Die sogenannte Rechtsmittelbelehrung ist etwas vom Wichtigsten im Umgang mit Ämtern und Gerichten. Wenn zum Beispiel eine AHV-Ausgleichskasse einen Rentenbescheid erlässt, wenn ein Gericht ein Urteil fällt – stets muss der Empfänger erfahren, innert welcher Frist er sich gegen den Bescheid oder das Urteil schriftlich wehren kann.
Roger Riva aus Rapperswil SG hätte für seine Einsprache 30 Tage Zeit gehabt. Er erhielt im Juni 2013 eine «Verfügung über die individuelle Prämienverbilligung». Darin stand, er habe ein steuerbares Vermögen, das den Grenzwert übersteige. Deshalb gebe es für ihn keine Verbilligung seiner Krankenkassenprämie. Die Mitteilung endete mit: «Wir grüssen Sie freundlich. SVA St. Gallen.»
Fehlender Hinweis: «Nicht rechtswidrig»
Absender des Schreibens war also die Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen. Unter den freundlichen Grüssen hätte es noch eine Handbreit Platz gehabt. Doch diesen Raum nutzte die SVA nicht. Stattdessen platzierte sie die Rechtsmittelbelehrung auf der Rückseite des A4-Blatts. Und zwar kommentarlos, also ohne einen speziellen Hinweis wie zum Beispiel «Beachten Sie die Rechtsmittelbelehrung auf der Rückseite» oder «Bitte wenden» oder «Seite 1/2».
«Rechtswidrig» sei das nicht, sagt der Staats- und Verwaltungsrechtler Bernhard Waldmann, Professor an der Universität Freiburg. Aber: «Klar könnte man es adressatenfreundlicher machen.»
Andere Kantone sind kundenfreundlicher
Dass das kein Problem ist, beweisen etliche Muster von Prämienverbilligungs-Verfügungen, die der K-Tipp bei anderen SVA eingeholt hat. In den Kantonen Basel-Stadt, Glarus, Obwalden und Solothurn zum Beispiel steht die Rechtsmittelbelehrung jeweils unmittelbar im Anschluss an den Verfügungstext. Also vorne auf dem Blatt.
Dass Roger Riva die Rechtsmittelfrist verpasste, hat noch einen anderen Grund. Denn die SVA St. Gallen schrieb ihm in der Verfügung – und zwar auf der Vorderseite: «Falls Unklarheiten bestehen, bitten wie Sie, sich mit uns in Verbindung zu setzen, bevor Sie ein Rechtsmittel ergreifen.» Diese Bemerkung habe ihn beruhigt, sagt Riva. Und sie habe ihn erst recht veranlasst, das Schreiben als Pendenz zur Seite zu legen. Als er dann rund 40 Tage später reklamierte, war es zu spät, weil die Rechtsmittelfrist abgelaufen war.
Bei der SVA St. Gallen heisst es dazu, man habe mit der erwähnten Bemerkung «ausgezeichnete Erfahrungen» gemacht.
Vollends verärgert wurde Riva dann, als er bei der SVA reklamierte, er vermisse auf der Vorderseite einen Hinweis auf die Rechtsmittelbelehrung auf der Rückseite. Ein Mitarbeiter beschied ihm, man verzichte auf den Hinweis, weil das «aus Kundensicht belehrend oder sogar anmassend wirken» könne.
Die offizielle Haltung der SVA St. Gallen sieht jedoch anders aus. Sie schrieb dem K-Tipp, sie «prüfe die Aufnahme eines ergänzenden Hinweises».
Im Kanton Freiburg wird es wohl auch künftig keinen solchen Hinweis geben. Direktor Hans Jürg Herren schrieb dem K-Tipp, seine Verfügungen sähen ähnlich aus wie diejenigen aus St. Gallen. «Es kann erwartet werden, dass die betroffenen Personen eine zweite Seite durchlesen», so Herren.
Fazit: Erwarten Sie von einem Amt keine Kundenfreundlichkeit, sondern lesen Sie alle formellen Verfügungen genauestens durch. Und drehen Sie jedes Blatt um.