Wer zahlt, befiehlt - ausser beim Strom - Elektrizität: Privathaushalte im Abseits
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K-Tipp 6/2000
22.03.2000
Kleinkonsumenten müssen bangen: Zieht sich die Öffnung des Strommarkts über Jahre hin, zahlen sie noch lange zu hohe Preise. Grossverbraucher dagegen profitieren schon heute von Rabatten.
Die Gebietsmonopole in der Schweizer Elektrizitätsversorgung treiben wunderliche Blüten: In Aigle etwa flattert einem Durchschnittshaushalt, der jährlich 4800 Kilowattstunden (kWh) Strom verbraucht, eine fast zweieinhalbmal so hohe Rechnung ins Haus wie in Martigny (vgl. Grafik Seite 7 nich...
Kleinkonsumenten müssen bangen: Zieht sich die Öffnung des Strommarkts über Jahre hin, zahlen sie noch lange zu hohe Preise. Grossverbraucher dagegen profitieren schon heute von Rabatten.
Die Gebietsmonopole in der Schweizer Elektrizitätsversorgung treiben wunderliche Blüten: In Aigle etwa flattert einem Durchschnittshaushalt, der jährlich 4800 Kilowattstunden (kWh) Strom verbraucht, eine fast zweieinhalbmal so hohe Rechnung ins Haus wie in Martigny (vgl. Grafik Seite 7 nicht in DB aufgenommen).
Doch nicht nur bei der Höhe, auch bei der Struktur der Tarife herrscht Wildwuchs. So verrechnen viele Stromgesellschaften ausser dem Konsum- einen zumindest teilweise verbrauchsunabhängigen Grundpreis (und bestrafen damit Stromsparer), während andere darauf verzichten.
Sehr eigenwillig gebärden sich die 1200 Elektrizitätswerke ferner, was die Dauer von Hoch- und Niedertarifzeiten, die Bewertung von Werktags- und Wochenendbezügen sowie die Definition von Winter- und Sommerstrom betrifft.
Die Folge ist ein Tarif-Chaos mit höchst unterschiedlichen Preisen, dem Konsumentinnen und Konsumenten ohnmächtig ausgeliefert sind.
"Solange in der Strombranche kein Wettbewerb besteht, können die An-bieter in ihrer Tarifpolitik weitgehend machen, was sie wollen", ärgert sich Heini Glauser, Vizepräsident der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES).
Schwacher Trost: In den Nachbarländern Frankreich, Italien und Österreich sind Privathaushalte momentan ebenfalls noch an Monopolversorger gebunden.
Die Stromkosten in Mülhausen, Como und Bregenz zum Beispiel bewegen sich auf einem Niveau, das innerhalb der schweizerischen Bandbreite liegt, wie die K-Tip-Umfrage ergeben hat. In Deutschland hingegen, das zeigt der Blick nach Tuttlingen im Bundesland Baden-Württemberg, eröffnen sich den Kleinverbrauchern seit der totalen Liberalisierung des Elektrizitätsmarktes Mitte 1999 beträchtliche Sparmöglichkeiten.
Politische und weitere Gründe für das Tarif-Chaos
Für die bei uns wild wuchernden Tarife führt der Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE) mehrere Gründe an. Vor allem falle die unterschiedliche Netzstruktur ins Gewicht: "Ländliche Netze sind teurer als städtische", erklärt VSE-Pressechefin Nelly Lehmann. Unterschiedlich mische ferner die Kommunalpolitik mit.
Tatsächlich lassen sich Gemeinden, denen die meisten Elektrizitätswerke gehören, teilweise grosszügig mit Gratisstrom oder Umsatzabgaben in die öffentliche Kasse bedienen.
SES-Vizepräsident Heini Glauser sieht noch weitere Ursachen: Die Tarifstruktur einiger Stromversorger unterliege "starkem äusserem Druck etwa von Industrieunternehmen, Wirtschaftsvertretern und deren Lobbyisten", hält er fest. Und nicht selten betrieben Anbieter mit ihren Preisen radikale Interessenpolitik: "Sie bieten zum Beispiel billige Winter-Nachttarife an mit dem Ziel, die Verbreitung von Elektroheizungen zu fördern und so ihre Stromüberschüsse abzubauen."
Rafael Corazza, stellvertretender Preisüberwacher, sind die massiven regionalen Tarifdifferenzen ein Dorn im Auge. "Dass sie so lange Bestand hatten, ist die Folge der abgeschotteten Monopolmärkte", sagt er. Doch Corazza wittert Morgenluft: Mit der Öffnung des Strommarktes werde endlich Preistrans-parenz entstehen.
Noch lange keine Rabatte für Privathaushalte?
Politisch ist allerdings noch nicht definitiv entschieden, wie rasch die Marktöffnung erfolgt. Als nächste Instanz debattiert der Ständerat voraussichtlich in der kommenden Sommersession über die Vorlage.
Setzt sich am Schluss der politischen Ausmarchung das Stufenkonzept des Bundesrats durch, dürfen in der ersten Phase der Liberalisierung - frühestens ab 2001 - nur die Grossbetriebe mit einem Jahresstromverbrauch von mindestens 20 Millionen kWh ihre Anbieter frei aussuchen (Kasten ). Privathaushalte dagegen müssen sich noch sechs Jahre gedulden.
Dieser Vorgehensplan berücksichtigt voll und ganz die Befürchtung der Elektrizitätswirtschaft, bei einer raschen und vollständigen Marktöffnung teuer produzierende Kraftwerke nicht mehr amortisieren zu kön