Ende 2017 ging es Eveline Wanner (Name geändert) schlecht: «Ich spürte eine enorme Spannung in meinem Körper. In meinem Kopf war ein Balken.» Die 27-jährige Frau aus dem Kanton Aargau leidet unter einer «emotional instabilen Persönlichkeitsstörung Borderline-Typ» – so lautet die medizinische Fachbezeichnung. Leute mit dieser Krankheit neigen unter anderem dazu, sich auf intensive, aber instabile Beziehungen einzulassen. Zudem sind sie selbstmordgefährdet.
Wanner liess sich bei den Psychiatrischen Diensten Aargau ambulant behandeln. Mitte Februar 2018 trat sie dann in die Psychiatrische Klinik in Windisch AG ein. Dort blieb sie mit Unterbrüchen bis zu ihrem Austritt Mitte August. Am 25. September versuchte sie sich umzubringen: Sie sprang zu Hause aus dem zweiten Stock zehn Meter in die Tiefe. Wanner brach sich Becken, Ferse und Schambein – überlebte aber den Sturz.
Nach der Operation kehrte sie im Oktober zur stationären Behandlung in die psychiatrische Klinik zurück und blieb dort bis Ende Februar dieses Jahres.
Während ihres Klinikaufenthalts stiess sie im Internet auf die Website www.zukunftsblick.ch, die von einer gleichnamigen Firma mit Sitz in Malta betrieben wird. Sie bietet telefonische Beratungen zu 50 verschiedenen Themen «aus der Welt der Esoterik & Spiritualität» an, von «Astrologie» über «Hellsehen» bis «Zigeuner-Karten». Kosten: Fr. 2.99 pro Minute.
«Sie sagten, dass die Krankheit weggehe»
Eveline Wanner telefonierte mit drei Beraterinnen aus der Abteilung «Hellsehen». «Ich wollte herausfinden, wie es mit mir weitergeht», erzählt Wanner. Daher sagte sie den Frauen, dass sie in einer Psychiatrie sei. «Ich fühlte mich aufgehoben. Alle Beraterinnen waren sehr verständnisvoll. Sie sagten mir, dass die Krankheit wieder weggehe.»
Eveline Wanner rief oft mehrere Male pro Tag an. Mit der Monatsrechnung vom Mai 2018 verlangte die Swisscom dafür über 4000 Franken. Diesen Betrag zahlte Wanner noch. Es folgten Rechnungen über 2000 bis 3000 Franken pro Monat. Bis Oktober waren es total 9875 Franken. Dann telefonierte Wanner nicht mehr.
Die Psychiatriepatientin weigerte sich gegenüber der Swisscom, diese Rechnung zu zahlen. Sie sei nicht urteilsfähig gewesen – der Vertrag sei also ungültig. Die Swisscom strich die entsprechenden Posten von den Rechnungen. Darauf schaltete Zukunftsblick die Firma Inkassolution ein. Mitte Dezember forderte dieses Inkassobüro von Wanner über 11 000 Franken. Sie zahlte nicht. Anfang Januar 2019 erhielt sie einen Zahlungsbefehl. Sie stoppte die Betreibung mit einem Rechtsvorschlag.
Seither wird die Frau in Ruhe gelassen. Zukunftsblick hat beim Gericht keine Klage eingereicht. Das erstaunt nicht: Die Frau könnte nur zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie beim Telefonieren urteilsfähig gewesen wäre.
Eduard Zander behandelte Eveline Wanner als leitender Arzt in der Klinik Windisch. Er sagt: «Psychisch schwer erkrankte Menschen suchen oft Halt bei Firmen wie Zukunftsblick, um mehr über ihre Perspektive zu erfahren.»
«Notlage ausgenutzt»
Der Psychiater bezeichnet das Verhalten der Hellseherinnen als «äusserst verwerflich». Zander: «Hier wurde die Notlage einer psychisch instabilen Person wider besseres Wissen ausgenutzt.»
Die Firma Zukunftsblick schreibt dem K-Tipp: «Eveline Wanner hat nie in Betracht gezogen, ihre konsumierten Dienstleistungen zu zahlen. Sie wollte uns bewusst und vorsätzlich schädigen.»
Eveline Wanner lebt jetzt bei ihrer Mutter, deren Partner und ihrem Bruder. Sie ist bei einer Psychologin in Therapie. «Besser geht es mir aber noch nicht», sagt sie.
So bestreiten Sie eine unberechtigte Telefonrechnung
- Prüfen Sie immer alle Positionen auf Ihrer Telefonrechnung.
- Ziehen Sie die Beträge, die Sie bestreiten, von der Rechnung ab.
- Teilen Sie dies Ihrem Telecomunternehmen mit eingeschriebenem Brief mit.
- Zahlen Sie den unbestrittenen Teil der Rechnung fristgerecht. So darf Ihnen die Telecomfirma den Anschluss nicht sperren.
- Falls die Telecomfirma an der Rechnung festhält, wenden Sie sich an die Schlichtungsstelle Telekommunikation (Ombudscom, Tel. 031 310 11 77). Das Schlichtungsverfahren kostet Sie 20 Franken.
- Gibt es keine Einigung und werden Sie von der Telecomfirma betrieben, stoppen Sie die Betreibung mit einem Rechtsvorschlag. Falls die Firma weiterhin auf der Forderung besteht, muss sie gegen Sie Klage vor Gericht einreichen.
Weitere Infos finden Sie im «Saldo»-Ratgeber Betreibung, Pfändung, Privatkonkurs. Zu bestellen über Tel. 044 253 90 70 oder ratgeber@ktipp.ch.