Auf der ersten Seite scharren glückliche Hühner auf einer grünen Wiese. Ein prächtiger Hahn überblickt seine Hennenschar. Die kleinbäuerliche Idylle eines Bio-Hofs im «Migros-Magazin» vom 3. Mai 2021 scheint perfekt zu sein.
Ein anderes Bild zeigt sich im Blatt: In der Beilage «Migros-Woche» wird für Aktions-Pouletschnitzel geworben. Diese kommen aber nicht von einem idyllischen Bio-Hof, sondern aus konventioneller Pouletmast. Die Tiere leben dort in Herden mit bis zu 15 Hühnern pro Quadratmeter und ausschliesslich in Ställen. Eine Wiese sehen sie nie.
Coop lockte letzte Woche mit 20 Prozent Rabatt für «Pouletminifilets». Und die Migros vergünstigte Rindshackfleisch um 30 Prozent. Auch bei diesen Aktionen handelt es sich um Schweizer Fleisch aus konventioneller Tierhaltung.
Pouletfleisch wird am häufigsten verbilligt
Der K-Tipp hat die Frischfleischangebote in den Aktionsbeilagen des «Migros- Magazins» und der «Coop- Zeitung» aus dem letzten Jahr ausgewertet. Ergebnis:
- In fast zwei Dritteln der Fälle verbilligten Migros und Coop Fleisch aus konventioneller Tierhaltung. Im Detail: Von 817 Fleischaktionen stammten 519 aus konventioneller Mastproduktion. Dabei müssen die Tiere bloss nach den Minimalanforderungen des Tierschutzgesetzes gehalten werden. Mit Tierwohl hat das wenig zu tun, wie eine Studie im Auftrag des Bundesamts für Landwirtschaft 2013 ergab. Demnach schreibt das Gesetz nur gerade das vor, «was dem Tier noch zugemutet werden kann».
- Teures Bio-Fleisch war nur 22 Mal vergünstigt erhältlich (2,7 Prozent der Aktionen).
- Der Rest – total 276 Aktionen – entfiel auf weniger strenge Labels wie zum Beispiel Terra Suisse und Naturafarm.
- Konventionelles Fleisch gibt es nicht nur am häufigsten als Aktion, es wird auch preislich am stärksten reduziert. In der Migros wie bei Coop gab es im untersuchten Zeitraum fast jede Woche Poulet- oder Schweinsstücke, die um 30 bis 50 Prozent vergünstigt wurden.
- Pouletfleisch ist am häufigsten verbilligt im Angebot: Bei der Migros macht es einen Drittel, bei Coop rund einen Viertel aller Aktionen aus.
- Migros und Coop importierten fast jede fünfte Fleisch-Aktion aus dem Ausland.
Preiskampf auf Kosten der Tiere
Der Schweizer Bauernverband kritisiert die häufigen Aktionen von Migros und Coop: «So degradieren die Detailhändler Fleisch teilweise zum Frequenzbringer», sagt Direktor Martin Rufer zur K-Tipp-Auswertung. Das heisst: Fleisch-Aktionen sollen die Kundschaft in die Läden locken. Der Schweizer Tierschutz spricht von einem Preiskampf auf Kosten der Tiere: «Die Detailhändler unterbieten sich bei konventionellem Fleisch mit Tiefstpreisen», ärgert sich der Co-Geschäftsführer Stefan Flückiger. Weil es konventionelles Fleisch fast permanent in Aktion gebe, bleibe viel Bio-Fleisch Haltung im Regal liegen. Flückiger: «Auf diese Produkte schlagen die Detailhändler hohe Gewinnmargen und bieten sie zu unattraktiven Preisen an.». Der Tierschutz prüfe nun eine Initiative mit dem Ziel: kleinere Preisunterschiede zwischen Bio und konventionell.
Zur Kritik an den Fleischaktionen erklären Coop und Migros: Die Aktionen seien wichtig, um möglichst alle Stücke eines Tieres verkaufen zu können. Und die Zahl der Aktionen entspreche dem Fleischangebot in den Läden.
Nur: Bei Bio trifft das nicht zu. Die Detailhändler haben offensichtlich kein Interesse an mehr verbilligtem Bio-Fleisch, wie eine Studie des Forschungszentrums Agroscope aus dem Jahr 2020 zeigt: Laut dieser Untersuchung würde schon 10 Prozent günstigeres Bio-Fleisch genügen, um den Absatz markant zu steigern – bei Bio-Rindfleisch um 27 und bei Bio-Schweinefleisch um 32 Prozent. Aber tiefere Preise würden die Gewinnmargen der Händler verkleinern.
Die Aktionsmasche ist für die Detailhändler übrigens ein einträgliches Geschäft. Das zeigt eine aktuelle Marktanalyse des Bundesamts für Landwirtschaft: Demnach geht jedes zweite Stück Fleisch mit Rabatten oder anderen Verkaufsaktionen über die Ladentheke. Micarna und Bell, die beiden Fleischverarbeiter von Migros und Coop, verzeichnen denn auch seit Jahren laufend steigende Umsätze.