Für viele Bewohnerinnen und Bewohner von Alters- und Pflegeheimen war es eine gute Nachricht: Der Bundesrat hob vergangene Woche die Maskenpflicht für geimpfte Heimbewohner in öffentlichen Innenräumen wie zum Beispiel der Cafeteria auf.
Ein kleiner Schritt, der grosse Hoffnungen weckt. Christian Streit, Geschäftsführer des Verbands der Alters- und Pflegeeinrichtungen Senesuisse, ist überzeugt: «Die Heimbewohner haben es satt, ständig eine Maske zu tragen. Masken sind für viele Ältere ein Hindernis, ja eine Schikane, zum Beispiel beim Reden.» Oft verstehe man betagte Menschen mit der Maske nicht mehr – und diese sich gegenseitig erst recht nicht.
Doch es bleibt fraglich, ob alle Heimbewohner in den Genuss dieser Lockerung kommen. Denn hinter der neuen Weisung des Bundesrats versteckt sich eine «Kann»-Formulierung. In der neuen Verordnung heisst es: Heime «können nach Rücksprache mit der zuständigen kantonalen Behörde» die Maskenpflicht für Bewohner in Heimen aufheben.
Für Christian Streit ist das eine heikle Formulierung. Denn: «Kantone verhalten sich mit Anordnungen, Weisungen und Empfehlungen an die Heime oft hilflos. Diese wissen in der Folge nicht, wie sie konkret handeln sollen.»
Kantone schieben Verantwortung ab
An der Besucherregelung zeigt sich, was das für Betagte in Heimen bedeutet: So dürfen Heimbewohner im Kanton Bern und im Kanton St. Gallen ihre Angehörigen und Freunde noch immer nicht zum Mittagessen im Heimrestaurant empfangen. Auf Anfrage des K-Tipp verstecken sich die beiden Kantone hinter Bundesrecht, wonach Restaurants geschlossen bleiben müssen. Und sie schieben die Verantwortung auf die Heimleitungen ab. Es liege in deren Ermessen, die Besucherregelung anzupassen.
Allerdings: Der K-Tipp hat Kenntnis von einem St. Galler Heim, das dem Kanton ein Konzept zur Öffnung seines Restaurants für Besucher unterbreitet hatte. Die Behörde lehnte den Antrag ab.
Die Bewohner des Heimes hatten dennoch Glück. Der Heimleiter war mutig und setzte sich über das Verbot hinweg. Er wollte die massive Einschränkung des Besuchsrechts seinen Bewohnern nicht länger zumuten.
Die schlimmen Momente der vergangenen Wochen und Monate brannten sich tief in die Erinnerung vieler Heimleiter ein: «Bewohner wollten nicht mehr aufstehen am Morgen. Sie wollten sich nicht mehr zurecht machen, für wen auch», berichtet eine Berner Heimleiterin dem K-Tipp. Andere erzählen, wie ihre Bewohner traurig und stumm wurden. Viele benötigten höhere Dosen an Medikamenten. Einzelne hätten das Essen verweigert, sich selbst aufgegeben und seien gestorben.
Unverständliche Besucherregelung
Jetzt, wo die meisten Heimbewohner geimpft sind und es deutlich weniger Todesfälle gibt, warten viele sehnlichst auf mehr Freiheiten. Sie möchten vor allem ihre Angehörigen wieder unter normalen Verhältnissen treffen können. Doch kantonale Behörden gehen aus Furcht vor der Verantwortung lieber auf Nummer sicher. Bei der Besucherregelung tun sie sich besonders schwer mit Öffnungsschritten.
Der Bund empfahl, dass Besucher von Heimbewohnern jeweils einen höchstens sieben Tage alten negativen Antigenschnelltest vorweisen sollten. Der Kanton Zürich machte diese Empfehlung von einem Tag auf den anderen für Besucher zur verbindlichen Vorschrift. Nur: Umsetzbar war sie nicht. Die Angehörigen von Heimbewohnern konnten sich zwar einem solchen Test in einer Apotheke unterziehen, bekamen aber meist keine schriftliche Bestätigung des Resultats, die sie dem Heim hätten vorweisen können.
Das sorgte für grosse Verwirrung bei den Heimleitern und den Angehörigen von Heimbewohnern. Und für viel Unverständnis, weil die Massnahme so nicht einer Lockerung, sondern einer Verschärfung der Einschränkungen gleichkam. «Diese Verschärfung versteht niemand, auch nicht der Heimarzt», bringt es eine Zürcher Heimleiterin auf den Punkt.
Immerhin: Vergangene Woche wandelte Zürich die rigorose Testpflicht für Besucher in eine unverbindliche Empfehlung um. Der Kanton rechtfertigt sich: Er habe nur die Gefahr von Covid-Neuansteckungen in Heimen minimieren wollen. Rückmeldungen von Heimen und aus der Bevölkerung hätten aber gezeigt, dass der «Wunsch nach eigenverantwortlichem Handeln gross» sei.
Was mit den Ungeimpften in den Heimen passiert, steht noch in den Sternen. Der Bundesrat lockerte die Maskenpflicht explizit nur für geimpfte Heimbewohner. Führt das nun zu einer Zweiklassengesellschaft, in der Geimpfte mehr Rechte haben als Ungeimpfte? Die Behörden der Kantone äusserten sich dazu noch nicht. Doch die Gefahr ist gross, dass sie die Verantwortung auch in dieser Frage an die Heimleiter abschieben werden.
Mehr Freiheiten, mehr Wohlbefinden
Mit ihrem Kurs bisher gut gefahren sind Heime, die ihren Bewohnern mehr Freiheiten einräumen, als das Bund und Kantone wollen. Im Gespräch mit dem K-Tipp sagen alle Heimleiter, sie hätten seit Beginn der Pandemie keine erhöhten Sterberaten verzeichnet. Eine Heimleiterin führt mit Stolz an, in ihrem Heim habe es in all den Monaten nicht eine einzige interne Covid-Ansteckung gegeben. Und keinen einzigen Todesfall an oder mit Covid.