An Schlagzeilen dieser Art mangelte es in den vergangenen Jahren nicht: «Wenn der Renten-Topf plötzlich leer ist» («Blick», 2019), «Die Börsenbaisse vergrössert das Defizit des AHV-Fonds» («Schweiz am Wochenende», 2018), «Ohne Reformen ist die AHV-Kasse bald leer» («Tages-Anzeiger», 2021), «Trotz Reform hat die AHV noch eine Finanzlücke von 650 Milliarden Franken» (NZZ, 2022).
Die knackigen Titel haben eines gemeinsam: Sie fokussieren auf das angeblich bald riesige Loch in der Kasse der AHV (K-Tipp 13/2022).
Betroffene kommen kaum zu Wort
Das ist typisch für die Berichterstattung, seit die Stimmbevölkerung im September 2017 wegen drohender Rentenkürzungen Nein zur überladenen Reform von AHV und zweiter Säule sagte. Zu diesem Schluss kommt eine Masterarbeit an der Uni Freiburg. Autor Marco Jeanmaire untersuchte darin die Qualität von 300 AHV-Beiträgen in NZZ, «Blick», «Tages-Anzeiger», «Schweiz am Wochenende», «20 Minuten», Watson.ch und anderen Medien.
Er fand heraus: Geht es um die AHV, steht meist die angebliche Finanzierungskrise im Zentrum. Viel seltener werde thematisiert, «ob die AHV-Rente ausreicht und wie es um die Altersarmut, besonders der Frauen, steht».
Männliche Sichtweise dominiert in Artikeln
Das ist nicht erstaunlich. Denn Frauen sind in Artikeln zur AHV untervertreten. Deren Inhalte prägen Männer – vor allem Männer aus Parlament, Regierung, Verwaltung, Verbänden und den Medien selbst. Auch das geht aus Jeanmaires Arbeit hervor: Die «Frau von der Strasse» kommt kaum zu Wort – dies obwohl sie nach dem Ja zur «AHV 21» im letzten September mit dem höheren Rentenalter für Frauen die grösste Kröte zum Wohl der AHV schlucken muss.
Jeanmaires Fazit: Bei der Berichterstattung über die Reform der AHV haben die Medien «deutliches Optimierungspotenzial». Man könnte auch sagen: Viele Journalisten machten bisher einen schlechten Job. Sie berichteten vorab aus der Sicht von Politikern statt aus der Sicht der hauptsächlich Betroffenen.