Beat Inglin ist Inhaber eines Druckereibetriebs in Zufikon AG. Ein Angestellter meldete sich Anfang April von der Arbeit ab, weil er sich bei einem Fussballspiel verletzt habe. Am dritten Tag erkundigte sich Inglin nach dessen Gesundheitszustand und einem Arztzeugnis. Das ist laut dem Betriebsreglement von Inglins Firma normalerweise erst ab dem dritten Tag erforderlich. Hatte ein Angestellter aber – wie in diesem Fall – mehr als fünf Kurzabsenzen in einem Kalenderjahr, verlangt der Betrieb schon ab dem ersten Tag eine ärztliche Bestätigung.
Der Mitarbeiter schickte Inglin noch am gleichen Tag ein «Arbeitsunfähigkeitszeugnis» von Medgate. Das telemedizinische Arztzentrum in Basel berät Versicherte verschiedener Krankenkassen telefonisch. Der Patient wird also nicht persönlich von einem Arzt untersucht, sondern schildert seine Beschwerden am Telefon.
Das Zeugnis von Medgate bescheinigte dem Angestellten wegen «Krankheit» eine Arbeitsunfähigkeit von fünf Tagen. Der Firmeninhaber zweifelte jedoch daran, da der Mann schon häufig gefehlt hatte. Er akzeptierte das Zeugnis nicht. Darauf erschien der Mitarbeiter am nächsten Tag wieder zur Arbeit – trotz des angeblichen Sportunfalls ohne Verband, Gips oder Gehhilfe.
Selbstdeklaration hat keine Beweiskraft
Wer behauptet, arbeitsunfähig zu sein, muss dies nachweisen. Sonst hat er keinen Anspruch auf Lohn. Deshalb heisst es wohl auf dem Medgate-Scheiben in kleiner Schrift: «Dieses Zeugnis gilt erst nach entsprechender Akzeptanz des Arbeitgebers als Beweis für die attestierte Arbeitsunfähigkeit.» Roger Rudolph, Rechtsanwalt und Assistenzprofessor an der Universität Zürich, bestätigt: Arztzeugnisse, die allein auf den Schilderungen des Patienten basieren, haben keine Beweiskraft.
Medgate stellte nach eigenen Angaben im vergangenen Jahr im Durchschnitt 150 bis 200 Arztzeugnisse pro Woche aus. Für Patienten ist das in der Regel kostenlos.
Auch andere telemedizinische Zentren stellen solche Zeugnisse aus – zum Beispiel Medi24. Die deutsche Firma Dr. Ansay AU-Schein GmbH bietet gar Arztzeugnisse per Handy an. Dabei klickt der Patient auf Au-schein.de seine Symptome an und gibt die Personalien ein. Er zahlt mit Paypal Fr. 10.10. Anschliessend bekommt er per Whatsapp ein Zeugnis über seine Arbeitsunfähigkeit. Die Firma schickt die Arztzeugnisse auch in die Schweiz.
Der Haken: Die Krankschreibung erfolgt aufgrund der Selbstdeklaration des Patienten. Das Zeugnis hat also keine Wirkung, wenn es der Arbeitgeber nicht akzeptiert.
So viel Lohn haben kranke Angestellte zugute
Kranke Arbeitnehmer haben während einer gewissen Zeit Anspruch auf Lohn. Wie viel und wie lange, hängt davon ab, wie lange jemand im Betrieb angestellt ist und wo sich dieser befindet. Je nach Gericht ist die Basler, Berner oder Zürcher Skala anwendbar. Im ersten Anstellungsjahr besteht überall Anspruch auf maximal drei Wochen Lohn. Danach verlängert sich die Dauer je nach Ort unterschiedlich.
Hat der Betrieb eine Taggeldversicherung abgeschlossen, zahlt diese bis maximal 720 Tage lang 80 Prozent des Lohns. Die Leistung der Versicherung ergibt sich in der Regel aus dem Arbeitsvertrag.
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