Luna Hasler (Name geändert) zog vor 10 Jahren aus Thailand zu ihrem Schweizer Ehemann in den Kanton Aargau. Die Angestellte eines Produktionsbetriebes arbeitet im Stundenlohn und verdient knapp 3000 Franken pro Monat. Vom Einkommen gibt sie ihrem Ehemann 350 Franken für die Steuern. Sie zahlt Beiträge an die 3. Säule und trägt die Kosten für ihr Auto, ihr Handy und für weitere persönliche Ausgaben selber.
Mit dem Rest des Lohnes versuchte die 40-jährige Frau, ihre kranke Mutter und zwei Schwestern im Norden Thailands zu unterstützen. Das Geld reichte nicht aus. Deshalb lieh sie häufig Geld bei thailändischen Freunden und Bekannten aus.
Anfang Juli 2019 kontaktierte sie einen thailändischen Kreditvermittler, der in der Schweiz lebt. Dieser füllte für sie auf der Internetseite einer Zürcher Bank einen Kreditantrag für 58 000 Franken aus. Hasler musste nur angeben, wie viel sie und ihr Ehemann verdienen und wie hoch die Wohnkosten sind. Weitere Angaben verlangte der Kreditvermittler nicht. Wenige Tage später erhielt sie von der Bank per Post einen Kreditvertrag über 58 000 Franken zugeschickt. Die Laufzeit des Kredits betrug 84 Monate, der Jahreszins 9,9 Prozent. Das ergibt eine Rate von Fr. 947.30 pro Monat.
Beigelegt war eine Budgetberechnung für die sogenannte Kreditfähigkeitsprüfung. Darin führte die Bank wenige Ausgaben zu ihrem Lebensunterhalt auf. Hasler dachte sich nichts dabei, unterschrieb den Vertrag und schickte ihn zurück. Nach einigen Tagen erhielt sie die 58 000 Franken auf ihr Bankkonto gutgeschrieben. Damit zahlte sie ihre Schulden zurück und überwies weiteres Geld nach Thailand.
Prüfung ist ein Schutz für die Kreditnehmer
Luna Hasler zahlte wie verlangt pünktlich jeden Monat Fr. 947.30 an die Bank zurück. Bis Ende April 2020 waren es insgesamt neun Raten – gut 8500 Franken. Anfang Mai schuldete Hasler der Bank wegen der hohen Zinsen immer noch 53 464 Franken.
Schliesslich fand ihr Ehemann Peter die Bankunterlagen. Er wusste nichts vom Kredit seiner Ehefrau. Weder sie noch die Bank hatten ihn darüber informiert. Schnell erkannte er, dass mit der Kreditfähigkeitsprüfung seiner Frau etwas nicht stimmen konnte. Er schaltete den Berner Anwalt Mario Roncoroni ein. Dieser war 30 Jahre lang als Anwalt für die Berner Schuldenberatung tätig. Heute ist er selbständiger Anwalt.
Roncoroni stellte diverse Fehler in Luna Haslers Kreditfähigkeitsprüfung fest: Das Einkommen war zu hoch berechnet, der Betrag für die Steuern zu tief, und es fehlten die Ausgaben für Auto, auswärtige Verpflegung und zukünftige Gesundheitskosten.
«Wie so oft hat die Bank die Kreditfähigkeitsprüfung bei Luna Hasler auf die leichte Schulter genommen», sagt Mario Roncoroni. Dabei ist das Gesetz klar: Mit der Kreditfähigkeitsprüfung soll vermieden werden, dass sich der Kreditnehmer und seine Familie überschulden. «Eine Bank hat also vor Abschluss des Vertrags genau zu überprüfen, ob der Kredit Platz im Haushaltsbudget des Kreditnehmers hat», sagt Mario Roncoroni. Dazu müsse die Bank sämtliche Ausgaben berücksichtigen, die der Kreditnehmer und seine Familie während der ganzen Vertragsdauer zu bezahlen haben.
Enthält die Kreditfähigkeitsprüfung leichte Fehler, verliert die Bank ihren Anspruch auf den Zins für den Kredit. Der Barkredit wird dann zum Gratiskredit. Bei schweren Fehlern verliert sie auch den Kredit. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn die Bank die Berufsauslagen einer erwerbstätigen Person nicht berücksichtigt. So hatte das Regionalgericht Bern-Mittelland im Mai 2020 entschieden («Saldo» 18/2020).
Fehler können zu Schuldenerlass führen
Es gibt bisher in der Schweiz nur wenige Gerichtsurteile zur Kreditfähigkeitsprüfung. «Praktisch alle Fälle lassen sich ohne Gericht mit einem Vergleich erledigen», sagt Roncoroni. «Hat die Bank Fehler gemacht, hat der Kreditnehmer grosse Chancen, dass er nichts oder nur einen Teil des Kredits zurückzahlen muss.»
So war es auch bei Luna Hasler. Anwalt Roncoroni telefonierte zwei Mal mit der Bank und schrieb ihr zwei Briefe. Dann stand der Vergleich: Hasler muss der Bank nur noch 20 000 Franken zurückzahlen – in 40 Raten à 500 Franken pro Monat. Auf den Rest des Kredits von rund 33 000 Franken verzichtet die Bank.
Die häufigsten Fehler bei der Kreditfähigkeitsprüfung
Kreditfähig ist, wer so viel verdient, dass er seinen Lebensunterhalt bestreiten und den Kredit in 36 Monaten zurückzahlen kann. Zum Lebensunterhalt gehören ein Grundbetrag für Essen, Kleider, Körperpflege, Unterhalt der Wohnung und Freizeit sowie alle Ausgaben, die anfallen. Dazu gehören: Miete, Heiz- und Nebenkosten, Steuern (Quellensteuer), Gesundheitskosten (die Krankenkassenprämie für Grund- und Zusatzversicherung sowie Rückstellungen für Franchise und Selbstbehalt), Autokosten, Berufsauslagen für Fahrten zum Arbeitsplatz und auswärtige Verpflegung sowie Kosten für Kinderbetreuung.
Die häufigsten Fehler bei der Kreditfähigkeitsprüfung sind: Die Auslagen für auswärtige Verpflegung und für die Kinderbetreuung fehlen. Auch Autokosten und Rückstellungen für Franchise und Selbstbehalt bei der Krankenkasse gehen gerne vergessen. Für den Arbeitsweg sind zu tiefe Pauschalen eingesetzt, und die Quellensteuer wird falsch berechnet.
Tipps: Auf Konsumkreditgesetz.ch kann man ein Handbuch zur Kreditfähigkeitsprüfung gratis herunterladen. Und auf der Website der Berner Schuldenberatung gibt es eine Excel-Tabelle, mit der man die Kreditfähigkeitsprüfung durchführen kann (www.schuldeninfo.ch ! Für Profis ! Kreditfähigkeitsprüfung).