Verkeimt hinter den Ohren
Schmutziger als Bancomat-Tastaturen: 11 von 30 Kopfstützen in Zügen waren stark verkeimt. Die SBB beteuern, sie würden die Sitze regelmässig reinigen.
Inhalt
K-Tipp 17/2006
18.10.2006
Martin Arnold - redaktion@ktipp.ch
Ein häu?g gesehenes Bild in Erstklassabteilen der SBB: Bevor Passagiere Platz nehmen, klappen sie - aus Ekel - das Tuch oder Kissen der Kopfstütze nach oben. Der K-Tipp wollte deshalb durch eine Stichprobe heraus?nden, wie es um die Sauberkeit bei diesen Kopfstützen in der 1. und 2. Klasse tatsächlich steht.
Für die bakterielle Belastung im Kopfbereich von Bahnsesseln gibt es keinen gesetzlichen Grenz- oder Toleranzwert. Doch ein Vergleich mit Messungen vor zwei Jahren ist au...
Ein häu?g gesehenes Bild in Erstklassabteilen der SBB: Bevor Passagiere Platz nehmen, klappen sie - aus Ekel - das Tuch oder Kissen der Kopfstütze nach oben. Der K-Tipp wollte deshalb durch eine Stichprobe heraus?nden, wie es um die Sauberkeit bei diesen Kopfstützen in der 1. und 2. Klasse tatsächlich steht.
Für die bakterielle Belastung im Kopfbereich von Bahnsesseln gibt es keinen gesetzlichen Grenz- oder Toleranzwert. Doch ein Vergleich mit Messungen vor zwei Jahren ist aufschlussreich. Damals untersuchte der K-Tipp WC-Anlagen in Zügen und öffentlich zugängliche Tastaturen. Die unrühmlichen Spitzenreiter damals: ein Bancomat der UBS am Zürcher Paradeplatz, der auf einer Fläche von 5 x 5 cm (25 cm2) 137 Mikroben (Schmutzkeime) aufwies, sowie die WC-Spültaste im Interregio Luzern-Zürich, wo man auf einer Probe 220 Bakterien zählte.
Rekordwert in der 1. Klasse eines IC
Auf der gleichen Zugstrecke wies das Kopftuch auf einem Sitz der 1. Klasse am Testtag nun 218 Keime pro 25 cm2 auf - also beinahe den gleichen Wert wie zwei Jahre zuvor besagte Toilette. Der Höchstwert aber wurde bei einem Sitz in der 1. Klasse im IC 918 von Romanshorn nach Interlaken gemessen: 736 Bakterien!
11 von 30 Proben, die von einem anerkannten Labor im Auftrag des K-Tipp untersucht wurden, wiesen eine höhere Verkeimung als 100 auf.
In einer früheren Untersuchung zu den Toiletten auf Autobahn-Raststätten bezeichnete der deutsche ADAC gar einen höheren Wert als 30 Keime pro 25 cm2 als «Hinweis auf mangelnde Hygiene». Legt man diesen Massstab an, wären bei den SBB 18 Proben unhygienisch. Der Kommentar der Laborleiterin: «Bakterien brauchen für ihre Vermehrung Wärme, Nährstoffe und Feuchtigkeit. Die Wärme ist auch im Frühherbst gegeben, die Nährstoffe bekommen die Bakterien von den Schuppen und vom Schweiss der Passagiere.»
In der Stichprobe schnitt die 1. Klasse deutlich schlechter ab: Acht Proben wiesen eine vergleichsweise sehr hohe Verkeimung auf. SBB-Sprecher Roland Binz hat keine plausible Erklärung: «Wir reinigen jeden Tag die Sitzpolster, saugen wöchentlich und nehmen einmal monatlich eine Tiefenreinigung vor. Zudem wechseln wir schmutzige Kopftücher täglich.» Allerdings, so Binz, «werden saubere Tücher höchstens alle zwei Monate ersetzt».
Pikant ist die Auskunft eines Mitarbeiters im SBB-Reinigungsteam Luzern (Name der Red. bekannt): «Ich gehe davon aus, dass die SBB-Wagen noch vor zehn Jahren häufiger, intensiver und mit schärferen Mitteln gereinigt wurden.» Die stärkere Verschmutzung von 1.-Klass-Sitzen erklärt er so: Ein Teil der Kopfstützen in der 2. Klasse seien aus Kunststoff und liessen sich deshalb viel einfacher reinigen als die Stofftücher der 1. Klasse.
Immerhin: Nirgends Fäkalbakterien
Für Roland Binz sind die vom K-Tipp ermittelten Werte nicht dramatisch: «In Biologie-Fachkreisen gilt das Vorkommen von mehreren 100 Keimen pro Probe als normal und gesundheitlich unbedenklich.»
Ein schwacher Trost bleibt SBB-Kunden: Der K-Tipp fand nur vereinzelt Fäkalbakterien und Staphylokokken, die Infektionen und Krankheiten auslösen können. Zudem siehts in anderen Länden einiges schlimmer aus: In Italien wurden zum Beispiel schon mehrfach ganze Zugskompositionen aus dem Verkehr gezogen. Der Grund: Über die Hosen und Röcke der Passagiere waren Flöhe, Zecken und Wanzen gekrabbelt.
Die 11 stark verschmutzten Züge
Die Messungen der Kopfstützen in folgenden Zügen wiesen eine Verkeimung von über 100 Mikroben (Schmutzkeimen) auf einer Fläche von 5 x 5 cm (25 cm2) nach:
- Romanshorn-Interlaken, IC 918, 1. Klasse (736 Keime pro 25 cm2)
- Basel-Brig, IC 867, 1. Klasse (602 Keime)
- Brig-Basel-Brüssel, EC 90, 1. Klasse (286 Keime)
- Zürich-Oerlikon, S16 (13.47 Uhr), 1. Klasse (280 Keime)
- Basel-Lausanne, ICN 1630, 1.Klasse (270 Keime)
- Luzern-Zug, IR 2332, 1. Klasse (218 Keime)
- Zug-Zürich, IR 2336, 2. Klasse (216 Keime)
- Arth-Goldau-Zürich, EC 170 (Cisalpino), 2. Klasse (149 Keime)
- Zürich-Flughafen-Basel, IR 2072 Z, 1. Klasse (122 Keime)
- Luzern-Olten, S8, 2. Klasse (112 Keime)
- Bern-Biel, IR 1841, 1. Klasse (103 Keime)
Gemessen wurde am 25. 9. 2006
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