Bahnfahrer sollen stehen
Stehen statt sitzen heisst die neue Devise für Bahnbenützer. Und das trotz steigender Preise. «Das ist zumutbar», finden die SBB.
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K-Tipp 16/2006
04.10.2006
Vera Sohmer
Der Bahnkunde zahlt für weniger Komfort immer höhere Preise. Ist das die neue Politik der SBB?
Michèle Bamert, Sprecherin der SBB: Im Vergleich zu den erweiterten Angeboten sind die Tarifanpassungen in den letzten Jahren sehr moderat ausgefallen.
Mehr Stehplätze, weniger Sitzplätze: Sieht so die Zukunft für treue Bahnkunden aus?
Das Angebot an Sitzplätzen wird zum Beispiel im Zürcher S-Bahn-Netz laufend verbessert. Zu Spitzenzeiten verkehren unsere Züge mit ...
Der Bahnkunde zahlt für weniger Komfort immer höhere Preise. Ist das die neue Politik der SBB?
Michèle Bamert, Sprecherin der SBB: Im Vergleich zu den erweiterten Angeboten sind die Tarifanpassungen in den letzten Jahren sehr moderat ausgefallen.
Mehr Stehplätze, weniger Sitzplätze: Sieht so die Zukunft für treue Bahnkunden aus?
Das Angebot an Sitzplätzen wird zum Beispiel im Zürcher S-Bahn-Netz laufend verbessert. Zu Spitzenzeiten verkehren unsere Züge mit maximaler Länge. Da immer mehr Züge eingesetzt werden, kann sicher nicht von einem Sitzplatzabbau die Rede sein.
Stehplätze bedeuten weniger Reisekomfort. Da wäre es doch konsequent, die SBB würden wieder eine dritte Klasse einführen.
Die dritte Klasse existiert seit dem 3. Juni 1956 nicht mehr. Natürlich sitzen wir alle lieber. Man muss angesichts der grossen Mobilität in den Zentren aber auch realistisch sein: Weltweit besteht auf keinem Bahnnetz die Garantie für einen Sitzplatz zur Hauptverkehrszeit.
Hätte der Fahrgast nicht wenigstens Anspruch auf einen Preisnachlass in den Zügen, in denen er stehen muss? Sogar die dritte Klasse bot Sitzplätze an.
Ein Fahrausweis gibt Anrecht auf die Transportleistung. In der Hauptverkehrszeit wäre es schlicht nicht praktikabel, bei jedem einzelnen Fahrgast zu kontrollieren, ob er jetzt sitzen könnte oder stehen müsste. Dieser Anspruch besteht auch in Trams und Bussen nicht, für die in den Tarifverbunden dieselben Fahrpreise gelten.
Ein Generalabonnement (GA) für die erste Klasse kostet im Jahr 4700 Franken. Ist für diesen stolzen Preis kein Sitzplatz mehr garantiert?
Für ein GA der ersten Klasse bezahlt man umgerechnet 13 Franken pro Tag. Damit kann man täglich bei 150 Unternehmen in der ganzen Schweiz auf über 20 000 Kilometern reisen - und das in den meisten Fällen garantiert sehr komfortabel sitzend.
Dass Berufspendler selbst in der ersten Klasse keinen Sitzplatz mehr finden, gehört auf bestimmten Strecken aber zum Alltag. Müssen sich Bahnkunden damit abfinden?
Das ist ganz sicher nicht der Normalfall. In der ersten Klasse gibt es gewöhnlich mehr freie Plätze.
Viele Fahrgäste sagen schon heute, dass sie lieber aufs Auto umsteigen, weil sie dann wenigstens sitzen können. Was tun Sie, um diese Bahnkunden nicht zu verlieren?
In Einzelfällen schliesse ich das nicht aus, was schade ist. Unsere aktuelle Kundenbefragung zeigt aber in die richtige Richtung: Die Kunden sind gesamthaft mit Qualität, Leistung und dem Preis-Leistungs-Verhältnis der SBB zufriedener geworden.
Pro Bahn fordert Preisreduktion für Stehplätze
Die überfüllten Züge für Pendler sind berüchtigt. Die Zahl der Fahrgäste hat sich beispielsweise im Zürcher S-Bahn-Netz seit 1990 mehr als verdoppelt. Auch mit neuen Doppelstockzügen sind die Engpässe nicht zu beseitigen. Auf stark überlasteten Linien sollen jetzt Stehplatzzonen Abhilfe schaffen.
Das lässt die Kundenorganisation Pro Bahn aufhorchen: Sollten die SBB mehr Stehplätze zu Lasten von Sitzplätzen einrichten, braucht es dafür günstigere Tarife, fordert Karin Blättler von Pro Bahn. Denn: Wer stehen muss, reist weniger komfortabel und sollte dafür weniger zahlen müssen.