Wenn die Zeit nicht im Fluge ver geht
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K-Tipp 15/2000
20.09.2000
Flugreisen Bei Verspätungen haben Passagiere viel Verdruss, aber (noch) kaum Rechte
Verspätete Flüge sind ein wachsendes Ärgernis. Jetzt will die EU den Passagieren mehr Rechte geben. Doch die Airlines stellen sich quer, auch in der Schweiz.
Gery Schwager gschwager@k-tip.ch
Medizinprofessor William Meier-Ruge aus Bottmingen BL hatte sich seine Reise von Basel via Zürich nach Graz (A) anders vorgestellt: Schon der Start in Basel-Mülhausen stand ...
Flugreisen Bei Verspätungen haben Passagiere viel Verdruss, aber (noch) kaum Rechte
Verspätete Flüge sind ein wachsendes Ärgernis. Jetzt will die EU den Passagieren mehr Rechte geben. Doch die Airlines stellen sich quer, auch in der Schweiz.
Gery Schwager gschwager@k-tip.ch
Medizinprofessor William Meier-Ruge aus Bottmingen BL hatte sich seine Reise von Basel via Zürich nach Graz (A) anders vorgestellt: Schon der Start in Basel-Mülhausen stand unter einem schlechten Stern. Der von Crossair geführte Swissair-Flug SR 3965 meldete erst eine Stunde Verspätung und fiel dann wegen technischer Probleme ganz aus.
Mit dem nächsten regulären Flug gelangte Meier-Ruge rund drei Stunden später als geplant nach Zürich - wo er bis zum Weiterflug nach Graz erneut etwa zwei Stunden warten musste. Dort traf er mit ungefähr fünfstündiger Verspätung auf seinen ursprünglichen Flugplan ein. «Das Arbeitstreffen, zu dem ich hatte reisen wollen, fiel natürlich ins Wasser», erzählt Meier-Ruge.
Damit nicht genug: Der Rückflug verlief bis Zürich zwar planmässig, doch dann war Endstation. Meier-Ruge: «Nach über 30 Minuten Wartezeit in einem Flughafenbus bei fast 30 Grad teilte man uns mit, dass die Maschine für Flug SR 3966 defekt sei und wir per Car nach Basel gebracht würden.» Informationen darüber, wo er sein Gepäck abholen könne, habe er nicht erhalten.
Mit etwa dreieinhalb Stunden Verspätung kam Meier-Ruge schliesslich in Basel an. Sein Gepäck erhielt er zwei Tage später - «und erst noch völlig zerstört», ärgert er sich.
Das einzige «Trostpflaster» für seine Unannehmlichkeiten sei ein Verpflegungsgutschein gewesen, den er auf dem Hinflug in Zürich erhalten habe. «Beim kaputten Gepäck hat man sich mit dem Hinweis begnügt, ich könne ja Antrag auf Entschädigung stellen», so Meier-Ruge.
Für die SAirGroup, zu der neben Swissair auch Crossair und Balair/CTA gehören, sind Meier-Ruges Erlebnisse «bedauerlich». Sprecher Rainer Meier macht aber geltend, dass man Behinderungen im Luftverkehr wie Verspätungen und Annullierungen «aus diversen Gründen» nicht ausschliessen könne.
Bei Unregelmässigkeiten, zum Beispiel einer Flugannullierung wegen technischen Defekts, biete die Gesellschaft eine Ersatzlösung an und berappe die entsprechenden Auslagen. «Weitere Folgekosten werden nicht übernommen», spricht Meier Klartext.
Jeder vierte Flug startet über 15 Minuten zu spät
Ob die wenig konsumentenfreundliche Haltung der meisten Airlines in Sachen Verspätung ewig Bestand hat, ist allerdings fraglich. Der politische Druck für grosszügigere Regelungen steigt, denn die Unpünktlichkeit im Luftverkehr hat drastische Ausmasse angenommen: Europaweit startet inzwischen jeder vierte Flug mehr als eine Viertelstunde zu spät.
Das will die Europäische Union (EU) nicht länger hinnehmen. Ihre Kommission plant, die «Rechte zum Schutz der Fluggäste» in der EU spürbar auszubauen. Unter anderem sollen Passagiere bei grösseren Verspätungen künftig die Wahl haben zwischen der Rückerstattung des unbenutzten Teils des Flugtickets und dem kostenlosen Umbuchen auf den frühestmöglichen Alternativflug.
Darüber hinaus erwägt die EU-Kommission eine Vorschrift, nach der die Airlines den Passagieren eine Entschädigung zahlen müssten, und zwar auch dann, wenn die Fluggesellschaften nicht selbst für die Verspätung verantwortlich sind. Sie könnten die Kosten anschliessend vom Verursacher der Verspätung, zum Beispiel dem Flughafen oder der Flugsicherung, zurückfordern.
Die europäischen Fluggesellschaften haben diese Pläne in den laufenden Gesprächen mit der EU bisher zurückgewiesen.
Beteiligt an der Debatte ist auch die Swissair, die laut SAirGroup-Sprecher Meier eine Entschädigungspflicht bei Verspätungen ebenfalls klar ablehnt.
