Amtlich bewilligte Fantasiepreise
Ob Beatmungsapparate, Bandagen oder Blutzucker-Teststreifen: Für viele medizinische Hilfsmittel zahlen die Kassen Fantasiepreise - mit behördlichem Segen.
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K-Tipp 15/2005
21.09.2005
Nadine Woodtli, Bennie Koprio
Mit medizinischen Hilfsmitteln verdient sich manch ein Hersteller eine goldene Nase - mit Hilfe der Mittel- und Gegenständeliste (Migel). Darin legt der Bund fest, wofür die Krankenkassen welchen Maximalpreis vergüten müssen. Jedoch: Was oberste Grenze sein sollte, versteht die Branche meist als Richtpreis. Die Folge, so Ruth Humbel, CVP-Nationalrätin und Regionalstellenleiterin bei Santésuisse: «Das verhindert Konkurrenz unter den Anbietern und führt dazu, dass wir zu hohe Preise bezahl...
Mit medizinischen Hilfsmitteln verdient sich manch ein Hersteller eine goldene Nase - mit Hilfe der Mittel- und Gegenständeliste (Migel). Darin legt der Bund fest, wofür die Krankenkassen welchen Maximalpreis vergüten müssen. Jedoch: Was oberste Grenze sein sollte, versteht die Branche meist als Richtpreis. Die Folge, so Ruth Humbel, CVP-Nationalrätin und Regionalstellenleiterin bei Santésuisse: «Das verhindert Konkurrenz unter den Anbietern und führt dazu, dass wir zu hohe Preise bezahlen.»
Ein Paradebeispiel: das Beatmungsgerät der Firma Resmed (siehe Tabelle). Laut Migel müssen die Kassen für solche Apparate, die für schwer Lungenkranke lebensnotwendig sind, maximal 12 000 Franken bezahlen. Genau dieser Betrag ist auch auf der offiziellen Schweizer Preisliste des Herstellers aufgeführt. In den USA ist dasselbe Modell fast 8000 Franken günstiger zu haben - also zu einem Drittel des Schweizer Preises.
Wie marktfremd Migel ist, lässt sich auch anhand der Blutzucker-Messgeräte aufzeigen. Laut der Liste muss die Krankenkasse für ein solches Gerät bis zu 150 Franken bezahlen, ferner für eine Packung Teststreifen à 50 Stück maximal Fr. 64.60. Nur: «Immer mehr Hersteller geben Blutzucker-Messgeräte gratis ab und binden so die Patientinnen und Patienten an ihr Produkt», sagt Ruth Humbel. «Das grosse Geschäft machen sie dann mit den Messstreifen.» Den Preis, den fast alle für 50 Stück verlangen: Fr. 64.60. In Deutschland sind dieselben Streifen rund einen Drittel günstiger. Da läppert sich einiges zusammen. Denn pro Jahr verbrauchen Schweizer Diabetiker 60 Millionen Blutzucker-Teststreifen.
Selbst beim Kleinmaterial führt die Migel Fantasiepreise auf. Extrembeispiel: Zwei Vlieskompressen gibts beim Sanitätsfachhandel Kuhn und Bieri für 75 Rappen; laut Migel dürften sie auch bis zu 20 Franken kosten.
Preisüberwacher Rudolf Strahm ist die Liste schon lange ein Dorn im Auge: «Die Preise muss man korrigieren.» Die Versicherungen sollten direkt mit den Herstellern verhandeln und die Preise zugunsten der Prämienzahler drücken - «auch unter Berücksichtigung der tieferen Preise im Ausland», so Strahm. Einsparungen von über 200 Millionen Franken pro Jahr sind laut Schätzungen von Fachleuten durchaus möglich.
Vor 2008 ist keine Änderung zu erwarten
Selbst die Hersteller räumen ein, «dass man günstiger anbieten könnte», sagt Jürg Schnetzer vom Dachverband Medizinaltechnik Fasmed. So einfach ist die Migel aber nicht zu ändern. Schnetzer: «Heute geht es zwei bis drei Jahre, bis ein Produkt in der Migel-Kommission behandelt und zuhanden des Departements des Innern ein Antrag formuliert wird. Das ist unerträglich lang.» In dieser Zeit hat sich der Markt längst verändert - die aktualisierte Liste ist somit bereits veraltet.
Dass das heutige System zu schwerfällig und die Art der Preisbildung überholt ist, hat man auch im Bundesamt für Gesundheit (BAG) erkannt. Hans Heinrich Brunner vom BAG: «Wir müssen die Migel revidieren.» Doch entschieden ist noch nichts. Vor 2008 ist laut Brunner keine Besserung zu erwarten.
Bis dann zahlen die Krankenkassen weiterhin überrissene Preise - und mit ihnen das Schweizer Volk von Prämienzahlern.
Doppelt zur Kasse gebeten
Wegen der Mittel- und Gegenständeliste (Migel) werden gewisse Prämienzahler doppelt zur Kasse gebeten: Einerseits durch die hohen Fantasiepreise und anderseits, weil in der veralteten Liste einige Mittel fehlen, sodass die Betroffenen sie selber bezahlen müssen.
Zum Beispiel Menschen, denen der Kehlkopf entfernt wurde und die nun durch eine Öffnung im Hals atmen müssen. Eine neue Operationsmethode - die schon seit rund sieben Jahren in der Schweiz praktiziert wird - hat zur Folge, dass solche Patienten eine spezielle Art Pflaster benötigen. Dieses wird als Filter auf die Öffnung geklebt. Doch das Verbrauchsmaterial steht nicht in der Migel und muss von den Patienten selber berappt werden. Die Kosten können nach Angaben von Adrian Hüppi von der Union Schweizerischer Kehlkopflosen-Vereinigungen pro Tag bis zu 10 Franken ausmachen - also rund 300 Franken pro Monat.
Absurd: Für einen Luftbefeuchter - Kehlkopfoperierte benötigen nach dem Eingriff eine Luftfeuchtigkeit von 60 bis 70 Prozent - könnten diese Patienten laut Migel bis zu 200 Franken ausgeben und die Kassen müssten zahlen. Hüppi: «Es reicht aber auch ein ganz normaler, handelsüblicher Luftbefeuchter.» Einen solchen gibts beispielsweise bei Migros ab 58 Franken.