Wenn der Zweikampf vor dem Richter endet
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K-Tipp 11/2001
06.06.2001
Gefoult und verletzt: Hobby-Fussballer haben juristisch einen schweren Stand
Über 50 000 Freizeit-Kicker verletzen sich jedes Jahr bei Meisterschaftsspielen oder Grümpelturnieren. Wenn sie Schadenersatz verlangen, tuts oft noch einmal weh.
Thomas Müller tmueller@ktipp.ch
Eigentlich war es bloss ein Freundschaftsspiel. Doch schon nach zwei Minuten gerieten Daniel Moser vom FC Polizei Basel und sein Gegenspieler W. vom SV Muttenz aneinander. Moser ha...
Gefoult und verletzt: Hobby-Fussballer haben juristisch einen schweren Stand
Über 50 000 Freizeit-Kicker verletzen sich jedes Jahr bei Meisterschaftsspielen oder Grümpelturnieren. Wenn sie Schadenersatz verlangen, tuts oft noch einmal weh.
Thomas Müller tmueller@ktipp.ch
Eigentlich war es bloss ein Freundschaftsspiel. Doch schon nach zwei Minuten gerieten Daniel Moser vom FC Polizei Basel und sein Gegenspieler W. vom SV Muttenz aneinander. Moser hatte W. gefoult, was dieser mit der Bemerkung quittierte: «Du gisch dr Tarif ah.»
Ein paar Minuten später gab W. seinen eigenen Tarif durch. Als Verteidiger Moser den Ball in der eigenen Platzhälfte direkt aus der Luft wegschlagen wollte, traf ihn W. mit gestrecktem Bein am Knie.
Moser brach zusammen, schrie vor Schmerz. Der Notarzt versetzte ihn mit einer Spritze in künstlichen Schlaf. Der Schiedsrichter zeigte W. die gelbe Karte und brach das Spiel der beiden 3.-Liga-Mannschaften ab.
Drei Stunden lang wurde Moser im Basler Bruderholz-Spital operiert. Diagnose: «Knieluxation mit Zerreissung des vorderen und hinteren Kreuzbandes, des inneren Seitenbandes sowie Knorpelverletzung.» Moser war sechs Monate lang arbeitsunfähig.
Für eine solche Verletzung brauche es in der Regel eine «massive äussere Krafteinwirkung», schrieb der Chefarzt des Spitals an Mosers Anwalt Werner Kupferschmid. Ein normales Foul genüge bei gesunden Sportlern nicht.
Moser, von Beruf Autobahn-Polizist, erstattete Strafanzeige wegen fahrlässiger Körperverletzung. Das Verfahren ist noch hängig.
Gegenüber dem Statthalteramt Arlesheim BL gab der Beschuldigte W. zu Protokoll, er habe den Ball spielen wollen, aber sein Gegenspieler sei «einen Schritt schneller gewesen. Das Bein war nicht gestreckt, sondern leicht angezogen, aber ich konnte es nicht mehr zurückziehen.»
«Normale» Fouls sind nicht strafbar
Der Schiedsrichter bestätigte diese Version. Im Einvernahmeprotokoll heisst es: «Für mich war das kein absichtliches Revanche-Foul.»
Diese Aussage machte sich W.s Haftpflichtversicherung zunutze: «Wir vermögen bei unserem Versicherten kein rechtlich relevantes Verschulden zu erkennen. Kleinere Regelverstösse und Unkorrektheiten in der Hitze des Gefechts bedeuten noch keine Fahrlässigkeit», liess die Basler Versicherung Anwalt Kupferschmid wissen.
Daniel Moser versteht die Welt nicht mehr: «Das war doch nicht nur eine kleine Unkorrektheit, das war ein brutales Foul.»
Leichtes oder schweres Foul? Das ist die entscheidende Frage - und zwar nicht nur beim Fussball, sondern auch bei anderen Sportarten. Denn während «normale» Fouls nicht strafbar sind, muss der Täter bei einem groben Foul mit einer richterlichen Verurteilung rechnen (siehe Interview).
