Der VW-Konzern hatte bei seinen Dieselmotoren die Ausstoss-Messung von Stickoxid (NOx) manipuliert. Die Autos hielten die Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand ein. Auf der Strasse aber stiessen sie ein Vielfaches an Schadstoffen aus. Das gilt auch für rund 130 000 in der Schweiz zugelassene Fahrzeuge mit Motoren, die die Bezeichnung «EA189» tragen. Sie müssen nachgerüstet werden.
Der VW-Konzern sicherte zu, alle manipulierten Autos zu reparieren. Laut VW reicht dafür in den meisten Fällen ein Software-Update.
Wer sich nicht mit einer Entschuldigung und einer Reparatur abspeisen lassen will, kann auch Schadenersatz fordern. Die Antworten auf die wichtigsten Fragen dazu:
Von wem kann man eine Entschädigung verlangen?
Massgebend ist der Kaufvertrag. Gestützt darauf können die Verkäufer belangt werden. Ist das gekaufte Fahrzeug wegen der Manipulationen minderwertig, muss der Verkäufer laut Gesetz diesen Minderwert ersetzen. In den Kaufverträgen steht in der Regel, dass der Händler das Recht hat, ein mangelhaftes Auto zu reparieren. Wer darüber hinaus Schadenersatz geltend macht, muss beweisen, dass ihm trotz Reparatur ein finanzieller Nachteil entstanden ist.
Wie können betroffene VW-Käufer den Schaden beweisen?
Der VW-Besitzer müsste belegen können, dass sein Wagen aufgrund der Abgasmanipulation weniger wert ist. Dies liesse sich zum Beispiel durch sinkende Eurotax-Werte nachweisen. Eurotax beobachtet die Angebotspreise auf dem Fahrzeugmarkt. Laut Eurotax sind die Preise für VW-Occasionen nur um rund 1 Prozent gesunken.
Der Vergleichsdienst Comparis.ch kommt jedoch zu einem anderen Ergebnis: Er hat von August 2015 bis Mitte August 2016 die Preise von 920 Dieselfahrzeugen auf den acht grössten Schweizer Online-Automarktplätzen ausgewertet. Demnach sind die Angebotspreise der vom Abgasskandal betroffenen Dieselfahrzeuge aus den Jahren 2009 bis 2013 durchschnittlich um 26 Prozent gesunken.
Daniel Märki aus Zürich machte die gleiche Erfahrung: Er wollte in den vergangenen Monaten seinen vom Dieselskandal betroffenen Audi Q5 verkaufen. Trotz Verkaufspreis gemäss Eurotax und monatelangem Inserieren auf mehreren Plattformen meldeten sich nur zwei Interessenten. Märki: «Ihre Angebote lagen um rund einen Drittel unter dem Eurotax-Preis.»
Sogar die Amag-Garage, bei der Märki das Auto gekauft hatte, machte ihm eine im Vergleich zum Eurotax-Wert deutlich tiefere Offerte. Die Garage bestritt, dass ihr tiefes Angebot etwas mit der Abgasaffäre zu tun habe. Doch für Märki ist klar: «Ich musste das Auto wegen des Dieselskandals am Schluss rund 4500 Franken unter seinem Eurotax-Wert verkaufen.»
Verändert das Software-Update den Treibstoffverbrauch und den Schadstoffausstoss?
Betroffene VW-Kunden könnten auch dann Schadenersatz fordern, wenn ihr manipuliertes Dieselauto mehr Treibstoff verbraucht als mit regulärem Motor –oder wenn es mehr Schadstoffe ausstösst und deshalb höhere Motorfahrzeugsteuern anfallen.
Das scheint aber nicht der Fall zu sein, wie erste Tests zeigen: So untersuchte der TCS drei Audi A4 Avant 2.0 TDI und einen VW Golf vor und nach dem Software-Update. Dabei wurden auf dem Prüfstand Abgas-, Verbrauchs- und Leistungsmessungen durchgeführt. Auch auf der Strasse wurden die Autos vor und nach dem Update verglichen – insbesondere punkto Fahrdynamik. Resultat: Leistung und Fahrbarkeit der Autos änderten sich nicht.
Beim getesteten Golf stieg der Treibstoffverbrauch nach dem Update nur wenig an (plus 0,15 Liter pro 100 Kilometer). Berücksichtigt man die Messunsicherheit von plus/minus 2 Prozent, ist das ein Mehrverbrauch von 0,4 bis 2,5 Prozent. Bei den drei getesteten Audi-Modellen wurde überhaupt kein Mehrverbrauch gemessen. Der Stickoxidausstoss reduzierte sich deutlich.
