament nur auf Rezept erhältlich ist oder wenn es auf der Spezialitätenliste steht und die Krankenkasse dafür bezahlen muss. Im Umgehen dieses Werbeverbots zeigt sich die Pharmaindustrie jedoch äusserst erfinderisch.
Beispiel Voltaren: Das entzündungshemmende Medikament von Novartis gehört zu den Topsellern. Allein in der Schweiz hat der Pharmariese im Jahr 2000 damit über 30 Millionen Franken umgesetzt.
Voltaren Emulgel ist auf der Spezialitätenliste aufgeführt. Die Creme muss also von den Krankenkassen - sofern ärztlich verschrieben - bezahlt werden. Deshalb darf Novartis für das Produkt beim Publikum nicht werben. Voltaren aber steht in einem harten Konkurrenzkampf mit einer Vielzahl meist günstigerer Generika. Da hat die Pharmaindustrie alles Interesse, das Geschäft mit Werbung anzukurbeln.
Mit einem einfachen Trick umgeht sie das Werbeverbot. Im August 2003 brachte der Konzern das Arzneimittel Voltaren Dolo Emulgel auf den Markt. Die neue Creme ist rezeptfrei erhältlich, und die Konsumenten müssen sie aus dem eigenen Sack bezahlen. Und: Der neue Voltaren Dolo Emulgel ist mit dem alten Voltaren Emulgel absolut identisch.
Den neuen Gel bewirbt Novartis intensiv mit TV-Spots. Für Peter Marbet, Sprecher der Krankenkassenvereinigung Santésuisse, ist das «ganz klar eine Umgehung des Publikumswerbeverbotes». Die Werbung führe zu einer zusätzlichen Nachfrage, und zwar auch nach dem kassenpflichtigen Voltaren Emulgel. Marbet befürchtet: «Bei den praktisch identischen Bezeichnungen können die Konsumenten nicht zwischen den beiden Produkten unterscheiden und lassen sich vermehrt das kassenpflichtige Präparat verschreiben.»
«Reine Alibifunktion»
Auch für Puls-Tipp-Arzt Thomas Walser «ist die Umgehung des Werbeverbots offensichtlich». Das Beispiel entlarve das Verbot als «Worthülse ohne Wirkung».
Beim Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) sieht man das anders. Das Amt billigt die Werbung für den nicht kassenpflichtigen Gel und prognostiziert gar einen Spareffekt für die Krankenversicherung, weil der Patient die Creme in Selbstmedikation - also ohne vorgängigen Arztbesuch - einkaufe.
«Es ist absurd, von einem Spareffekt zu sprechen», sagt Jacqueline Bachmann, Geschäftsführerin der Stiftung für Konsumentenschutz. Sie geht vielmehr davon aus, dass deutlich mehr von dem Medikament verkauft werde. «Das Gegenteil müsste das BSV zuerst beweisen.» Für Bachmann wäre das Problem auch nicht gelöst, wenn tatsächlich der eine oder andere Arztbesuch wegfallen würde. «Für die Konsumentin steigen die Kosten ohnehin, weil sie das Arzneimittel aus der eigenen Tasche bezahlen muss.»
Voltaren-Hersteller Novartis will die Vorwürfe nicht auf sich sitzen lassen: «Von einer Umgehung des Werbeverbots kann keine Rede sein», sagt Philippe Zell, Leiter des Bereichs Selbstmedikation. Voltaren Emulgel und Voltaren Dolo Emulgel würden sich nämlich unterscheiden durch Verpackung, Markennamen und Anwendungszweck. Ersterer komme bei Rheuma zum Einsatz, der Dolo Emulgel dagegen eher bei Sportverletzungen.
«Das ist Schwachsinn», sagt der pharmakritische Arzt Etzel Gysling. «Bei zwei absolut identischen Präparaten haben unterschiedliche Anwendungsgründe reine Alibifunktion.»
Gysling gehört zu jenen Fachleuten, die Werbung für Arzneimittel generell ablehnen. Er sagt: «Arzneimittelwerbung verführt nur zum Konsum von Präparaten, die in vielen Fällen überflüssig oder zu teuer sind.» Aus denselben Gründen ist auch die Schweizerische Patientenorganisation «grundsätzlich gegen Arzneimittelwerbung».
In «guter» Gesellschaft
Novartis ist mit ihrer Strategie nicht allein. Fast der gleiche Mechanismus spielt beim Herpesmittel Zovirax (kassenpflichtig) und Zovirax Lip (nicht kassenpflichtig) von GlaxoSmith-Kline, beim durchblutungsfördernden Padmed Circosan (kassenpflichtig) und Padma 28 (nicht kassenpflichtig) von Padma oder beim Erkältungsmittel Echinamed (kassenpflichtig) und Echinaforce (nicht kassenpflichtig).