Wenn Jugendliche über Gebühr telefonieren
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K-Tipp 14/2001
05.09.2001
Offene Handy-Rechnung 17-Jähriger schuldet der Swisscom 6500 Franken - die Eltern müssen dafür nicht geradestehen
Viele Eltern zahlen zähneknirschend die Handy-Rechnungen ihrer Kids. Das müssen sie nicht. Denn Eltern haften nicht für Schulden ihrer Kinder - auch nicht, wenn sie den Vertrag mit- unterschrieben haben.
Thomas Müller tmueller@ktipp.ch
Vor ein paar Jahren noch brauchten Jugendliche ihr Geld vor allem für Kino, Zigaretten und den ...
Offene Handy-Rechnung 17-Jähriger schuldet der Swisscom 6500 Franken - die Eltern müssen dafür nicht geradestehen
Viele Eltern zahlen zähneknirschend die Handy-Rechnungen ihrer Kids. Das müssen sie nicht. Denn Eltern haften nicht für Schulden ihrer Kinder - auch nicht, wenn sie den Vertrag mit- unterschrieben haben.
Thomas Müller tmueller@ktipp.ch
Vor ein paar Jahren noch brauchten Jugendliche ihr Geld vor allem für Kino, Zigaretten und den öffentlichen Verkehr. Seither ist ein Kostenfaktor dazugekommen: das Natel.
«Heute müssen sich die Jungen entscheiden zwischen SMS und Rauchen», sagt Thomas Maurer, Chef der Firma Autronic, die in der Schweiz Handys der Marken Nokia und Motorola an die Händler verteilt.
Bloss: Viele Jugendliche können sich nicht entscheiden - und geraten in finanzielle Schwierigkeiten. «Auffallend viele Jugendliche fragen auf der Jugendberatung um Rat betreffend offene Handy-Rechnungen», heisst es im neusten Jahresbericht der Basler Freizeitaktion. Im Durchschnitt würden diese Jugendlichen für 150 bis 320 Franken pro Monat telefonieren und SMS verschicken.
So oder ähnlich tönt es bei allen angefragten Beratungsstellen. «Wenn Jugendliche Schulden haben, sind immer Handy-Rechnungen dabei», sagt etwa Martin von Känel von der Fachstelle Schuldensanierung in Thun BE. Und Jürgen Steinberger von der Stiftung Netzwerk in Uster ZH bemängelt, dass Junge fast kostenlos zu einem Handy kommen. «Gerade Jugendliche mit sozialen Problemen können dieser Verlockung oft nicht widerstehen und sind sich der finanziellen Verantwortung nicht bewusst.»
«Jugendsünde wird noch lange zu beissen geben»
Einer von ihnen ist K. Mit 17 Jahren kaufte er für je einen Franken zwei Natels und schloss zwei Aboverträge mit Swisscom ab. Seine Mutter unterschrieb die Verträge ebenfalls.
K. nutzte die Geräte eifrig: Von Juli bis Dezember 2000 häuften sich Rechnungen im Gesamtbetrag von 6413 Franken und 15 Rappen an - durchschnittlich über 1000 Franken pro Monat. Zu viel für K., der nur über einen Praktikumslohn von 500 Franken verfügte.
Als ihm Swisscom einen Zahlungsbefehl ins Haus schickte, schlug K. der Telefongesellschaft vor, monatliche Raten von 15 Franken zu zahlen. Mehr liege nicht drin, weil er mit seinem Lohn sämtliche persönlichen Auslagen bestreiten müsse.
Swisscom war das zu wenig. Sie setzte die Betreibung fort - und erhielt am Schluss einen Verlustschein. Damit kann sie K. belangen, sobald er mehr verdient. «Ich werde noch lange an dieser Jugendsünde zu beissen haben», bilanziert K.
Dass Minderjährige im eigenen Namen und mit Unterschrift des gesetzlichen Vertreters einen Abovertrag abschliessen können, ist nur bei Swisscom möglich. Die beiden anderen Mobilfunk-Anbieter Sunrise und Orange verlangen nicht nur, dass ein Elternteil mitunterschreibt, sondern dass der ganze Vertrag auf ihn lautet. Das hat Folgen für die Haftung. Bei Orange und Sunrise sind Vater oder Mutter als Vertragspartner für die Bezahlung der Abo- und Gesprächsgebühren verantwortlich, bei Swisscom der Jugendliche selbst. Die Eltern haften gegenüber Swisscom nicht, obwohl sie mitunterschrieben haben.
