AKW: Jodtabletten als Beruhigungspillen
Strahlenexperten forderten nach dem AKW-Unfall in Fukushima, dass die ganze Bevölkerung Jodtabletten gegen Krebs erhält. Der Bundesrat setzt dies nur halbbatzig um.
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K-Tipp 03/2014
12.02.2014
Beat Camenzind
Nach der Katastrophe in Fukushima vor knapp drei Jahren schlugen die drei eidgenössischen Strahlenkommissionen Alarm: Die Bevölkerung sei ungenügend gegen die Folgen eines AKW-Unfalls geschützt.
Eine der Forderungen: Jodtabletten für alle Einwohner auf der Alpennordseite – und zwar im Voraus («Saldo» 2/13). Bei einem AKW-Unfall ble...
Nach der Katastrophe in Fukushima vor knapp drei Jahren schlugen die drei eidgenössischen Strahlenkommissionen Alarm: Die Bevölkerung sei ungenügend gegen die Folgen eines AKW-Unfalls geschützt.
Eine der Forderungen: Jodtabletten für alle Einwohner auf der Alpennordseite – und zwar im Voraus («Saldo» 2/13). Bei einem AKW-Unfall bleibe keine Zeit, Tabletten zu verteilen. Zurzeit haben nur Anwohner im Umkreis von 20 Kilometern um die AKWs die Tabletten zu Hause. Jod soll vor Schilddrüsenkrebs schützen.
Drei Jahre brauchte der Bundesrat für eine halbherzige Umsetzung der Forderung: Ab Herbst erhalten Bewohner im Umkreis von 50 Kilometern um ein AKW die Tabletten nach Hause zugesandt. An alle anderen verteilen die Behörden die Tabletten erst nach einem Unfall.
Der Bund macht zudem fragwürdige Ausnahmen:
- Gemeinden wie Frauenfeld TG, Schangnau BE, Reichenbach BE, Saanen BE und Val-de-Travers NE liegen teilweise innerhalb der 50-Kilometer-Zone, erhalten aber keine Tabletten. Die Auswahl getroffen hat das Nuklearsicherheits-Inspektorat: «Es wurden Gemeinden ausgewählt, deren Flächen-schwerpunkt innerhalb der 50 Kilometer liegt.»
- Küssnacht am Rigi liegt als einzige Schwyzer Gemeinde innerhalb der 50-Kilometer-Zone. Die Bewohner erhalten die Tabletten aber nicht vorab. Laut dem Bundesamt für Gesundheit wollte Schwyz nicht wegen einer Gemeinde «zwei verschiedene Verteilkonzepte» ausarbeiten.
- Anders die Kantone Luzern, Zug und Jura. Hier erhalten alle Bewohner die Tabletten vorsorglich, obwohl einzelne Regionen ausserhalb der 50-Kilometer-Zone liegen.
So wirken Jodtabletten
Bei einer AKW-Katastrophe kann radioaktives Jod austreten. Beim Atmen kann es in die Schilddrüse gelangen und dort Krebs auslösen. Wer die Jodtabletten rechtzeitig schluckt, sättigt die Drüse mit Jod. Das soll verhindern, dass sie weiteres Jod aufnimmt.
Die Tabletten schützen nur richtig, wenn man sie einige Stunden vor dem Einatmen von radioaktivem Jod einnimmt. Das bedingt, dass die Behörden frühzeitig informieren. In Fukushima war das laut Greenpeace nicht der Fall. Und: Die Tabletten wirken nicht gegen die Strahlung von Stoffen wie Cäsium, Strontium und Plutonium, die bei einer AKW-Katastrophe ebenfalls austreten können.