Zwei Tests von Auto-Fachzeitschriften kamen zu unterschiedlichen Ergebnissen: Bei zwei Pickups vom Typ VW Amarok stieg der Verbrauch nach dem Update um 0,5 bis 0,7 Liter pro 100 Kilometer an. Die Leistung des Motors blieb aber gleich. Und bei zwei VW Passat 2.0 TDI war der Verbrauch nach dem Update um 0,5 bis 0,7 Liter niedriger als vorher.
Was kann man tun, wenn das Auto nach dem Update schlechter läuft?
Der Kunde muss unverzüglich reklamieren und darauf beharren, dass die Mängel behoben werden. Laut dem Schweizer VW-Importeur Amag gab es bisher zehn Reklamationen: In neun Fällen hätten VW-Kunden ein Ruckeln festgestellt. Dieser Mangel sei aber mit einem erneuten Software-Update behoben worden. Bei einem Audi-Modell habe es sich um einen mechanischen Schaden gehandelt, der dann behoben worden sei.
Auf der Website www.avocats-route.ch können betroffene VW-Kunden für 100 Franken eine Strafanzeige gegen VW einreichen. Lohnt sich das?
Nein. Gemäss Avocats-route.ch machen die Anwälte für Betroffene eine Strafanzeige bei der Bundesanwaltschaft. Sie ist jedoch gar nicht zuständig, weil die Staatsanwaltschaft Braunschweig die Ermittlungen führt.
Laut Sprecher Klaus Ziehe beschäftigt sich die Staatsanwaltschaft Braunschweig überdies nur mit möglicherweise von VW-Mitarbeitern begangenen Straftaten – nicht aber mit Schadenersatzansprüchen von Kunden gegenüber dem VW-Konzern.
Gibt es eine Möglichkeit, an einem Zivilgericht in der Schweiz zusammen mit anderen Geschädigten eine -Forderung auf Schadenersatz einzureichen?
Nein. Sammelklagen gibt es in der Schweiz nicht. Eine Forderung nach Schadenersatz muss jeder VW-Kunde selber vor Gericht einklagen. Bei solchen Einzelklagen sind Risiko und Kosten hoch.
Konsumentenschützer(Stiftung für Konsumentenschutz SKS) empfehlen, sich in den Niederlanden einer Sammelklage anzuschliessen. Ist das sinnvoll?
Es ist immerhin gratis und risikolos. Die niederländische Stiftung «Volkswagen Car Claim» sammelt übers Internet Schadenersatzansprüche von europäischen VW-Kunden und will Forderungen an VW stellen. Das Ziel sei eine europäische Vergleichslösung, an der auch Schweizer teilnehmen könnten, um eine Entschädigung zu erhalten.
Unter https://www.stichtingvolkswagencarclaim.com/umfragen/index.php/762748 können sich Betroffene anmelden. Registrierung und Teilnahme kosten nichts – ausser Zeit: Der Fragebogen im Internet enthält 53 Fragen.
Im Falle eines Vergleichs will die Stiftung, dass der VW-Konzern die durch die Verhandlungen entstandenen Kosten übernimmt. Falls dies nicht geschieht und Teilnehmer ihren Schadensfall über die Stiftung abwickeln wollen, würde die Stiftung zur Kostendeckung 18 Prozent von der erreichten Entschädigung abziehen. Ansonsten müssten sich die Teilnehmer nicht an den Kosten beteiligen.
Für den Fall, dass keine Einigung zustande kommt, bereitet die Stiftung eine Verbandsklage vor. Details dazu will sie auf Anfrage des K-Tipp nicht bekanntgeben.
In den USA hat der VW-Konzern mit den Behörden einen Vergleich abgeschlossen. Was bedeutet dies für Schweizer Kunden?
Nichts. Der VW-Konzern sagt, dass für ihn in Europa eine Regelung wie in den USA nicht in Frage komme. Dies bestätigt der Schweizer VW-Importeur Amag auf Anfrage. Amag verspricht aber Kunden, die ihr Fahrzeug gegen ein neues eintauschen wollen, das «alte» Auto zu Eurotax-Preisen zurückzukaufen – unter Abzug eventueller Mehrkilometer oder Schäden am Fahrzeug.
Gemäss dem Vergleich des US-Justizdepartements mit dem VW-Konzern erhalten Betroffene je nach Modell und Alter ihres Wagens 5100 bis 10 000 Dollar Entschädigung. Zudem kauft der Konzern auf Wunsch des Kunden das Auto zurück.
VW-Kunden haben in den USA allerdings noch kein Geld erhalten. Grund: Der Vergleich ist gerichtlich nicht definitiv genehmigt. Dies soll Mitte Oktober geschehen.