Wer muss für andere Haare lassen?
Die Zollstatistik zeigt: Über die Hälfte der importierten Naturhaare stammt aus China. Doch die Coiffeurbranche behauptet etwas anderes.
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K-Tipp 3/2004
11.02.2004
Pirmin Schilliger - redaktion@ktipp.ch
Mehr als 150 Coiffeursalons in der Schweiz bieten die so genannten «Extensions» an. Dabei wird echtes fremdes Haar ans eigene angesetzt. Ganz billig ist das nicht. Um in Kürze zu einer langen Haarpracht zu kommen, muss die Kundin bis 1500 Franken hinblättern.
Mit einer brisanten Aussage hat vor kurzem Fussballergattin Victoria Beckham in England eine Diskussion über die Ethik von Haarverlängerungen ausgelöst. In einem Interview erklärte die Pop-Diva, ihr neues langes Haar ...
Mehr als 150 Coiffeursalons in der Schweiz bieten die so genannten «Extensions» an. Dabei wird echtes fremdes Haar ans eigene angesetzt. Ganz billig ist das nicht. Um in Kürze zu einer langen Haarpracht zu kommen, muss die Kundin bis 1500 Franken hinblättern.
Mit einer brisanten Aussage hat vor kurzem Fussballergattin Victoria Beckham in England eine Diskussion über die Ethik von Haarverlängerungen ausgelöst. In einem Interview erklärte die Pop-Diva, ihr neues langes Haar stamme von russischen Gefängnisinsassinnen. Kriminelle als Haarspender - das will nicht so richtig ins Bild einer heilen Welt passen, in der sich so vieles um die Schönheit dreht.
Doch woher stammen die Haare, die in der Schweiz für «Extensions» verwendet werden? Der K-Tipp hat den Markt unter die Lupe genommen und Importeure und Händler befragt.
«Wir beziehen keine Haare aus Russland», erklärt Sara De Zorzi von der Rolph Postiches AG in Wallisellen ZH. Die Firma beliefert Coiffeurgeschäfte in der ganzen Schweiz mit echten Haaren. Diese stammten ausschliesslich aus Indien und aus der Türkei, versichert De Zorzi.
Einnahmequelle für indische Klöster
Nicht viel anders tönt es bei Great Lengths, einem europaweit tätigen Franchiser für Haarverlängerungen. «Mir ist kein Hersteller bekannt, der Haar von russischen Gefangenen verarbeitet», sagt Firmensprecherin Tamara Emken. Great Lengths verarbeite nur indisches Echthaar, betont sie. Lieferantinnen seien junge Frauen, die sich vor der Hochzeit aus religiösen Gründen ihre Zöpfe schneiden lassen und diese dann einem Tempel schenken würden. Für die Mönche sei der Verkauf der Haare eine wichtige Einnahmequelle, heisst es bei Great Lengths weiter. «Wir informieren unsere Kundinnen selbstverständlich über die Herkunft des Haares», so Emken.
Die Herzig Interlock in Aarau, Schweizer Marktführerin im Handel mit echten Haaren, deckt sich grösstenteils in Indonesien ein. Dieses Haar sei dem europäischen Haar am ähnlichsten.
Dass Victoria Beckhams Aussage zumindest auf die Schweiz nicht zutrifft, bestätigt auch die Importstatistik. Unter den Herkunftsländern sind weder Russland noch sonstige osteuropäische Staaten aufgeführt. Trotzdem stimmen die Zahlen hier nachdenklich, denn sie decken sich nicht mit den gegenüber dem K-Tipp gemachten Angaben der Händler und Importeure. Die Hälfte der im letzten Jahr eingeführten über 14 Tonnen Menschenhaare kam nämlich aus China. Hingegen spielen die von den Händlern als hauptsächliche Bezugsquelle erwähnten Länder Indien und Indonesien in der Zollstatistik nur eine verschwindend kleine Rolle. Weit wichtiger sind hier Italien und auch Deutschland.
Über die Gründe dieser Ungereimtheiten lässt sich nur rätseln. «Es gibt in diesem globalen Geschäft einen blühenden Zwischenhandel», gibt der Sprecher der Zolldirektion zu bedenken. Er schliesst nicht aus, dass viele Haare über ziemlich verschlungene Wege letztlich in die Schweiz finden - und die genaue Herkunft deshalb im Dunkeln bleibt.