Mehr als ein Drittel der Lehrverträge in der Gastronomiebranche wird vorzeitig aufgelöst – so die Zahlen des Arbeitgeberverbands Gastrosuisse. Im ersten Lehrjahr liegt die Quote sogar bei 55 Prozent. In erster Linie steigen Kochlehrlinge aus. Zum Vergleich: In allen anderen Branchen beträgt diese Quote durchschnittlich rund 20 Prozent.
Schwierigkeiten mit den Ausbildnern, mangelnde Ausbildung und Überforderung der Lehrlinge: Das sind in der Gastronomie die Hauptgründe für den Lehrabbruch. Das ergab eine Umfrage von Gastro-suisse. Vor allem minderjährige Lehrlinge haben zu lange Arbeitstage. Damit missachten die Gastronomiebetriebe die Jugendschutzverordnung des Arbeitsgesetzes und die «Vereinbarung für Lernende im Schweizer Gastgewerbe».
Vier Inspektoren für 35 000 Betriebe
Kontrolliert wird nur selten. Für die Kontrollen sind die Kantone zuständig. Die Arbeitsinspektorate sollten die Betriebe überpüfen. Sie haben allerdings keine Vorgabe, wie oft sie kontrollieren müssen. Das Inspektorat ist jedoch verpflichtet, bei Beschwerden einzugreifen. Es kann Anzeige erstatten oder Bussen gegen diejenigen Gastronomiebetriebe verhängen, die sich nicht ans Arbeitsgesetz halten. So lautet die Theorie.
Fakt ist: Es gibt zu wenig Personal. In der Stadt Zürich zum Beispiel sind vier Inspektoren für 35 000 Betriebe aller Branchen zuständig. Gemäss Zahlen des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) erstatteten die Kantone 2014 über alle Branchen hinweg 17 Anzeigen wegen Verstössen gegen die Arbeits- und Ruhezeiten. In fünf Fällen wurde ein Busse verhängt.
Lehrling darf maximal 9 Stunden arbeiten
Andererseits sollten Ausbildungsberater und Berufsinspektoren der kantonalen Berufsbildungsämter die Lehrbetriebe besuchen. Sie müssten prüfen, ob die gesetzlichen Bestimmungen des Lehrlingsvertrags eingehalten werden und ob die Qualität der Ausbildung stimmt. Hier zeigt sich aber das gleiche Bild: Im Kanton Zürich ist ebenfalls nur ein einziger Ausbildungsberater für die 715 Betriebe mit Kochlehrlingen zuständig: Im letzten Jahr besuchte er 132 Gastronomiebetriebe.
Auch in anderen Kantonen ist jeweils nur ein Ausbildungsberater für Betriebe mit Kochlehrlingen zuständig. Im Kanton Basel-Stadt beaufsichtigt dieser 90 Betriebe, im Kanton Aargau 160, im Kanton Luzern 196 und im Kanton St. Gallen 260. Im Kanton Bern gibt es zwei Ausbildungsberater für 470 Betriebe mit Kochlehrlingen.
Hier die Vorschriften für Gastro-Betriebe, die minderjährige Lehrlinge beschäftigen:
- Maximal 9 Stunden tägliche Arbeitszeit.
- Beschäftigung bis um 23 Uhr erlaubt, höchstens zehn Mal pro Jahr bis morgens um 1 Uhr.
- Zwischen Arbeitsende und -beginn müssen mindestens 12 Stunden liegen.
- Anspruch auf mindestens 12 freie Sonntage pro Jahr.
- Am Tag vor der Berufsschule Arbeitszeit höchstens bis 20 Uhr.
Für Kochlehrlinge über 18 Jahre gelten folgende Bestimmungen:
- Am Tag, der als halber Ruhetag gilt, darf nicht mehr als 5 Stunden gearbeitet werden.
- Nach dem Besuch der Berufsschule darf kein Arbeitseinsatz mehr im Betrieb erfolgen.
- Tägliche Ruhezeit von mindestens 11 aufeinanderfolgenden Stunden.
- Die Arbeitswoche darf höchstens 5,5 Tage umfassen (nur ausnahmsweise 6 Tage).
