Auf der Autobahn fahren sie mit knapp Tempo 80. Die Spur halten sie nicht. Und den Blinker vergessen sie. Innerorts missachten sie den Fussgängervortritt, halten den rechten Fahrbahnrand nicht für Velofahrer frei und fahren bei Grün nicht los. Im besten Fall.
Im schlimmsten Fall fahren unachtsame Automobilisten Fussgänger an, kommen von der Strasse ab, streifen Velofahrer oder stossen mit Fahrzeugen zusammen. Ende November meldete allein die Kantonspolizei Bern innert sechs Tagen vier Frontalkollisionen. Das klang dann etwa so: «Aus noch zu klärenden Gründen geriet ein Auto auf die Gegenfahrbahn und kollidierte in der Folge mit einem entgegenkommenden Fahrzeug.»
10 bis 20 Prozent fahren unaufmerksam
Worum handelt es sich bei den «noch zu klärenden Gründen»? Immer häufiger um Ablenkung. Die St. Galler Kantonspolizei schreibt in ihrer Unfallstatistik: «Hauptunfallursache ist Ablenkung durch Handy, Navi und Unterhaltungselektronik.» Und weiter: «Erschreckend ist zu sehen, dass unaufmerksame Fahrzeugführer gleichgeartete Unfälle verursachen wie jene, welche unter Alkohol- oder Betäubungsmitteleinfluss fahren.»
In einer Stichprobe beobachtete der K-Tipp 1800 Autolenker. Die Ergebnisse sind beunruhigend.
Zürich: Am Seilergraben im Stadtzentrum zählte der K-Tipp während einer guten Stunde 596 Fahrzeuge. 97 Fahrer hatten das Handy in der Hand, 10 assen oder tranken, je 6 hatten das Handy am Ohr oder studierten Lieferscheine, 5 bedienten das Navigationsgerät. 20,8 Prozent der Automobilisten fuhren also unaufmerksam. Darin sind diejenigen, die das Handy griffbereit auf dem Schoss oder dem Beifahrersitz platziert hatten, noch nicht eingerechnet.
Basel: Bei der Autobahnausfahrt Basel-City im St.-Alban-Quartier sah es ein bisschen besser aus. Insgesamt zählte der K-Tipp in einer knappen Stunde 577 Fahrzeuge. 66 Fahrer waren unaufmerksam. Das sind 11,4 Prozent. Die meisten hatten das Handy in der Hand. Sie lasen oder tippten Nachrichten.
Bern: Auf der Schanzen- und der Bremgartenstrasse in der Länggasse zählte der K-Tipp in gut anderthalb Stunden 623 Fahrzeuge. 12,4 Prozent der Fahrer waren abgelenkt – aus den erwähnten Gründen.
Dabei müsste die Aufmerksamkeit beim Fahren allein der Strasse gelten. Das weiss jeder Fahrschüler. Der K-Tipp schrieb schon vor 15 Jahren, dass elektronische Geräte beim Fahren stark ablenken. Damals stellte er die Studie einer britischen Versicherung vor. Die Hauptaussagen:
Ein Lenker, der telefoniert, reagiert langsamer als einer, der 0,8 Promille Alkohol intus hat. Selbst mit Freisprechanlage. Konkret: Gespräche mit dem Handy am Ohr verlängern die Reaktionszeit um fast 50 Prozent, mit Freisprechanlage um fast 30 Prozent.
Wer telefoniert, fährt mal zu schnell, mal zu langsam, schneidet Kurven und übersieht Signale.
Autofahrer, die telefonieren, missachten häufig den Vortritt, vor allem am Fussgängerstreifen. Und sie verursachen mehr Unfälle.
Trotzdem nahm das Bundesamt für Strassen das Problem zuerst nicht sonderlich ernst. Es schrieb 2003, Telefonieren mit Freisprechanlage lenke «nicht stärker ab als ein Gespräch mit einem Fahrzeuginsassen». Doch das ist falsch. Der Beifahrer schweigt, wenn es brenzlig wird. Der Gesprächspartner am Telefon redet weiter.
Inzwischen änderten die Bundesbeamten ihre Meinung. In einer Studie von 2014 steht: «Unabhängig davon, ob eine Freisprechanlage verwendet wird, führt die Nutzung eines Telefons zu einem erhöhten Unfallrisiko.» Mit Freisprechanlage ist das Telefonieren in der Schweiz aber trotzdem noch erlaubt.
Bussen bleiben ohne grosse Wirkung
Wie gross das Problem der Ablenkung ist, bleibt umstritten. Die Kantonspolizei St. Gallen sagt, es habe sich «verschärft». Die Kantonspolizei Zürich hingegen schreibt, der Anteil an ablenkungsbedingten Unfällen sei gesunken. Laut der Kantonspolizei Bern sind Unaufmerksamkeit und Ablenkung bei knapp 20 Prozent aller Unfälle zumindest mitverantwortlich.
Alle angefragten Polizeikorps sagen, sie führten immer wieder gezielte Kontrollen durch. Die Kantonspolizei Zürich etwa büsst im Durchschnitt täglich acht Autofahrer wegen Telefonierens ohne Freisprechanlage. Und sie zeigt weitere sieben wegen anderer Betätigungen an. Doch weder Bussen noch Anzeigen scheinen eine grosse Wirkung zu haben. Kein Wunder: Die Busse fürs Telefonieren am Steuer beträgt nur 100 Franken.
Übrigens: Die Massnahmen der Polizei sind bisweilen wenig sinnvoll. Die Walliser Kantonspolizei etwa kündigt neuerdings Verkehrskontrollen über den Internetdienst Twitter an. Ob die Autofahrer wohl anhalten werden, um die Tweets zu lesen?
So sind Sie sicher unterwegs
Vor der Fahrt:
- Schalten Sie bei Ihrem Smartphone die Combox ein oder aktivieren Sie den Flugmodus.
- Wählen Sie den Radiosender oder die Musik auf CD- oder MP3-Player aus, falls Sie Musik hören möchten.
- Programmieren Sie das Navigationsgerät.
Während der Fahrt:
- Rufen Sie niemanden an – auch nicht per Freisprechanlage.
- Nehmen Sie keine Anrufe entgegen.
- Lesen und schreiben Sie keine SMS.
- Wenn es unbedingt sein muss: Halten Sie an einem Ort an, wo Sie niemanden gefährden.