Die Stauzahlen, die der Bund jährlich publiziert, zeigen steil nach oben. Danach standen die Autofahrer im Jahr 2023 nicht weniger als 48'800 Stunden lang auf Schweizer Nationalstrassen in einem Stau. Das sei rund ein Fünftel mehr als im Vorjahr, schrieb das Bundesamt für Strassen in einer Mitteilung. Ausbauten seien unumgänglich, weil die Nationalstrassen «zunehmend überlastet» seien.
Die Medien und viele Politiker übernahmen die Zahlen des Bundes ungeprüft. Der «Tages-Anzeiger» schrieb, die Zeit in Staus sei allein innert der letzten fünf Jahre um 28'000 Stunden gestiegen. Urs Furrer vom Gewerbeverband sagte im «Blick», die Staustunden hätten sich seit 2016 verdoppelt, und warb damit für den Autobahnausbau.
Neue Zählmethode, Strassennetz grösser
Die Bevölkerung stimmt am 24. November darüber ab. Recherchen des K-Tipp zeigen: Der Bund macht irreführende Angaben zu den Staustunden. Denn ein Teil des Anstiegs der Staustunden auf Nationalstrassen ist gemäss Bundesamt für Statistik «auf eine verbesserte Erfassung des Verkehrsgeschehens zurückzuführen» – also nicht auf längere Staus.
Hinzu kämen ein Wechsel der Zählmethode im Jahr 2016 und eine Ausweitung der erfassten Strecken im Jahr 2020. Damals gingen 400 Kilometer Kantonsstrassen wegen einer Gesetzesänderung ins Nationalstrassennetz über. Nur schon dadurch stieg die statistisch erfasste Anzahl Staustunden auf Nationalstrassen um 12 Prozent, wie das Bundesamt für Strassen dem K-Tipp auf Nachfrage bestätigt.
Weiter schreibt es: Die Staus könnten «dank zusätzlicher Sensoren und Kameras» auf den Nationalstrassen laufend besser erfasst werden.
Vergleich der Zahlen «nicht direkt möglich»
Auch der Methodenwechsel habe zu einer Erhöhung der Staustunden geführt. Um wie viel die Staustundenzahl insgesamt effektiv stieg, kann die Behörde nicht sagen. Ein Vergleich der heutigen Zahlen mit denen aus früheren Jahren sei «nicht direkt möglich».
Fazit: Der Bund hat keine Ahnung, ob die Staus im Langzeitvergleich effektiv zugenommen haben. Der K-Tipp wollte wissen, warum das zuständige Amt dies in seinen Mitteilungen nicht klar festhalte. Es gab dazu keine Antwort.
Ebenso fragwürdig ist, wie der Bund zu seiner Aussage über Staukosten kommt. Bundesrat Albert Rösti sagte in einem Interview in der «Abstimmungszeitung» des Gewerbeverbands: Die Staus würden Kosten von über drei Milliarden Franken verursachen. «Diese Kosten steigen Jahr für Jahr.»
Die Zahl stammt vom Bundesamt für Raumentwicklung und findet sich in diversen weiteren Medienberichten. Doch die 3 Milliarden Franken sind laut Amt die Summe, welche die Autofahrer zu zahlen bereit wären, damit sie völlig freie Fahrt hätten, statt im Stau zu stehen. Es handelt sich also nicht um reale Kosten.
Fiktive Staukosten nur in der Schweiz
Die Schweiz publiziert als einziges deutschsprachiges Land solche fiktiven Staukosten. Die Statistikämter von Deutschland und Österreich schreiben dem K-Tipp, sie würden keine Staukosten berechnen.
Einfacher wäre die Berechnung der Kosten für den geplanten Ausbau der Autobahn. Doch auch damit hat das Bundesamt für Strassen Mühe. Im Abstimmungsbüchlein sind die Kosten viel zu tief angesetzt. Statt der genannten 4,9 Milliarden Franken sind es mindestens 7,1 Milliarden (K-Tipp 18/2024).