Die neuen Allgemeinen Vertragsbedingungen (AGB) gelten gemäss dem Begleitschreiben der Postfinance ab dem 1. September. Wer damit nicht einverstanden sei, könne den Vertrag per sofort kündigen. Wer nichts unternehme, akzeptiere die Vertragsbedingungen automatisch.
«Staatsfirma diktiert Bedingungen»
Zahlreiche Leser beschwerten sich beim K-Tipp über die umfangreichen Änderungen. Ein Leser aus Sissach BL schrieb: «Ich verstehe die neuen Geschäftsbedingungen nicht.» Er kritisiert, dass die Staatsfirma einseitig Bedingungen diktiere – nach dem Prinzip «Friss oder stirb». Ein Leser aus Basel ärgerte sich darüber, dass Postfinance die neuen Verträge verschickt, ohne auf die Änderungen hinzuweisen. Er erwarte von einer grossen staatlichen Bank mehr Transparenz.
Im Internet verspricht die Postfinance «mehr Services – weniger Kleingedrucktes». Doch in Wahrheit vergrössert die Bank den Umfang der Dokumente. Ein Kunde, der ein Postkonto, eine Debit-Karte und E-Banking verwendet, erhielt 6 Seiten Kleingedrucktes – mehr als bisher.
Keine Verbesserung für die Kunden
Wer wissen will, was sich geändert hat, muss sich auf der Internetseite der Bank durch eine Gegenüberstellung der alten und neuen Klauseln quälen. Allein diese Unterlagen umfassen 32 Seiten. Ein durchschnittlicher Leser dürfte für die insgesamt 38 Seiten rund eineinhalb Stunden benötigen. Wer via E-Banking in Aktien oder Fonds investiert, muss noch 4 weitere Seiten lesen.
Das Kleingedruckte wurde somit entgegen der Werbung der Post nicht einfacher, sondern komplizierter. Auch inhaltlich bringt das neue Regelwerk für die Kunden keine Verbesserungen. Auf der Website schreibt Postfinance zwar, mit der Überarbeitung der AGB und der Teilnahmebedingungen (TNB) seien «keine Leistungs- oder Preisanpassungen verbunden». Doch das stimmt nicht. Denn im Kleingedruckten finden sich einige neue Klauseln zu Ungunsten der Kunden. Einige Beispiele:
Bisher war die Postfinance verpflichtet, einen Zahlungsauftrag auszuführen, wenn genug Geld auf dem Konto liegt. Diese Pflicht wird neu eingeschränkt. So darf sich die Bank neu weigern, eine Zahlung durchzuführen, wenn sie «Anzeichen von Missbrauch» erkennt. Was auch immer das heissen mag – die Postfinance will offenbar frei entscheiden, welche Aufträge sie ausführt. Dabei hat sie eigentlich einen staatlichen Grundversorgungsauftrag.
Kunden mussten fehlerhafte Kontoauszüge bisher in jedem Fall innert Monatsfrist beanstanden. Das neue Kleingedruckte erlaubt es der Post, diese Frist nach Belieben zu verkürzen.
Die Bank gibt sich in den Vertragsbedingungen das Recht, persönliche Daten der Kunden zu Marktforschung und Werbezwecken neu auch an beliebige Firmen im In- und Ausland weiterzugeben.
Neu gibt sich die Postfinance das Recht, die Kundendaten mit Datensätzen von anderen Firmen oder Behörden zu verknüpfen und dadurch Kundenprofile zu erstellen.
Bisher durfte die Postfinance nur bestehende Forderungen mit Kundengeldern verrechnen. Neu darf die Bank auch Kundengelder sperren, um ihre künftigen Ansprüche damit zu tilgen. Doch das entspricht nicht dem Gesetz: Grundsätzlich können nur fällige Forderungen verrechnet werden.
«Das Kleingedruckte ist klar zu lang»
Der ehemalige Rechtsprofessor Thomas Koller von der Uni Bern ist ein Vertragsexperte. Seines Erachtens ist das Kleingedruckte der Postfinance klar zu lang. «Damit verstossen die AGB gegen das Transparenzgebot.» Dies könnte im Streitfall zugunsten des Kunden verwendet werden, wenn ihn die Anwendung einer konkreten Klausel erheblich benachteilige.
Postfinance-Sprecher Rinaldo Tibolla erwidert: «Insgesamt entfallen über ein Dutzend der bisherigen Vertragsbedingungen, was zu einer Vereinfachung führt.» Auf eine Hervorhebung der geänderten Klauseln in fetter Schrift habe man verzichtet. Infolge der zahlreichen Anpassungen hätte das dazu geführt, dass fast die gesamten neuen AGB und TNB hätten fett gedruckt werden müssen. «Dies wäre für die Kunden kein Mehrwert.»
Einseitige Änderungen muss man nicht akzeptieren
Der Vertrag zwischen einem Kunden und der Postfinance kommt nur zustande, wenn beide Seiten damit einverstanden sind. Das gilt auch für Vertragsänderungen. Die Parteien können also einen Vertrag nur ändern, wenn beide einwilligen. In einem bestehenden Vertrag kann eine Seite der anderen eine Änderung vorschlagen. Und eine Frist ansetzen, innert deren sie die Änderung ablehnen kann. Wenn der Empfänger ablehnt, gilt der bisherige Vertrag weiter.
Die Postfinance schreibt in den bisherigen Vertragsbedingungen, wer mit Änderungen nicht einverstanden sei, müsse kündigen. Doch das ist unzulässig. Vertragsexperte Thomas Koller beurteilt diese Klausel als ungültig. «Denn kaum ein Kunde kann sich die Kündigung leisten, da die Postfinance für den Zahlungsverkehr sehr wichtig ist.» Laut Koller kann der Kunde die neuen Bestimmungen ablehnen und am alten Vertrag festhalten.
Nur besteht dann die Möglichkeit, dass die Postfinance den Vertrag kündigt. Das bringt Kunden in ein Dilemma: «Die Postfinance ist für viele Kunden unentbehrlich. Daher haben sie faktisch keine Möglichkeit, den Vertragsänderungen zu widersprechen.» Dem müssten die Gerichte in einem allfälligen Prozess bei der Beurteilung einer strittigen Klausel Rechnung tragen. Klauseln, die den Kunden benachteiligen, sollten daher an einem strengen Massstab gemessen werden. Das heisst: «zulasten der Postfinance, zugunsten der Kunden».