Nespresso betreut seinen Kundendienst nicht selbst. Dafür zuständig ist das Callcenter Webhelp AG in Wallisellen ZH. Michelle Ballabio aus Zürich trat dort 2023 eine Stelle an. Ihr Monatslohn beträgt 4320 Franken.
Ballabio nimmt Anrufe entgegen und reagiert auf E-Mails von Nespresso-Kunden, die Fragen oder Beschwerden zu Kapselbestellungen, Reparaturen von Kaffeemaschinen oder zum Einloggen auf der Website haben. Bei jeder WC-Pause muss sie ausstempeln. Jeden Abend erhalten die Mitarbeiter im Nespresso-Callcenter eine Rangliste. Diese zeigt, wer wie viele Telefonate machte und wer wie viele davon unter dem Ziel von 200 Sekunden halten konnte.
In ihrer dreimonatigen Probezeit erkrankte Ballabio einmal drei Tage und ein weiteres Mal fünf Tage. Dafür erhielt sie keinen Lohn. Laut Gesetz wäre das zulässig: Arbeitgeber müssen zwar ihren Angestellten den vollen Lohn für mindestens drei Wochen Krankheit pro Jahr bezahlen – aber nicht in den ersten drei Monaten eines Arbeitsverhältnisses.
Doch bei Michelle Ballabio gilt der Gesamtarbeitsvertrag (GAV) der Branche, weil das Callcenter mehr als 20 Leute beschäftigt. Der GAV geht bei den Leistungen über das gesetzliche Minimum hinaus. Er sieht ab dem dritten Tag Abwesenheit wegen Krankheit eine Lohnzahlungspflicht in der Höhe des vollen Lohns vor. Spätestens nach sechs Monaten muss eine Krankentaggeldversicherung Taggelder von 80 Prozent des Lohns zahlen. Angestellte und Arbeitgeber zahlen die Prämien je zur Hälfte.
«Webhelp darf Vertrag nicht abändern»
Das Problem: Im Mitarbeiterreglement von Webhelp heisst es, dass Angestellte in den ersten drei Monaten kein Anrecht auf Lohn bei Krankheit haben. Für den Zürcher Arbeitsrechtsprofessor Roger Rudolph ist jedoch klar: «Der GAV sieht keine Ausnahme für die ersten drei Monate vor. Daher darf Webhelp den Vertrag nicht im Reglement zuungunsten der Angestellten abändern.»
Ballabio hat also noch Anspruch auf vier Tage Lohn für ihre acht unbezahlten Krankheitstage. Sie wurde noch während ihrer Probezeit entlassen.
Auch Ballabios Kollegin Zoe Gonzato machte als Mitarbeiterin von Webhelp schlechte Erfahrungen. Die 18-Jährige erhielt während der Probezeit die Kündigung – am Tag, an dem sie dem Vorgesetzten mitgeteilt hatte, dass sie schwanger sei. Dieser schrieb ihr zwar, die Schwangerschaft sei «nicht der Grund der Kündigung, sondern der Auslöser». Zugleich bestätigte er aber: Der Betrieb habe nicht riskieren wollen, dass sie während der Schwangerschaft ausfalle. Webhelp ermunterte Gonzato, sich nach der Geburt zu melden, wenn sie wieder Arbeit suche.
Schwangerschaft ist kein Kündigungsgrund
Laut Gesetz sind Frauen vor Kündigungen während der Schwangerschaft geschützt. Doch dieser Schutz beginnt erst nach Ablauf der Probezeit und dauert bis 16 Wochen nach der Geburt des Kindes. Eine Kündigung wegen Schwangerschaft in der Probezeit kann aber gegen das Gleichstellungsgesetz verstossen. Es verbietet Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts. Arbeitsrechtsprofessor Roger Rudolph: «Eine Entlassung wegen einer Schwangerschaft ist diskriminierend und damit unzulässig.»
Nespresso beantwortete die Fragen des K-Tipp nicht. Webhelp sagt auf Anfrage: «Wir sind dabei, die Angelegenheit intern zu untersuchen.» Bei Zoe Gonzato schliesst Webhelp nicht aus, dass man mit ihr eine Einigung trifft. Ausserdem versprach die Firma Gonzato und Michelle Ballabio nachträglich, die Versicherungsprämien fürs Krankentaggeld zurückzuzahlen.
Das gilt bei Probezeit und Krankheit
- Die Probezeit dauert laut Gesetz ohne andere Abmachung einen Monat. Sie kann im Vertrag bis auf drei Monate verlängert werden.
- In der Probezeit können beide Parteien jederzeit mit einer Frist von sieben Tagen kündigen, sofern nichts anderes vereinbart wurde.
- Im Krankheitsfall verlängert sich die Probezeit um die Dauer der Abwesenheit.
- Der Kündigungsschutz bei Schwangerschaft, Krankheit oder Unfall gilt während der Probezeit nicht.
- Unabhängig von der Dauer der Probezeit muss der Arbeitgeber in den ersten drei Monaten bei krankheitsbedingtem Ausfall keinen Lohn bezahlen, sofern im Vertrag oder im Gesamtarbeitsvertrag nichts anderes abgemacht ist.