Werbehorror für 4-Jährige
Wer im Kino einen Kinderfilm schauen geht, kann davor eine böse Überraschung erleben: Spots und Vorfilme mit Bier, Leichen, Skeletten und Totenköpfen.
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K-Tipp 3/2004
11.02.2004
Marco Diener - mdiener@ktipp.ch
Eigentlich wollte sich Franz Stalder aus Kehrsatz BE mit seinem vierjährigen Sohn im Berner Kino Jura nur in aller Ruhe die Nachmittagsvorstellung des Kinderfilms «Findet Nemo» ansehen. Doch vor dem Film über den kleinen, herzigen Clownfisch mussten die beiden 25 Minuten Werbung und Vorfilme über sich ergehen lassen.
Und was für welche! Zum Beispiel eine Bierwerbung. Aber auch ein Spot mit einem nackten, Händchen haltenden Liebespaar. Er beginnt ganz harmlos: Sie liegt mit ...
Eigentlich wollte sich Franz Stalder aus Kehrsatz BE mit seinem vierjährigen Sohn im Berner Kino Jura nur in aller Ruhe die Nachmittagsvorstellung des Kinderfilms «Findet Nemo» ansehen. Doch vor dem Film über den kleinen, herzigen Clownfisch mussten die beiden 25 Minuten Werbung und Vorfilme über sich ergehen lassen.
Und was für welche! Zum Beispiel eine Bierwerbung. Aber auch ein Spot mit einem nackten, Händchen haltenden Liebespaar. Er beginnt ganz harmlos: Sie liegt mit offenen, unbeweglichen Augen da und blickt zu ihrem Partner hinüber; er scheint bereits zufrieden vor sich hinzudösen. Man könnte meinen: eine Szene möglicherweise nach dem Liebesakt. Nach und nach schwenkt die Kamera zwischen den beiden Körpern zu den Füssen hinunter und zeigt, dass an den grossen Zehen je eine Namensetikette hängt. Jetzt dürfte es jeder Zuschauer gemerkt haben: Das Paar liegt nicht im warmen Bett, sondern auf der Bahre in einer gekühlten Leichenhalle. Und die Botschaft lautet: «Act against Aids.» Zu Deutsch: «Tut was gegen Aids.»
Ein anderes Beispiel: der Vorfilm auf den neuen Eddie-Murphy-Streifen «The haunted mansion - die Geistervilla». Da wimmelt es nur so von bösen Geistern, von Äxten und Schwertern, von Totenköpfen und Skeletten. Die Website moviemaze.de bezeichnet den Streifen als «netten kleinen Horrorfilm». Und dabei ist «Findet Nemo» in Bern für Kinder in Begleitung Erwachsener schon ab vier Jahren freigegeben.
Vorfilme für ein anderes Publikum
«Mir verschlug es die Sprache», ärgert sich Franz Stalder. «Erstens frage ich mich, warum sich kleine Kinder mit 25 Minuten Werbung abmühen sollen. Und zweitens finde ich, dass solche Spots und Vorfilme für ein anderes Publikum besser geeignet wären.»
Beim Anti-Aids-Spot handle es sich «um eine Aktion des Bundesamts für Gesundheit», sagt Willy Heinzelmann, Geschäftsleitungs- und Verwaltungsratsmitglied der Kitag, die das Kino Jura in Bern betreibt. «Der Spot wurde landesweit unentgeltlich geschaltet. Der Kinobesitzer hat dazu nichts zu sagen», behauptet er.
Doch hier widerspricht Sylvie Leuthold vom Bundesamt für Gesundheit: «Wir sind angefragt worden, ob wir mitmachen. Doch wir haben abgesagt.» Denn der Spot arbeite mit Angst- und Drohbotschaften. «Wir wollen keine Angst verbreiten, sondern Präventionsarbeit betreiben», sagt Leuthold. Das Bundesamt habe mit dem Spot rein gar nichts zu tun.
Und auch Corinne Blaser von der Werbepächterin Cinecom will sich die Schuld an der unglücklichen Programmierung des Anti-Aids-Spots nicht in die Schuhe schieben lassen. Die Cinecom stelle Werbefilmrollen für bestimmte Kinos zusammen, aber nicht für bestimmte Filme, sagt sie. «Falls ein Spot heikel ist, nehmen die Kinobetreiber Kontakt mit uns auf, damit wir den Spot allenfalls aus der Rolle entfernen können.»
Auch die Dauer der Werbefilme scheint für viele Kinder ein Problem zu sein. Bei zwei Augenscheinen des K-Tipp stellten Kinder immer wieder die gleiche Frage: «Wann kommt endlich Nemo?»
Doch das scheint Willy Heinzelmann von der Kitag nicht zu kümmern. Auch auf mehrmaliges Nachfragen des K-Tipp beantwortete er Fragen nach der Länge der Werbung und zum Vorfilm «Die Geistervilla» nicht.
Haben Sie sich auch schon über ungeeignete und/oder zu lange Werbefilme im Kino geärgert? Berichten Sie darüber auf www.ktipp.ch.