Trotz Unterschrift: Eltern sind nicht haftbar
«Eltern haften nur dann, wenn sie eine eigentliche Haftungserklärung unterzeichnet haben», erklärt der Berner Rechtsprofessor Thomas Koller - und korrigiert damit einen weit verbreiteten Irrglauben. «Wenn Eltern einen Vertrag ihres Kindes bloss mitunterschreiben, bestätigen sie lediglich, dass sie damit einverstanden sind.»
Dies gilt nicht nur für Aboverträge, sondern für alle Verträge Minderjähriger. So müssen Eltern auch nicht für den Ausgleich eines Bankkontos besorgt sein, das Sohn oder Tochter mit Hilfe der EC-Karte überzogen hat.
Bedeutsam ist die Unterschrift der Eltern hingegen für die Haftung des Jugendlichen selber:
- Ohne elterliche Unterschrift können sich Minderjährige nur im Rahmen ihres Taschengelds oder Lehrlingslohns sowie allfälliger daraus gebildeter Ersparnisse verpflichten. Bucht also ein Lehrling mit einem Monatseinkommen von 800 Franken eine 3000-fränkige Reise, hat das Reisebüro das Nachsehen, wenn die Eltern nicht einverstanden sind: Der Vertrag ist ungültig, der Lehrling muss nichts zahlen.
- Mit elterlicher Unterschrift können sich Jugendliche grundsätzlich unbeschränkt verpflichten. «Die Jungen haften dann mit ihrem ganzen Vermögen, zum Beispiel auch mit einer Erbschaft», erläutert Hans Michael Riemer, Rechtsprofessor an der Uni Zürich. Hat ein Minderjähriger allerdings nur ein Taschengeld oder einen Lehrlingslohn, erhält die betreibende Firma meist nur einen Verlustschein.
- Urteilsunfähige Kinder können gar keine Verträge abschliessen - weder mit noch ohne Unterschrift der Eltern. Als Faustregel gilt eine Grenze von zehn Jahren. Jüngere können höchstens am Kiosk ein Schoggistängeli kaufen.
Beim Kauf zählt das Geld, nicht das Alter des Kunden
Diese Regeln gelten auch, wenn ein Minderjähriger ein Natel ohne Abo, aber mit Prepaid-Karte («easy», «pronto», «prepay») kaufen will. Solche Geräte sind bei der Anschaffung teurer, weil der Händler in diesem Fall von der Telefongesellschaft keine Abo-Provision erhält. Ein Natel inklusive Sim-Karte und Gesprächsguthaben kostet ab hundert bis mehrere hundert Franken.
Bei solchen Beträgen erstaunt es, dass sich die meisten Geschäfte nicht für das Alter ihrer Kunden interessieren. «Jeder, der genügend Geld mitbringt, kann bei uns ein Natel kaufen», sagt Media-Markt-Sprecher Urs Spahr. «Den Ausweis verlangen wir nur, wenn jemand ein Abo wünscht.»
Die gleiche Praxis herrscht bei Dezag, Eschenmoser, Mobilezone und Schaefer. Einzig Fust verlangt bei einem Gesamtpreis von über 300 Franken die Unterschrift des gesetzlichen Vertreters.
Damit gehen die Geschäfte ein Risiko ein. Kauft nämlich ein Schüler, der im Monat 50 Franken Taschengeld erhält und über kein Erspartes verfügt, ein 700-fränkiges Natel mit easy-Karte und verweigern die Eltern nachträglich die Zustimmung, ist der Vertrag gegenstandslos.
Der Verkäufer muss dann das Gerät zurücknehmen und den Kaufpreis zurückerstatten - auch wenn es schon ausgepackt und kurze Zeit benützt wurde. Allerdings müssen die Eltern sofort reagieren, wenn sie den Handykauf ihres Kindes nicht akzeptieren wollen.