Und nicht nur das: Wird ein Spieler wegen Körperverletzung bestraft, muss er respektive seine Haftpflichtversicherung den Schaden ersetzen, den die Unfallversicherung des Verletzten nicht übernimmt.
Deshalb will Mosers Anwalt nochmals an die Versicherung gelangen, falls W. bestraft wird. Diese soll dann unter anderem für die 20 Prozent Lohnausfall aufkommen, welche die Unfallversicherung nicht abdeckt - das sind rund 12 000 Franken.
Doch ob Mosers Gegenspieler eine Strafe erhält, ist offen. Denn das Gericht in Liestal BL ist nicht an die Zeugenaussagen gebunden. Es könnte auch zum Schluss kommen, dass die Aussagen von Arzt, Schiedsrichter und Beteiligten allzu widersprüchlich sind. Dann müsste es W. nach dem Grundsatz «im Zweifel für den Angeklagten» freisprechen.
So geschah es auch im Fall von Martin Rinaldi (Name geändert). Der Stürmer einer Berner 4.-Liga-Mannschaft war vom gegnerischen Torhüter kurz vor Spielschluss unfair angegangen worden. «Er sprang mir mit gestreckten Beinen von schräg hinten in den rechten Unterschenkel», erinnert sich Rinaldi.
Der Familienvater erlitt einen Trümmerbruch von Schien- und Wadenbein, war über zwei Monate arbeitsunfähig und musste ein halbes Jahr an Krücken gehen. Zwar verurteilte das zuständige Amtsgericht den Torhüter zunächst wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung zu 1000 Franken Busse und zur Zahlung von rund 10 000 Franken an Rinaldi. Es stützte sich dabei vor allem auf die Zeugenaussage des Schiedsrichters, der von einer «sehr schweren Tätlichkeit» sprach.
Doch das Berner Obergericht hob dieses Urteil wieder auf. Die Aussagen des Schiedsrichters enthielten «Widersprüche», und es sei «nicht ausgeschlossen, dass er sich irrt», befanden die Richter. Deshalb müsse, wenn Aussage gegen Aussage stehe, zugunsten des Angeklagten entschieden werden.
Für Martin Rinaldi ist das Urteil «eine Katastrophe». Er wird nicht nur zeitlebens an Schmerzen leiden und keinen Sport mehr betreiben können. Der Gerichtsfall hat ihn auch noch rund 40 000 Franken gekostet.
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So sind Sie beim Sport versichert
- Wenn Sie mindestens acht Stunden pro Woche bei einem Arbeitgeber arbeiten, sind Sie automatisch auch gegen Unfälle in der Freizeit - also zum Beispiel auf dem Fussballplatz - versichert.
- Selbständigerwerbende, Hausfrauen, Studenten, Kinder, Jugendliche und Pensionierte sind bei der Krankenkasse obligatorisch gegen Unfälle versichert. Dort müssen sie allerdings Selbstbehalt und Franchise übernehmen.
- Im Gegensatz zur Unfallversicherung übernimmt die Krankenkasse nur die Heilungskosten. Sie bezahlt keine Taggelder für den Erwerbsausfall. Deshalb empfiehlt es sich für Selbständige, Unfalltaggelder und Invalidenrenten anderweitig zu versichern.
Wenn ein Gegenspieler Sie durch eine brutale Attacke verletzt:
- Fordern Sie einen Mitspieler auf, Adressen von Zuschauern und Spielern zu sammeln, die den Unfall gesehen haben. Bitten Sie diese Personen, ihre Wahrnehmungen schriftlich festzuhalten. Solche Aussagen sind wertvoll für Verhandlungen mit der Haftpflichtversicherung des Angreifers oder in einem Strafverfahren.
- Gehen Sie zum Arzt, damit er Ihre Verletzung begutachten kann.
- Melden Sie den Unfall unbedingt so bald als möglich Ihrem Arbeitgeber; er wird dann die Unfallversicherung informieren. Nichtberufstätige und Selbständige wenden sich an ihre Krankenkasse. Benachrichtigen Sie auch eine allfällige Rechtsschutz-Versicherung.