Meier nennt dafür mehrere Gründe: So wäre wegen der komplizierten Beweisfrage «mit einer Flut von Prozessen» zu rechnen. Auch müsste man bei unsicherem Wetter «tendenziell Entscheide zu Gunsten der Pünktlichkeit und eher zu Ungunsten der Sicherheit» befürchten.
Entschädigungspflicht: Knacknuss für die EU
Dass die Einführung einer Entschädigungspflicht auf Hindernisse stiesse, räumt die EU-Kommission ein. Gleichwohl will sie zumindest «darüber nachdenken, wie diese Schwierigkeiten überwunden werden könnten».
Bereits aktiv geworden ist die EU, was die bestehenden Passagierrechte betrifft (siehe Kasten). Diese sind seit Ende Juni in einer übersichtlichen Charta an den allermeisten EU-Flughäfen ausgehängt.
Der Idee zu dieser Infokampagne steht die SAirGroup laut Rainer Meier «positiv gegenüber». Und der Flughafen Zürich-Kloten wäre ebenso wie der EuroAirport Basel-Mulhouse-Freiburg bereit, vergleichbare schweizerische Anstrengungen mitzutragen.
Nur der Bund hält eine bessere Information über die Rechte offenbar für unnötig: Passagiere interessierten sich primär für Airline, Flugplan und Tarife, verlautet aus dem Bundesamt für Zivilluftfahrt. Und: «Wieweit mit einer aktiven Informationskampagne das Interesse grösserer Benutzerkreise geweckt werden kann, ist fraglich.»
Einziger Trost für Schweizer Passagiere: Wenn die bilateralen Verträge Schweiz-EU in Kraft treten, werden vergleichbare EU-Kampagnen auch hier zu Lande zum Tragen kommen.
Probleme beim Fliegen: Das sind Ihre wichtigsten Rechte als Passagier
Die folgenden Rechte stehen Ihnen bei Linienflügen aus EU-Ländern zu. Mit In-Kraft-Treten der bilateralen Verträge gelten sie auch für Flüge aus der Schweiz. Die hiesigen Airlines Swissair, Crossair, easyJet Switzerland und KLM alps/Air Engiadina gewähren sie schon jetzt.
- Überbuchung: Sie erscheinen mit gültigem Ticket rechtzeitig zur Abfertigung am Flughafen. Trotzdem lässt die Airline Sie stehen. Jetzt haben Sie die Wahl: Entweder lassen Sie sich das Geld für den unbenutzten Teil Ihres Tickets zurückerstatten oder Sie lassen Ihr Ticket auf einen anderen Flug mit demselben Zielort umbuchen.
Zusätzlich haben Sie bei Flügen bis zu 3500 Kilometern eine Barentschädigung von 150 Euro (zirka 230 Franken), bei längeren Flügen von 300 Euro (460 Franken) zugut. Beträgt Ihre Verspätung dank einer Umbuchung weniger als zwei respektive vier Stunden, halbiert sich der Betrag.
Daneben dürfen Sie kostenlos eine Telefon-, Telex- oder Faxmitteilung an Ihren Zielort durchgeben. Schliesslich übernimmt die Airline entsprechend Ihrer Wartezeit auch Mahlzeiten, Erfrischungen und Hotelunterkunft. Die noch junge easyJet hebt übrigens hervor, dass sie ihre Flüge prinzipiell nie überbuche.
- Unfall: Bei Unfällen haftet die Fluggesellschaft grundsätzlich finanziell unbegrenzt für den Tod oder die Verletzung eines Passagiers. Ihre Haftung ist nur dann eingeschränkt oder ausgeschlossen, wenn die Airline nachweislich alle erdenklichen Massnahmen zur Verhinderung des Schadens getroffen beziehungsweise der Passagier selbst diesen ganz oder teilweise fahrlässig verursacht hat. Beträgt die geforderte Summe nicht mehr als rund 130000 Euro (200000 Franken), verzichtet die Airline auf den Einwand, dass sie alle notwendigen Massnahmen zur Vermeidung des Schadens getroffen habe. Sie muss zudem innert 15 Tagen einen Vorschuss (im Todesfall mindestens rund 20000 Euro oder gut 30000 Franken) leisten.
Die Airline KLM alps/Air Engiadina beziffert ihre Haftungslimite allerdings auf 500000 Franken und teilt weiter mit, der geschilderte Einwandverzicht sei nicht Bestandteil ihrer Beförderungsbedingungen.
- Verspätung: Für Schäden aus Verspätungen haften Airlines limitiert und nur dann, wenn sie nicht nachweisen können, dass sie alles Zumutbare zur Verhinderung unternommen haben. Fast immer tragen sie aber Ihre Kosten für Verpflegung und Hotel inklusive Taxi. EasyJet zahlt bei Verspätungen von über vier Stunden ungeachtet der Ursache den Ticketpreis zurück.
- Gepäck: Fluggesellschaften haften für Verlust oder Schäden an eingechecktem Gepäck begrenzt - ausser es trifft sie ein schweres Verschulden am Schaden. In der Regel bemisst sich der Ersatz nicht nach dem eigentlichen Wert, sondern nach dem Gewicht des Gepäcks. Derzeit erhalten Sie 36 Franken pro Kilo.