Am falschen Ort gespart
Fast alle Schweizer Haushalte haben ihren Hausrat versichert, viele davon unterschätzen den Wert ihrer Siebensachen. Massgeblich ist nicht der Zeit-, sondern der Neuwert.
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K-Tipp 14/2004
08.09.2004
Ernst Meierhofer - emeierhofer@ktipp.ch
Der 66-jährige Ottokar Schnepf aus Allschwil BL beteuert: «Ich bin gegen Versicherungen in jeder Form.» Konsequenterweise hat er seinen Hausrat nicht versichert. «Ich hätte das bis heute auch gar nicht gebraucht.»
Auch Rentner Albert Nadler aus Aadorf TG verzichtet auf eine Police für seine Siebensachen. «Mit der AHV kann man sich so etwas nicht mehr leisten. Ich trage dieses Risiko selber.»
Die beiden «Abstinenzler» sind seltene Ausnahmen. Die allermeist...
Der 66-jährige Ottokar Schnepf aus Allschwil BL beteuert: «Ich bin gegen Versicherungen in jeder Form.» Konsequenterweise hat er seinen Hausrat nicht versichert. «Ich hätte das bis heute auch gar nicht gebraucht.»
Auch Rentner Albert Nadler aus Aadorf TG verzichtet auf eine Police für seine Siebensachen. «Mit der AHV kann man sich so etwas nicht mehr leisten. Ich trage dieses Risiko selber.»
Die beiden «Abstinenzler» sind seltene Ausnahmen. Die allermeisten Schweizerinnen und Schweizer ziehen es vor, Möbel, Kleider, Geschirr, Haushaltmaschinen, Sportgeräte usw. zu versichern.
Mit gutem Grund: Schon der Brand einer Kaffeemaschine oder eines Fernsehers kann wegen der damit verbundenen Rauchschäden schnell mal 30000 Franken kosten. Wer sich dagegen nicht absichert, geht ein hohes finanzielles Risiko ein.
Die entsprechende Police ist durchaus bezahlbar: Für eine Familie in einer Mietwohnung kostet der Schutz bei einer Versicherungssumme von 100000 Franken je nach Gesellschaft rund 220 bis 300 Franken pro Jahr; eine Familie im eigenen Haus mit Hausrat im Neuwert von 200000 Franken zahlt jährlich 500 bis 670 Franken. Versichert sind dann Elementarschäden, Feuer, Einbruch, Diebstahl usw.
Kürzungen auch bei Teilschäden
Neben vielen anderen Details ist die Versicherungssumme wichtig. Wer den Neuwert seines Hausrates unterschätzt und ihn nicht gemäss dem effektiven Neuanschaffungspreis versichert, ist unterversichert - und das kann im Schadenfall zu einer Kürzung führen. Und zwar auch bei einem Teilschaden (nähere Erläuterungen und Ausnahmen im Kasten nebenan).
Ein Beispiel: Der Hausrat ist 100000 Franken wert, die Versicherungssumme beträgt nur 80 000 Franken (= 80 %). Bei einem Totalverlust erhält der Versicherungsnehmer nur 80000 Franken. Beim Teilschaden gilt: Beträgt die Schadensumme 25000 Franken, werden nach einem Schaden anteilsmässig auch nur 80 Prozent ersetzt, im konkreten Fall also nur 20000 Franken.
Eine korrekte Versicherungssumme muss also dem effektiven Neuwert des gesamten Hausrates entsprechen:
- Der Neuwert ist diejenige Summe, die man heute ausgeben müsste, um einen gleichwertigen Ersatz für die gestohlenen oder in Mitleidenschaft gezogenen Gegenstände zu beschaffen. Die Altersentwertung von älteren Sachen spielt hier also keine Rolle. Verbrennt ein altes Sofa, zahlt die Versicherung ein neues in der gleichen Qualität zum heutigen Preis. Aber sie erwartet im Gegenzug, dass der Hausrat auch entsprechend dem Neuwert versichert wird. Das gilt auch, wenn man die Polstergruppe als Geschenk erhalten oder als Occasion gekauft hat.