Mögliche Natel-Rückgaben verursachen bei Eschenmoser-Geschäftsleiter Christoph Rohland kein Bauchweh: «Geschäfte sind immer mit einem Risiko verbunden. No risk, no fun.»
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Mit Prepaid die Kosten im Griff
So können Sie verhindern, dass sich Ihr Kind mit dem Mobiltelefon verschuldet:
- Fachleute empfehlen für Jugendliche ein Natel mit Prepaid-Karte. Da die Gesprächsgebühren im Voraus zahlbar sind, können Minderjährige nicht über ihre Verhältnisse telefonieren und SMS verschicken. Ein Natel mit Abo ist nur für Jugendliche ratsam, die ihre Gesprächskosten im Griff haben.
- Machen Sie mit Ihrer Tochter oder Ihrem Sohn ab, ob und welchen Betrag Sie pro Monat an die Handy-Kosten beisteuern. Falls Ihr Kind ein Abo hat, schauen Sie die Gebührenrechnungen jeweils gemeinsam mit ihm an.
- Bei allen Anbietern können Sie gewisse Nummern - zum Beispiel 0900er - sperren lassen. Fragen Sie den Kundendienst. Orange bietet Abo-Kunden ausserdem die Möglichkeit, via Internet die laufenden Kosten einzusehen.
- Sunrise und Orange überlassen das Inkasso ausstehender Abo- und Gesprächsgebühren externen Büros - etwa der Firma Intrum Justitia. Für die Kosten des Inkassobüros («Verzugsschaden», «Adress- und Bonitätsprüfkosten») müssen Sie nicht aufkommen.
- Wenden Sie sich bei Problemen frühzeitig an eine Budget-Beratungsstelle (Adressen unter www.asb-budget.ch) oder an die Jugend- und Familienberatungsstelle Ihrer Gemeinde.
Abo-Gebühren und vorzeitige Kündigung: Das Gratis- Handy kann teuer werden
Wer einen Abovertrag mit Swisscom, Orange oder Sunrise abschliesst, erhält das Natel fast gratis. Doch solche Verträge können ganz schön ins Geld gehen.
Ein Nokia 8210 für 0 Franken. Mit diesem Angebot warb die Firma Dezag im August in Zeitungsinseraten. Der Haken daran: Das Gratis-Natel erhält nur, wer gleichzeitig ein Sunrise-Abo für mindestens 24 Monate abschliesst. Dieses kostet zwischen 25 und 160 Franken pro Monat, wobei eine bestimmte Anzahl Gesprächsminuten inbegriffen ist.
Ohne Abo kostet das Nokia 8210 laut Dezag-Inserat 498 Franken. Der Grund: Wenn der Kunde kein Abo abschliesst, erhält die Dezag von Sunrise keine Provision.
Das ist auch bei Swisscom und Orange so. Und damit der Kunde mit dem Gratis-Natel nicht gleich wieder abspringt, binden sie ihn mit einer so genannten «Mindestvertragsdauer». Bei Swisscom und Orange beträgt sie 12 Monate, bei Sunrise je nach Angebot 12 oder 24 Monate.
Damit nicht genug: Die Verträge verlängern sich jeweils automatisch um ein Jahr, wenn der Kunde nicht rechtzeitig kündigt. Die Kündigungsfrist beträgt bei Orange 30 Tage, bei Swisscom 60 Tage und bei Sunrise zwei Monate.
Steigt der Kunde vorzeitig aus, kostet ihn das gemäss Vertragsbedingungen in der Regel 300 Franken, bei den zweijährigen Verträgen von Sunrise sogar 400 Franken.
Je nach Verkaufsgeschäft kommt aber noch eine zusätzliche Forderung auf Sunrise- oder Orange-Kunden zu. Denn diese Telefongesellschaften verlangen bei einer vorzeitigen Abo-Kündigung die Provision vom Händler zurück.
Dieses Risiko wälzen einige Geschäfte auf ihre Kunden ab. So steht etwa in den Verträgen von Fust, dass der Natel-Käufer «bei Auflösung des Abonnementsvertrages vor Ablauf der vereinbarten Mindestdauer den vollen Listenpreis» zahlen muss. Der Käufer muss also die Differenz zwischen dem Billigpreis mit Abo und dem Listenpreis ohne Abo nachzahlen.