- Stellen Sie nach einem bösartigen Foul innert drei Monaten einen Strafantrag bei der Polizei. Im Gerichtsverfahren können Sie auch Schadenersatz sowie eine Genugtuung verlangen. Bedenken Sie aber, dass Sie ein Kostenrisiko eingehen.
- Fordern Sie vom Unfallverursacher oder seiner Haftpflichtversicherung Ersatz für allfällige Sachschäden (zertrümmerte Brille, zerrissenes Leibchen etc.) sowie für Lohnausfall, der nicht durch die Unfallversicherung gedeckt ist.
- Lassen Sie sich beraten, beispielsweise bei der U. P. Rechtsberatungsstelle für Unfallopfer und Patienten, Tel. 0800 70 72 77. Fairplay: Spielen Sie fair und halten Sie sich an die anerkannten Präventionsregeln. Beim Fussball heisst das: regelmässiges Training, Aufwärmen vor dem Spiel, Schienbeinschoner, Noppen- oder Nockenschuhe, keine Stollen- oder Turnschuhe.
Interview - «Brutale Grätsche ist strafbar»
Marco Balmelli, Rechtsanwalt und Notar in Basel, nennt Fussballer-Fouls, die zu einer Verurteilung führen können. Balmelli spielte früher unter anderem mit den Old Boys Basel in der Nationalliga B.
K-Tipp: Herr Balmelli, welche Rechte hat ein gefoulter Fussballer, der ernsthaft verletzt wurde?
Marco Balmelli: Zuerst stellt sich die Frage nach Schadenersatz, etwa für Verdienstausfall. Der Verletzte kann auch einen Strafantrag stellen wegen Körperverletzung. Darauf steht Gefängnis bis zu drei Jahre oder Busse bis 40000 Franken.
Riskiert also jeder Hobby-Fussballer, der einen anderen foult, eine Gefängnisstrafe?
Nein, bei körperbetonten Sportarten wie zum Beispiel Fussball ist die Rechtsprechung grosszügiger als im «normalen Leben». Man geht davon aus, dass ein Spieler, der an einem Fussballmatch teilnimmt, damit rechnen muss, dass er ab und zu gefoult wird.
Harmlose Fouls sind also nicht strafbar?
Richtig. Auch wer sich beispielsweise in einem fair geführten Kopfball-Duell eine Platzwunde zuzieht, kann seinen Gegenspieler nicht belangen. Es liegt ja keine Regelwidrigkeit vor.
Wo liegt die Grenze zu den strafbaren Vergehen?
Die ist im Einzelfall schwierig zu ziehen. Das Bundesgericht hat entschieden, dass sich ein Spieler strafbar macht, wenn er «eine Spielregel absichtlich oder in grober Weise missachtet».
Können Sie ein Beispiel geben?
Darunter fällt meines Erachtens die viel zitierte «brutale Grätsche». Ähnliche Aktionen wie ein Revanche-Foul oder ein Herauslaufen des Torhüters im Stile eines asiatischen Nahkämpfers haben in Deutschland schon zu Verurteilungen geführt.
Spielt es für den Strafrichter eine Rolle, ob der Schiedsrichter das Spiel unterbrochen und den Täter verwarnt oder gar vom Platz gestellt hat?
Nein, das ist absolut irrelevant. Der Richter ist auch nicht an die Zeugenaussage des Schiedsrichters oder an dessen Spielrapport gebunden. Er kann alle Beweise frei würdigen.
Inwiefern ist die Art der Verletzung von Bedeutung?
Eine Körperverletzung im strafrechtlichen Sinn setzt eine gewisse Schwere voraus. Beispiele sind ein Knochenbruch, ein Bänderriss oder eine Gehirnerschütterung.
Was raten Sie einem Sportler, der beim Fussballspiel eine solche Verletzung eingefangen hat?
Wenn er den Eindruck hat, dass ihm die Verletzung absichtlich zugefügt wurde und Zeugen dies bestätigen, würde ich ihm empfehlen, die Sache vor den Richter zu bringen. Er sollte aber nicht gleich am Sonntagabend zur Polizei gehen, denn vielleicht entschuldigt sich der Täter ja, bringt eine Flasche Wein vorbei, und die Angelegenheit ist vergessen.