Alarm nur für Eingeweihte
Viele Überschwemmungsschäden hätte man vermeiden können, wenn die Schweizer Bevölkerung frühzeitig gewarnt worden wäre.
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K-Tipp 15/2005
21.09.2005
Matteo Cheda - matteo.cheda@ktipp.ch
Pollenberichte, Wetterprognosen, Lawinenbulletins, Meldungen über Verkehrsstaus und Strassenzustand: Die Tageszeitungen sind voll davon und die elektronischen Medien berichten rund um die Uhr darüber. Nur bei drohendem Hochwasser - wo die Schäden schnell in die Millionen gehen - werden Prognosen erst mit Verzögerung an die Medien weitergeleitet. So geschehen auch beim letzten grossen Unwetter: Bereits am Samstag, 20. August, 13 Uhr - mehr als 36 Stunden vor Eintreten der zerstörerischen Flu...
Pollenberichte, Wetterprognosen, Lawinenbulletins, Meldungen über Verkehrsstaus und Strassenzustand: Die Tageszeitungen sind voll davon und die elektronischen Medien berichten rund um die Uhr darüber. Nur bei drohendem Hochwasser - wo die Schäden schnell in die Millionen gehen - werden Prognosen erst mit Verzögerung an die Medien weitergeleitet. So geschehen auch beim letzten grossen Unwetter: Bereits am Samstag, 20. August, 13 Uhr - mehr als 36 Stunden vor Eintreten der zerstörerischen Flut - hatte das Bundesamt für Wasser und Geologie (BWG) aufgrund der Niederschlagsprognosen von Meteo Schweiz eine Hochwasservorhersage und -warnung herausgegeben, wie Manfred Spreafico vom BWG dem K-Tipp bestätigt.
Versicherung will nicht bezahlen
Fatal: Die entsprechende Prognose ging zwar umgehend an einige besonders gefährdete Kantone, jedoch erfuhren an diesem Samstag die Medien, welche die Öffentlichkeit hätten warnen können, nichts davon. «Für die aktive Alarmierung der Bevölkerung und das Einleiten von Massnahmen sind die Kantone zuständig», sagt Spreafico.
Im Kanton Aargau zum Beispiel warnte der Pikettdienst Hochwasser zwar den kantonalen Führungsstab, nicht aber die Bevölkerung. «Die Hochwasserprognosen werden durch Fachspezialisten beurteilt und nicht sofort veröffentlicht», erklärt Urs Egloff, Hochwasserbeauftragter des Kantons. «Nur wenn wir sehen, dass die Entwicklung gemäss Prognose verläuft, geben wir sie an die Medien weiter.»
Unglaublich: Radio Argovia wurde aufgrund dieser Verzögerungen vom kantonalen Führungsstab erst am Montag, 22. August, um 2 Uhr über die bevorstehende Flut informiert. Die meisten Hörer erfuhren somit von der Prognose erst am Frühstückstisch, als viele Flüsse längst über die Ufer getreten waren.
Eine rechtzeitige Warnung hätte vielen Privaten, die von den Unwettern zum Teil hart getroffen wurden, genützt - etwa der Garage Köchli & Tschopp in Littau LU: «Innerhalb von drei Stunden hätten wir die Fahrzeuge umplatzieren können», sagt der Geschäftsleiter Armin Tschopp. Der Schaden für die Firma ist enorm. Die Versicherung beruft sich auf das Kleingedruckte und will keinen Rappen zahlen, weil die Autos im Freien parkiert waren. «Mit einer Hochwasserprognose hätten wir eine halbe Million Franken gespart», bilanziert der Garagist.
Meteo Schweiz durfte nicht warnen
Absurd: Meteo Schweiz wusste an besagtem Samstag frühzeitig Bescheid über die Hochwasserwarnung, durfte sie jedoch nicht verbreiten. «Es ist nicht die Aufgabe der Meteorologen, die Hochwasserprognosen weiterzuleiten», rechtfertigt sich Meteorologe Christoph Voisard.
Pikant auch: Die Hochwasserwarnung war bereits zwei Tage vor der Flut auf der BWG-Internetseite öffentlich zugänglich, dort, wo Garagisten, Hausbesitzer und Bauern garantiert nie reinschauen ...
Tipps: Aktuelle Wasserstands-Prognosen für Rhein, Aare, Limmat, Reuss und Thur gibts im Internet unter www.bwg.admin.ch/service/ hydro/d/previsi1.htm
Amtsschimmel verhindert Verbesserung
Typisch Schweiz: Für Hochwasser- und Unwetterprognosen sind zwei verschiedene Departemente zuständig. Für Unwetterprognosen (u. a. Niederschlagsmengen) ist es das Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie (Meteo Schweiz), das Bundesrat Couchepin unterstellt ist. Hochwasserprognosen dagegen werden von der Landeshydrologie erstellt, die im Bundesamt für Wasser und Geologie (BWG) angesiedelt ist (Departement Leuenberger).
«Eine Eingliederung der Landeshydrologie in unser Amt wäre vernünftig», sagt Gerhard Müller, stellvertretender Direktor von Meteo Schweiz. «Heute betreibt jedes Amt eigene Messnetze.»
Meteo Schweiz bietet eine telefonische Wetterberatung rund um die Uhr an, was sich die Landeshydrologie nicht leisten kann. «Bei einem Zusammenschluss beider Ämter», sagt Müller, «könnten sich im Krisenfall die lokalen Einsatzkräfte 24 Stunden am Tag über die aktuelle Lage informieren.»
Das bleibt allerdings ein frommer Wunsch: «Eine Angliederung der Hydrologie an Meteo Schweiz wurde geprüft, aber verworfen», sagt BWG-Direktor Christian Furrer.