Schweizer Bauern sind Europameister beim Verbrauch von Antibiotika gegen Euterentzündungen. Auch in Bio-Betrieben sind in der Schweiz gewisse Antibiotika erlaubt. Im Durchschnitt erhält eine Schweizer Kuh fast jedes Jahr eine Behandlung mit Antibiotika am Euter. Das bestätigen mehrere Milchviehexperten sowie eine Studie der landwirtschaftlichen Forschungsanstalt Agroscope. Zahlen der europäischen Tierarzneimittelagentur ESVAC aus dem Jahr 2020 zeigen zudem: Milchbauern in der Schweiz spritzten pro Kuh dreimal so viel Antibiotika gegen Euterentzündungen wie ihre Kollegen in Österreich. Im Vergleich zu Dänemark wurde in der Schweiz 18 Mal so häufig gespritzt, sogar 90 Mal so oft wie in Norwegen.
Hochleistungskühe: Anfällig für Infekte
Einer der Gründe für die intensive Anwendung liegt bei der hohen Milchleistung vieler Milchkühe, sagt Patrizia Andina-Pfister von der Gesellschaft Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte. Sie ist Spezialistin im Fachbereich Tierarzneimittel. Hochleistungskühe seien generell anfälliger für Krankheiten als Durchschnittskühe – dies auch deshalb, weil Keime leichter ins Euter eindringen und dort Entzündungen hervorrufen. Akute Entzündungen seien für das Tier sehr schmerzhaft, sagt Andina-Pfister.
Einen weiteren Grund für die vielen Behandlungen sieht die Tierärztin in den hohen Anforderungen an die Milchqualität. Diese leide bei Entzündungen des Tiers.
«Sperrmilch» landet oft in der Gülle
Der massive Einsatz von Spritzen hat laut Experten zur Folge, dass wegen Antibiotikarückständen viel Milch nicht verkauft werden darf. Laut Schätzung von Experten handelt es sich jährlich um 80 Millionen Liter Milch. Das entspricht etwa der Menge, die 1,5 Millionen Schweizer in einem Jahr an Trinkmilch konsumieren. Bauern verfüttern diese «Sperrmilch» den Kälbern oder schütten sie in die Gülle. Beides ist unerwünscht, weil es die Bildung resistenter Keime fördert. Wo Bauern viele Antibiotika einsetzen, sind solche Keime vermehrt anzutreffen. Das zeigte im Jahr 2018 eine Masterarbeit an der ETH Zürich. Besonders zahlreich kamen sie in Mist, Gülle und im Stall vor.
Konsumfertige Milch ist zwar kaum mit resistenten Keimen belastet. Diese gelangen aber über Mist und Gülle auf andere Lebensmittel. Das ist vor allem bei Gemüse oder Salat problematisch, weil diese Lebensmittel auch roh gegessen werden. Lösen solche Bakterien bei Menschen Infektionen aus, helfen viele Antibiotika kaum noch.
Zur Gefahr von resistenten Keimen in Gemüse und Salat verweist das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen auf Studien von Agroscope. Diese seien noch im Gang. Das deutsche Bundesinstitut für Risikoforschung stuft die Belastung von Gemüse und Salat mit resistenten Keimen als «besorgniserregend» ein.
Der Zürcher Bauer und SVP-Nationalrat Martin Haab produziert 650 000 Liter Milch pro Jahr. Er sieht im hohen Antibiotikaeinsatz gegen Euterentzündungen nichts Negatives: «Wir behandeln unsere Tiere angemessen.» Ein krankes Tier müsse gemäss Tierschutzgesetz behandelt werden. Zur wachsenden Gefahr resistenter Keime in Lebensmitteln meint er: «Wir haben auf Schweizer Bauernhöfen kein Resistenzproblem.»
Dänische und norwegische Milchbauern beweisen allerdings, dass es im Kuhstall auch mit viel weniger Antibiotika geht. In der Schweiz gibt es lediglich rund 30 Betriebe, die ganz ohne Antibiotika auskommen. Hans Braun in Rothrist AG etwa produziert seit 20 Jahren ohne Antibiotika. Seine Kühe geben im Durchschnitt nur 5000 bis 6000 Liter Milch im Jahr – bei Hochleistungskühen können es bis 10 000 Liter sein. Seine Tiere seien dafür robust und würden kaum an Krankheiten leiden, sagt Hans Braun. Auch eine gute Beziehung zu den Tieren sei wichtig. Das erlaube es, eine Infektion frühzeitig zu erkennen und mit homöopathischen Mitteln erfolgreich zu behandeln. Die Milch seiner Kühe wurde bisher zu Bio-Schoggi verarbeitet und in die USA exportiert.
Gut zu wissen: Im Mai startet Aldi ein neues Bio-Programm. Der Detailhändler will dann auch Bio-Milch anbieten, die ohne Einsatz von Antibiotika hergestellt wurde.
Antibiotika-Datenbank noch immer unbrauchbar
Seit 2019 müssen Tierärzte dem Bund melden, wenn sie Antibiotika verschreiben. So sollen die Behörden gezielt gegen unnötige Antibiotikaspritzen vorgehen können. Die Zeitschrift «Saldo» verlangte vor eineinhalb Jahren per Öffentlichkeitsgesetz Zugang zu diesen Daten («Saldo» 19/2020). Das zuständige Amt lehnte das Gesuch jedoch ab. Die Daten der Tierärzte seien fehlerhaft.
Nun hat «Saldo» die Daten erneut eingefordert, um zu klären, wie viele Antibiotikabehandlungen gegen Euterentzündungen eine Milchkuh im Durchschnitt erhält. Diesmal lieferte das Amt die Daten – allerdings nur für das Jahr 2020. Doch diese Daten sind unvollständig und lassen keine Rückschlüsse zu. Grund: Bei über 20 Prozent der Verschreibungen waren die Ärzte nicht verpflichtet, nähere Angaben zu Behandlungsgrund, Tiergattung und Anzahl der behandelten Tiere zu machen.