- Die korrekte Versicherungssumme richtet sich im Prinzip nach dem gesamten Hausrat. Wer denkt: «Nach einem Schaden würde ich einen Drittel meines jetzigen Hausrates nicht mehr ersetzen, also kann ich die Versicherungssumme entsprechend tief ansetzen», ist im Irrtum. Auch dies wäre aus der Sicht der Gesellschaft eine Unterversicherung.
Unterversicherte Haushalte sind in der Schweiz nach Ansicht der Versicherungen relativ weit verbreitet. Die Schätzungen gehen bis 30 Prozent.
So hatte auch der K-Tipp keine Mühe, Beispiele für unterversicherte Haushalte zu finden. Aufgrund eines Leseraufrufes hat die Redaktion mit rund 60 Versicherungsnehmern gesprochen und sich telefonisch Angaben machen lassen. Aufgrund dieser «Ferndiagnose» wurden zehn Haushalte mit Verdacht auf Unterversicherung gezielt ausgewählt und anschliessend von je einem Experten von Helvetia-Patria und Mobiliar genau unter die Lupe genommen. Sie waren alle klar unterversichert.
So zum Beispiel die Familie Bolliger aus Uerkheim AG. Sie war bis anhin nur mit 79 000 Franken versichert. Inzwischen ist die Versicherungssumme auf 140000 Franken erhöht worden.
Wechsel von Ikea zum gehobenen Standard
Bolligers Fall ist typisch: Nach der Familiengründung wächst der Haushalt, die Einrichtung wechselt mit der Zeit vom Ikea-Niveau auf einen gehobeneren Standard, es kommen Kindersachen, teurere Kleider, technische Geräte, Computer und Sonstiges dazu - aber man vergisst, die Versicherungssumme entsprechend anzupassen. Viele K-Tipp-Leser beklagten sich, sie seien von ihrem Versicherungsvertreter nie auf diesen Umstand angesprochen worden.
Unterversichert war auch Familie Probst aus Kaltbrunn SG. Sie hatte bis jetzt eine Versicherungssumme von 120000 Franken, inzwischen hat sie sie auf 170000 Franken heraufgesetzt.
Typische Warengruppen, die gerne unterschätzt oder vergessen werden:
- KIeider und Schuhe.
- Platten-, CD- und DVD-Sammlungen können sich im Lauf der Zeit zu erheblichen Sachwerten summieren. Das gilt auch für Bücher.
- Zu den Computern gehört auch die Software.
- Auch im Garten bzw. Gartenhäuschen kommt einiges an Wert zusammen. Das Gleiche gilt für die Garage. Ersatzpneus zum Beispiel zählen zum Hausrat.
- Schwierig ist die Schätzung von Kunstgegenständen, Antiquitäten, alten Möbeln, exotischen Dekorationsgegenständen, Teppichen und Sammlungen. Hier könnte es sich lohnen, von einem Fachmann eine Wertanalyse (Expertise) machen zu lassen. Auf jeden Fall sollten Sie alles fotografieren.
Fazit: Es lohnt sich, etwa alle drei bis fünf Jahre oder beim Zügeln den Wert des Hausrates zu überdenken und die Versicherungssumme allenfalls anzupassen. Eine solche Anpassung ist jederzeit möglich - auch bei langjährigen Verträgen.
Prämienunterschiede sind gering
Natürlich könnte man denken: «Ich nehme das Risiko einer Unterversicherung und Leistungskürzung bewusst in Kauf, um so Prämien zu sparen.» Das wäre allerdings am falschen Ort gespart. Das Risiko beträgt bei einem grösseren Schaden mehrere Tausend Franken, während die jährliche Mehrprämie (etwa beim Schritt von 100 000 auf 130 000 Franken) lediglich etwa 50 bis 100 Franken ausmacht.
