Zwei typische Meldungen über Stellenwechsel von Journalisten aus der ersten Märzwoche: Peter Düggeli, langjähriger USA-Korrespondent des Fernsehens SRF, wird Kommunikationschef von Bundesrat Ignazio Cassis. Und NZZ-Redaktor Reto Flury wird Kommunikationsberater des Zürcher Regierungsrats Ernst Stocker. Das heisst: Die beiden werden künftig Informationen im Sinne der Behörden steuern, statt ihnen im Dienst der Öffentlichkeit auf die Finger zu schauen.
Behörden im besten Licht darstellen
Journalisten wechseln seit einigen Jahren immer häufiger die Seite: weg von unabhängigen Verlagen, hin zu Kommunikationsabteilungen von Behörden und Unternehmen. Der Unterschied: Als Journalisten sollten sie unvoreingenommen recherchieren und objektiv informieren. Gemäss dem Schweizerischen Journalistenkodex «lassen sie sich vom Recht der Öffentlichkeit leiten, die Wahrheit zu erfahren». Laut einer weiteren Richtlinie ist die Ausübung des Berufs nicht mit der Ausübung einer öffentlichen Funktion vereinbar. Mitarbeiter von Kommunikationsstellen der Behörden haben eine andere Aufgabe. Sie sollen die Öffentlichkeit so informieren, wie ihre Vorgesetzten es wünschen. Das bedeutet auch: nur ausgewählte Informationen vermitteln und die Behörden möglichst in bestem Licht darstellen.
Journalisten laufen bei Ämtern auf
Für Medienschaffende ist es im Gegensatz zu früher kaum mehr möglich, bei Behörden direkt mit Fachspezialisten zu sprechen. Die Journalisten werden meist angewiesen, ihre Fragen bei der Medienstelle schriftlich einzureichen. Redaktoren von K-Tipp und «Saldo» erhalten Informationen teilweise erst, wenn sie sich ausdrücklich auf das Öffentlichkeitsgesetz berufen: Es erklärt Dokumente der Bundesverwaltung grundsätzlich für öffentlich. Gründe für Ausnahmen finden sich jedoch leicht. So verweigerte das Bundesamt für Gesundheit dem K-Tipp im Oktober 2020 mit Hinweis auf das Geschäftsgeheimnis die Auskunft darüber, wie viel der Bund für die Reservierung von Corona-Impfstoffen gezahlt hatte. Abgeblockt wird aber auch bei weniger brisanten Themen. Beispiel: Die Beratungsstelle für Unfallverhütung wollte dem K-Tipp nicht bekanntgeben, welche Wickelkommoden sich bei ihrem Test für Kleinkinder als gefährlich erwiesen. Der K-Tipp musste deswegen bis vor das Bundesgericht prozessieren und bekam im Mai 2020 schliesslich recht. Das Gericht entschied: Tests und Kontrollen der Bundesverwaltung unterstehen sehr wohl dem Öffentlichkeitsgesetz.
An Personal für offene Kommunikation würde es dem Bund nicht fehlen: 2014 lagen die Kosten dafür laut Staatsrechnung noch bei 81,2 Millionen Franken – 2019 betrugen sie schon 91,2 Millionen. Die Zahl der Vollzeitstellen stieg von 2015 bis 2019 von 309 auf 359. Den Ausbau erklärt die Verwaltung unter anderem mit mehr Aktivitäten in Netzwerken wie Facebook und Twitter.
Tatsächliche Kosten sind weit höher
Ein Bericht der parlamentarischen Verwaltungskontrolle zur Öffentlichkeitsarbeit des Bundes aus dem Jahr 2019 stellte fest, dass nicht einmal alle Kosten ausgewiesen werden. Auch K-Tipp-Recherchen ergaben, dass die tatsächlichen Ausgaben weit höher sind. In einem Bericht zur Kostenentwicklung bei der Öffentlichkeitsarbeit etwa nennt der Bundesrat rund 30 Organisationseinheiten, die diese Kosten nicht einmal erheben müssen. Bei den Parlamentsdiensten sind dies etwa die Ressorts «Information & Redaktion» sowie «Publikationen & Produktion», die 620 Stellenprozente umfassen.Die Recherchen des K-Tipp ergaben, dass total mindestens 44 weitere Stellen dem Bereich Kommunikation zuzuschreiben sind. Viele Ämter gaben auch an, sie könnten die Aufwände nicht beziffern.
BAG: Millionen für Inseratekampagnen
Für 2020 liegen noch keine Zahlen vor. Doch die Kosten für Öffentlichkeitsarbeit dürften weiter angestiegen sein – zumindest beim Bundesamt für Gesundheit. In normalen Jahren liegt das Budget dafür bei rund 9,2 Millionen Franken. Im Corona-Jahr inklusive Januar 2021 gab das Amt allein rund 19 Millionen für Inseratekampagnen und Werbespots aus – samt 3,8 Millionen an Honoraren für Werbeagenturen.
Der K-Tipp wollte von der Bundeskanzlei wissen, ob es Bestrebungen gebe, das Kostenwachstum zu bremsen. Sprecherin Ursula Eichenberger sagt dazu nur: «Die Öffentlichkeitsarbeit ist eine unverzichtbare Kernaufgabe der Behörden. Die Bundesverfassung und viele Gesetze verpflichten sogar zur Informationstätigkeit.»
Martin Stoll ist Geschäftsführer des Vereins Öffentlichkeitsgesetz.ch. Dieser engagiert sich für eine transparente Verwaltung und hilft Privaten und Medien beim Zugang zu amtlichen Dokumenten. Stoll fragt sich angesichts der heutigen Medienkonzentration, ob «ein so grosser Apparat» noch gerechtfertigt sei. Vor allem aber fordert er den Bund auf, seine Aufgabe anders wahrzunehmen: «Oft betreiben die Medienstellen einfach PR. Doch eigentlich müssten sie sich als Dienstleister der Öffentlichkeit verstehen und Transparenz schaffen.»
Google und Twitter privilegieren amtliche Informationen
Wer mit der Internetsuchmaschine Google nach dem Stichwort «Coronavirus» sucht, bekommt in der Schweiz unter «Beste Ergebnisse» zuerst die Seiten des Bundesamts für Gesundheit angezeigt. Bei einer Suche auf Twitter wird ebenfalls zuoberst ein Link zur Seite des Bundesamts platziert. Normalerweise zeigt Google als erste Treffer bezahlte Inserate an. Das Bundesamt sagt aber auf Anfrage, man zahle nichts für die Bevorzugung. Dabei handle es sich um Angebote von Google und Twitter, die «einen Beitrag zur Bekämpfung der Pandemie» leisten wollten. Tatsächlich gab Google der Weltgesundheitsorganisation und über 100 Behörden in diversen Ländern Anzeigengutschriften im Wert von 250 Millionen Dollar.
Die Bevorzugung amtlicher Publikationen gegenüber anderen Informationen ist heikel. Das sah auch das Landgericht in München (D) so. Es wertete die Zusammenarbeit zwischen Google und dem deutschen Bundesministerium für Gesundheit als Verstoss gegen das Kartellrecht. Das staatliche Gesundheitsportal darf inzwischen bei Google in Deutschland nicht mehr automatisch als erster Treffer angezeigt werden.