Im letzten Jahr verabreichten Schweizer Landwirte ihren Nutztieren über 38 Tonnen Antibiotika, davon 2,4 Tonnen sogenannte «kritische Antibiotika». So werden Antibiotika bezeichnet, die für Menschen besonders wichtig sind. Sie sollten nur zum Einsatz kommen, wenn andere versagen. Die Zahlen stammen vom Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen.
Vergleichszahlen der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) aus dem Jahr 2015 zeigen: Beim Antibiotikaverbrauch pro Kilo Lebendgewicht der Nutztiere liegt die Schweiz im Mittelfeld (siehe Grafik links). Bauern in Dänemark, Finnland, Norwegen oder Schweden geben ihren Tieren aber deutlich weniger Antibiotika.
Verwendungszweck wird in der Schweiz nicht erfasst
In Dänemark zum Beispiel kontrollieren die Behörden den Verbrauch und sanktionieren Tierhalter, wenn sie zu viel einsetzen. In der Schweiz ist erst ab 2019 vorgesehen, den Einsatz von Antibiotika in einer nationalen Datenbank zu erfassen. Tierärzte müssen dann angeben, wem und für welchen Zweck sie das Medikament verschrieben haben. Noch ist unklar, ob bei übermässiger Abgabe von Antibio-tika Sanktionen verhängt werden sollen.
Durch den übertriebenen Einsatz von Antibiotika verändern sich einzelne Bakterien. Sie werden gegen Medikamente unempfindlich. Infektionen mit solchen multiresistenten Keimen lassen sich dann nicht mehr mit Antibiotika behandeln. Die Erreger gedeihen vor allem an Orten gut, an denen häufig Antibiotika verabreicht werden. Also in Spitälern oder in Ställen. Die industrielle Tierhaltung begünstigt die Entstehung resistenter Bakterien (siehe Grafik im PDF).
Resistenzen haben tödliche Auswirkungen
Die Folgen dieser Multiresistenzen sind dramatisch: Die Weltgesundheitsorganisation WHO schätzt, dass in Europa jedes Jahr rund 25 000 Menschen sterben, weil Antibiotika bei ihnen nicht mehr wirken. Auch in der Schweiz nehmen Antibiotikaresistenzen von einigen Bakterienarten zu. Multiresistente Keime fordern in der Schweiz laut der Eidgenössischen Fachkommission für biologische Sicherheit jedes Jahr mehrere Hundert Todesopfer.
Für die Bildung von resistenten Keimen bei Tieren ist laut Experten nicht nur die Menge der Antibiotika entscheidend. Wichtig sind auch die Häufigkeit des Einsatzes und die Dauer der Anwendung. Zahlen dazu gibt es in der Schweiz nicht.
Bekannt ist aber: Einen Spitzenplatz nimmt die Schweiz europaweit bei Euterinjektionen ein. Das zeigen Zahlen der EMA und des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit. Tierärzte und Landwirte verabreichten den Kühen 2016 rund 2,7 Tonnen Antibiotika direkt in die Zitzen. So sollen Euterentzündungen bekämpft oder verhindert werden. Viele dieser Präparate enthalten kritische Antibiotika. Damit keine Entzündungen entstehen, bekommen viele Kühe bereits einige Wochen vor der Geburt des Kalbs Antibiotika. In der sogenannten Trockenstehzeit wird die Kuh nicht mehr gemolken, das Euter ist besonders anfällig für Krankheitserreger.
Der Bündner Kantonstierarzt Rolf Hanimann kritisiert die massenweise Anwendung. Er schätzt, dass «nur bei rund einem Drittel der Kühe Antibiotika in der Trockenstehzeit nötig sind». Doch noch immer wird mindestens die Hälfte der Kühe behandelt. Diese Zahl ergibt sich aus der verkauften Menge der Antibiotika für die Trockenstehzeit.
Die Mittel wirken aber oft nicht, weil viele Bakterien bereits resistent sind. Eine Studie der Tiermedizinischen Fakultät der Universität Zürich zeigt zum Beispiel, dass das verbreitete Antibiotikum Orbenin Extra Dry Cow nur noch in rund 35 Prozent der Fälle wirksam ist.
Belastete Milch wird verfüttert oder weggeschüttet
Die Milch von Kühen, die mit Antibiotika behandelt werden, darf einige Wochen lang nicht verkauft werden. Die belastete Milch wird entweder an Kälber verfüttert oder weggeschüttet. So gelangt sie über das Abwasser in die Umwelt. Bei den Kälbern fördern die Antibiotika im Darm die Bildung von resistenten Keimen. Das belegt eine Studie der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit.
Mit dem Mist oder der Gülle können diese Keime auf Felder gelangen und von dort aufs Gemüse. Das Bundesamt für Veterinärwesen gibt zu: «Für die Entsorgung der belasteten Milch gibt es keine praktikable Alternative.»
Ariane Maeschli vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau in Frick AG sieht das Hauptproblem in der Tierhaltung: «Grosse Bestände, auf hohe Leistung gezüchtete Rassen und das Zusammenbringen von Jungtieren aus verschiedenen Geburtsbetrieben machen die Tiere anfälliger für Infektionen.» Eine solche Tierhaltung könne ohne Antibiotika kaum funktionieren. Die Ergebnisse eines Forschungsprojekts des Instituts zeigten, dass sich der Antibiotikaeinsatz bei anderer Tierhaltung um einen Drittel reduzieren liesse.
Auch Biobauern setzen Antibiotika ein (saldo 6/2016). Seit Januar müssen sie immerhin Wirksamkeitstests durchführen lassen, bevor eine Kuh mit Antibiotika für die Trockenstehzeit oder mit kritischen Antibiotika behandelt werden darf. Die Zürcher Tierärztin Alice Vollenweider sagt: «Damit können wir feststellen, um welchen Erreger es sich handelt, welches Antibiotikum wirkt und gegen welchen Wirkstoff das Bakterium bereits resistent ist.» Kritische Antibiotika dürfen Biobauern nur einsetzen, wenn kein anderes Mittel mehr wirkt.
Für Tierärzte ein lukratives Geschäft
Mit der systematischen Antibiotikagabe wollen viele Landwirte ihre Tierhaltung profitabler machen. Es gibt aber auch noch andere Profiteure: Für Tierärzte ist der Verkauf von Antibiotika ein lukratives Geschäft. Die Gewinnmargen liegen zwischen 30 und 50 Prozent. Pharmafirmen gewähren zudem Mengenrabatte, was das Geschäft noch attraktiver macht. «Ein nicht unbeträchtlicher Teil des Einkommens einer Tierarztpraxis geht auf Medikamente zurück», sagt der Graubündner Kantonstierarzt Rolf Hanimann. Zum Vergleich: In Norwegen – dem Land mit dem geringsten Antibiotikaeinsatz – dürfen Tierärzte keinen Profit aus der Medikamentenabgabe schlagen.