Der Verband Inclusion Handicap setzt sich für die Rechte von behinderten Menschen ein. Die Verbandsbeschwerde ist ein wichtiger Teil des Behindertengleichstellungsgesetzes. Doch laut Caroline Hess-Klein von Inclusion Handicap ist die Wahrnehmung von Interessen der Mitglieder durch den Verband in Gefahr.
Grund dafür ist ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. Juli dieses Jahres. «Das Gerichtsurteil bedeutet das Ende des Beschwerderechts für die Behindertenverbände», sagt Caroline Hess-Klein.
Darum geht es: Der Verband erhob Beschwerde gegen die Betriebsbewilligung für die FV-Dosto-Züge der Firma Bombardier – die berüchtigten «Schüttelzüge». Diese seien für Leute mit einer Behinderung nicht selbständig benutzbar und müssten umgebaut werden, forderte Inclusion Handicap. Im Prozess stand der Behindertenverband den SBB und dem Bundesamt für Verkehr gegenüber. Das Gericht bezog zudem Bombardier ins Verfahren ein, vor allem für die Klärung technischer Fragen.
«Hohe Prozesskosten schrecken ab»
In wichtigen Punkten bekam Inclusion Handicap recht. Gemäss dem Urteil müssen die SBB und das Bundesamt für Verkehr sicherstellen, dass Gehbehinderte bei allen Zugtüren selbständig ein- und aussteigen können. In den meisten anderen Beschwerdepunkten unterlag der Behindertenverband jedoch. Inclusion Handicap muss daher laut Gericht eine Prozessentschädigung von 60'000 Franken an die SBB zahlen sowie 50'000 Franken an Bombardier.
Bei den insgesamt 110'000 Franken handelt es sich um eine reduzierte Summe. Die SBB hatten Anwaltskosten von 331'000 Franken geltend gemacht. Das Bundesverwaltungsgericht sprach darauf den SBB und Bombardier je 126'000 Franken Entschädigung zu, total 252'000 Franken. Inclusion Handicap wehrte sich beim Bundesgericht. Es hiess die Beschwerde teilweise gut und legte die Entschädigung bei den erwähnten 110'000 Franken fest.
Regina Kiener, ehemalige Professorin an der Uni Zürich, sieht die Gleichstellung der Behinderten angesichts solcher Prozesskosten infrage gestellt. Die Verbandsbeschwerde sei eingeführt worden, weil Leute mit Behinderungen Verfahren in der Regel nicht selbst führen können. Deshalb sei es wichtig, dass die Verbände in ihrem Namen prozessieren. «Hohe Prozesskosten haben einen abschreckenden Effekt. So wird der Zugang der Behinderten zum Recht ausgehöhlt.»
Caroline Hess-Klein von Inclusion Handicap bestätigt: «Ein zweites Mal so hohe Prozesskosten können wir uns schlicht nicht leisten. So wird die Beschwerde zu einer Frage des Geldes.» Der Verband wird das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts weiterziehen und hofft auf eine erneute Korrektur durch das Bundesgericht.
Das wäre auch im Interesse der Steuerzahler: In der Botschaft zum Behindertengleichstellungsgesetz vom Jahr 2002 hielt der Bundesrat fest: Ohne Beschwerderecht müssten «sonst entsprechende Kontrollinstanzen der Verwaltung aufgebaut werden». Und das würde viel Geld kosten. Eine funktionierende Verbandsbeschwerde schützt also nicht nur die Interessen der Behinderten – sie schont auch die Bundeskasse.
Bundesgericht kritisierte schon früher zu hohe Prozesskosten
Auch Umweltverbände können eine Verbandsklage einreichen, wenn sie den Naturschutz gefährdet sehen. In früheren Fällen veranschlagten Gerichte auch dort horrende Kosten. Beispiel: Im Jahr 2013 legten die Verbände Pro Natura, WWF und der Schweizerische Fischereiverband vor dem Verwaltungsgericht Graubünden gegen ein Kraftwerkprojekt im bündnerischen Lugnez Beschwerde ein. Das Gericht wies diese ab und belastete den Verbänden Kosten von über 54'000 Franken: 26'600 Franken an Gerichtskosten sowie eine Entschädigung von insgesamt 27'700 Franken – zu zahlen an die Gegenparteien, die Kraftwerke Zervreila AG und elf beteiligte Gemeinden.
Die Umweltverbände wehrten sich vor Bundesgericht – mit Erfolg. Das oberste Gericht kritisierte die Prozesskosten im Urteil vom Oktober 2016 als «sehr hoch». Diese wirkten zusammen mit den Anwaltskosten «prohibitiv» und «drohen die Ausübung des Verbandsbeschwerderechts zu verhindern». Das Bündner Verwaltungsgericht senkte darauf die Parteientschädigung auf 4600 und die Gerichtskosten auf 11'600 Franken.
Das Bundesgericht gab den Umweltverbänden auch inhaltlich recht. Deshalb mussten sie am Ende nur knapp 2000 Franken bezahlen.