Die Realität sieht anders aus, wie zwei dem K-Tipp vorliegende Berichte von Lehrlingen zeigen (siehe Kasten oben). Für Thomas Rüegg, der an der Berufsschule des Kantons Zürich angehende Köche unterrichtet, ist klar: «In den meisten Betrieben werden die Lehrlinge gut betreut und ausgebildet. In der Branche gibt es leider aber auch schwarze Schafe, die diese Situation aufgrund mangelnder Kontrolle zu ihrem Vorteil ausnützen.»
Lehrlinge im 1. Lehrjahr: «Es wird oft 23 Uhr»
Carla Traxler (Name geändert) aus Zürich, 16 Jahre alt, Ausbildung zur Köchin, 1. Lehrjahr. Arbeitet in einem Restaurant in der Stadt Zürich, das 7 Tage die Woche geöffnet hat:
«Schon im zweiten Monat meiner Lehre habe ich regelmässig länger als bis 23 Uhr gearbeitet. Vor allem das Putzen brauchte viel Zeit. Auch wenn ich bis 23.40 Uhr im Betrieb war, begann am nächsten Tag die Arbeit um 10.30 Uhr.
Am Tag vor der Berufsschule war ich eigentlich immer bis 22 Uhr in der Küche. Der Chef sagte mir, die Überstunden könne ich mit freien Tagen kompensieren. Doch ich musste immer nachfragen, bis ich frei bekam. Ich wies den Chef darauf hin, dass wir Lehrlinge pro Tag maximal 9 Stunden arbeiten dürfen. Er meinte nur, das sei Theorie, in der Praxis laufe es halt anders. Schliesslich sprachen meine Eltern mit ihm. Jetzt ist die Situation besser. Ich fühle mich nun psychisch und körperlich besser.»
Das sagt der Betrieb dazu: «In der Gastronomie gibt es unregelmässige Arbeitszeiten. Wenn viel los ist, verliert man manchmal den Überblick über die Arbeitszeiten der minderjährigen Kochlehrlinge. Wenn ein Koch krank ist, setzen wir die Lehrlinge als Ersatz ein. Wir schauen jetzt aber strikt auf die Einhaltung der Arbeitszeiten.»
Hans Jansen (Name geändert) aus Uster ZH, 19 Jahre alt, Ausbildung zum Koch, 1. Lehrjahr.
Er arbeitet im Zürcher Oberland in einem Restaurant, das einen Ruhetag hat:
«Regelmässig muss ich nach der Berufsschule im Restaurant arbeiten. Ich machte seit Lehrbeginn im August schon sehr viele Überstunden. Ich arbeite am Dienstag, Donnerstag und Freitag. Am Mittwoch besuche ich die Berufsschule, was als Arbeitstag gilt. Am Samstag und Sonntag habe ich jeweils einen halben Ruhetag und arbeite dann noch den restlichen halben Tag – gemäss Vertrag von 17 bis 22 Uhr, aber es wird dann oft 23 Uhr. Auch an den anderen Arbeitstagen bin ich häufig länger als bis 22 Uhr im Restaurant. Trotzdem beginne ich am nächsten Tag schon morgens um 9 Uhr wieder mit der Arbeit. Die Ruhezeit von 11 Stunden kann ich so nicht einhalten.
Mein Chef kümmerte sich am Anfang nicht richtig um die Ausbildung. Er zeigte mir nicht viel, und so habe ich nur wenig gelernt. Ich erklärte meinem Chef, dass ich ein Gespräch mit ihm und meinem Berufsschullehrer wünsche. Das wollte er nicht. Seither werden immerhin die Arbeitszeiten eingehalten.»
Das sagt der Betrieb dazu: «Wir haben das Problem erkannt und Umstellungen vorgenommen. Weitere Auskünfte geben wir nicht.»
Tipps: Wo Lehrlinge und Eltern Hilfe erhalten
- Bei Problemen im Lehrbetrieb können sich Lehrlinge an den Ausbildungsberater oder an den Berufsinspektor wenden. Beide behandeln den Fall vertraulich und kontaktieren den Arbeitgeber. Die Kontaktadressen findet man bei den kantonalen Berufsbildungsämtern.
- Bei groben Verstössen gegen das Arbeitsgesetz oder die Jugendarbeitsschutzverordnung können sich Lehrlinge ans kantonale Arbeitsinspektorat wenden.
- Ist ein Lehrbetrieb Mitglied bei der Berufsorganisation «Hotel & Gastro Union», hilft der interne Berater für Lehrlinge weiter, im Internet unter www.hotelgastrounion.ch/Rechtsberatung.