Übrigens: Es gibt auch Haushalte, die überversichert sind - wenn beispielsweise erwachsene Kinder ausgezogen oder die Partnerschaft auseinander gebrochen ist. Das kostet nur eine zu hohe Prämie, bringt aber keinerlei Vorteile. Auch eine Herabsetzung der Versicherungssumme und damit der Prämie nach unten ist jederzeit möglich.
Die National kennt kein Pardon
Die im Hauptartikel beschriebene Kürzung bei Unterversicherung (proportional entsprechend der Unterversicherung) wird von der National ohne Wenn und Aber praktiziert - auch bei kleineren Schäden. Die Versicherung sagt denn auch, sie kürze «in 100 bis 200 Schadenfällen pro Jahr».
Etwas weniger streng ist die Basler. Sie kürzt, wenn die Schadensumme grösser als 5000 Franken ist.
Bei den anderen grossen Gesellschaften ist diese Limite noch höher; viele von ihnen kürzen erst, wenn die Schadenhöhe 10 Prozent der Versicherungssumme bzw. 20 000 Franken übersteigt (Allianz, Generali, Helvetia-Patria, Winterthur). Bei einigen wenigen findet - je nach Umständen - keine Kürzung statt.
Keine der grossen Gesellschaften wollte oder konnte dem K-Tipp sagen, wie oft sie solche Entschädigungsabzüge macht.
Wichtig: Will eine Gesellschaft im Schadenfall Unterversicherung geltend machen, muss sie dies auch beweisen können.
Weinkeller, Militärsachen und Hörapparate nicht vergessen!
- Nehmen Sie sich Zeit, um alle Gegenstände sorgfältig zu erfassen. Vergessen Sie Keller, Estrich, Balkon, Gartensitzplatz, Übungsraum, Bastelraum und Garage nicht. Auch Geschenke gehören zum Hausrat, ebenso Reservebrillen, Hörapparate, Haustiere (inkl. Terrarien usw.), geleaste und gemietete Gegenstände, Vereins- trachten oder -uniformen, Militärsachen, Camping- ausrüstung, Weinkeller sowie Musikinstrumente.
- Bewahren Sie alle Quittungen (ab 300 Franken) auf. So können Sie in einem Schadenfall Ihre Ansprüche leicht geltend machen. Bewahren Sie Quittungen (und allfällige Fotos) feuersicher auf.
- Falls Sie unsicher sind: Bitten Sie einen Versicherungsagenten, Ihnen zu helfen. Die Versicherungen haben in der Regel detaillierte Erfassungsblätter. Aber: Auch der Versicherungsberater sieht nicht alles. Machen Sie ihn auf besondere Werte aufmerksam. Die Verantwortung liegt bei Ihnen!
- Solche Erfassungsblätter können Sie auch selber bei der Versicherung verlangen oder sie im Internet herunterladen. Sie finden sie beispielsweise auf den Homepages von Allianz, Generali, Mobiliar, Helvetia-Patria und Winterthur.
- Die Mobiliar hat eine detaillierte Tabelle mit Durchschnittswerten von Schweizer Haushalten. Dort können Sie grob abschätzen, ob Sie in etwa richtig liegen - abhängig von Zimmer- und Personenzahl sowie Einrichtungsstandard (einfach, mittel oder gehoben). Sie finden diese Tabelle auf der Homepage des K-Tipp (www. konsuminfo.ch/downloads. asp).
- Falls Ihr Haushalt noch in der Aufbauphase steckt, können Sie eine Reserve einbauen. Die Versicherungen empfehlen 10 Prozent der Versicherungssumme. Bei jungen Leuten kann es auch mehr sein.
- Bei einigen Versicherungsgesellschaften können Sie bestimmte Gegenstände vertraglich von der Deckung ausschliessen, falls deren Neuwert nicht bestimmt werden kann. Das ist etwa bei Sammlungen, Bildern und geerbten Gegenständen denkbar.
- Viele Verträge enthalten die (an sich sinnvolle) automatische, teuerungsindexierte Summenanpassung. Lassen Sie sich nicht täuschen: Diese kann Neuanschaffungen niemals auffangen.