Erika Biaggi (Name geändert) arbeitet im Raum Aargau als Pflegerin für die Spitex Senevita Casa. Sie betreut Patienten zu Hause. Ihr Einsatzort ändert sich von Tag zu Tag. Das heisst: Sie fährt nicht ins Büro, sondern jeweils direkt mit dem Privatauto zu den Kunden.
Für diese Fahrten erhielt sie bisher eine Spesenpauschale von Senevita Casa: 15 Franken pro Einsatz. Neu will Senevita Casa ihren über 1100 Angestellten die Spesen gemäss Aufwand abrechnen, und zwar mit 70 Rappen pro gefahrenem Kilometer.
Doch das neue Reglement hat einen Haken: «Für die Fahrstrecke vom Wohnort zum ersten Kunden sowie vom letzten Kunden zum Wohnort gelten je 30 Kilometer pro Tag als Arbeitsweg.» Das heisst: Für diese 60 Kilometer will Senevita Casa keine Fahrspesen bezahlen. Die 70 Rappen pro Kilometer gibt es also erst ab dem 60. Kilometer.
Nur die Hälfte der Kilometer vergütet
Pflegerin Erika Biaggi arbeitet Teilzeit. Sie hat ausgerechnet: Von den rund 1000 Kilometern, die sie im Auftrag von Senevita monatlich mit ihrem Auto zurücklegt, würden nach der neuen Regelung nur etwa die Hälfte vergütet.
Doch das ist nicht zulässig: Die Kosten für die Fahrt zum Kunden sind Geschäftsaufwand und müssen zwingend vom Arbeitgeber vergütet werden. Das sagt Thomas Geiser, emeritierter Professor an der Universität St. Gallen: «Der Weg zum ersten Kunden darf nicht einfach als blosser Arbeitsweg angesehen werden.» Gemäss einem Bundesgerichtsurteil aus dem Jahr 2021 dürfte höchstens eine Strecke bis zur Arbeitgeberin als Arbeitsweg angesehen und bei der Spesenrechnung in Abzug gebracht werden.
Bei Erika Biaggi wäre dieser Abzug maximal zehn Kilometer. So weit entfernt liegt das regionale Spitexzentrum von ihrem Wohnort. Ein Abzug von 30 Kilometern, wie von Senevita vorgesehen, ist also nicht zulässig.
Biaggi fragte bei Senevita nach, ob sie statt von zu Hause aus von der Spitexzentrale aus zu den Kunden fahren dürfe und dafür ein Geschäftsauto benutzen könne. Senevita lehnte ab. Biaggi zog die Konsequenzen. Sie unterschrieb die neue Spesenvereinbarung nicht und kündigte.
Stossend aus Sicht der Patienten: Dem K-Tipp liegen Abrechnungen vor, die zeigen, dass Senevita Casa den Patienten Fahrspesen in Höhe von 80 Rappen pro Kilometer belastet. Mit anderen Worten: Die Spitex-Organisation verdient noch am Arbeitsweg ihrer Angestellten. Senevita erklärt, dies betreffe nur Kunden, für die noch ältere Spesenregelungen gelten. Diese würden laufend angepasst.
Spesen: Das gilt gemäss Arbeitsrecht
- Kosten, die bei der Ausübung des Berufs anfallen, müssen vom Arbeitgeber bezahlt werden. Vertragsklauseln, die einen Teil der Spesen auf Angestellte abwälzen, sind ungültig.
- Wer oft Geschäftsauslagen in bar bezahlen muss, hat Anrecht auf eine Vorauszahlung.
- Wer für die Erledigung seiner Arbeit Material einkauft, muss erst das Einverständnis des Arbeitgebers einholen.
- Steht im Vertrag, dass Angestellte für die Ausübung der Arbeit ihr Privatauto benutzen müssen, muss der Arbeitgeber für Benzin, Unterhalt und andere Kostenfaktoren aufkommen. In der Regel wird dafür eine Kilometerpauschale verabredet. Bei Mittelklassewagen und 15'000 Kilometer Fahrt pro Jahr sind 65 Rappen angemessen.
- Spesenpauschalen sind zulässig. Die Pauschale muss aber die durchschnittlich anfallenden Kosten decken.