Die Qualität des Trinkwassers bereitet immer mehr Leuten Sorgen. Aus gutem Grund: Rund eine Million Schweizer konsumiert laut dem Bundesamt für Umwelt Wasser, das mehr oder weniger stark mit Pestiziden belastet ist.
Auch K-Tipp und «Saldo» wiesen in den vergangenen Jahren in verschiedenen Tests nach, dass sich im Hahnenwasser teils bedenkliche Dosen gesundheitsschädlicher Substanzen befinden (K-Tipp 1/2020, «Saldo» 6/2020). Das wollen viele Bürger ändern. Sie unterschrieben zwei Initiativen:
Die Trinkwasserinitiative fordert, dass nur noch diejenigen Landwirtschaftsbetriebe Subventionen erhalten, die keine Pestizide und keine importierten Futtermittel einsetzen. Zudem sollen Antibiotika nicht vorbeugend verwendet werden, sondern höchstens zur Behandlung kranker Tiere.
Die Pestizidinitiative will den Einsatz chemischer Pestizide verbieten sowie die Einfuhr von Lebensmitteln, die solche Pestizide enthalten oder mit Hilfe solcher hergestellt werden.
Beide Initiativen kommen im nächsten Jahr zur Abstimmung.
Zunehmend besorgt sind auch jene Fachleute, die sich tagtäglich für die Reinheit des Trinkwassers einsetzen: die Wasserversorger aus Gemeinden und Kantonen. Vertreter dieser Verbände setzten sich bisher aktiv für ein Ja zur Trinkwasser- und zur Pestizidinitiative ein. Das passt dem Bundesamt für Umwelt nicht, wie Recherchen des K-Tipp zeigen.
Bundesamt droht Wasserexperten
Im März dieses Jahres berief das Bundesamt für Umwelt eine Sitzung ein. Am Tisch sassen Vertreter des Vereins des Gas- und Wasserfaches, des Verbandes der Abwasser- und Gewässerschutzfachleute und des ETH-Wasserforschungsinstituts Eawag. An der Besprechung ordnete Stephan Müller vom Bundesamt an, dass sich die Verbände nicht mehr öffentlich für die Trinkwasser- und die Pestizidinitiative starkmachen dürfen. Es gehe nicht an, dass der Bundesrat die Nein-Parole beschliesse und gleichzeitig Verbände finanziere, die eine gegenteilige Parole vertreten.
Müller drohte, den Verbänden den Geldhahn zuzudrehen, falls sie die Initiativen öffentlich befürworten. Dies bestätigen dem K-Tipp mehrere gut unterrichtete Quellen. Das Bundesamt verpasste also den höchsten Wasserschützern einen Maulkorb.
Das kam bei den betroffenen Institutionen nicht gut an: «Aus demokratischer Sicht ist das verwerflich», bringt es ein Wasserschützer auf den Punkt.
Bereits Bundesrat Parmelin intervenierte
Die Intervention des Bundesamts wirft Fragen auf: Hat es im Auftrag von Bundesrätin Sommaruga gehandelt, der dieses Amt unterstellt ist? Nein, sagt ihr Generalsekretariat. Es sei über den ungewöhnlichen Schritt des Amts nicht informiert gewesen.
Bereits 2019 verpasste Bundesrat Guy Parmelin den Wasserschützern der Eawag einen Maulkorb. Diese durften nicht sagen, wie stark Pestizide die Wasserqualität gefährden.
Das Bundesamt für Umwelt finanziert zurzeit beim Verband der Abwasser- und Gewässerschutzfachleute mehrere Stellen. Diese erarbeiten Normen und Richtlinien für die Gesetzgebung.
Vertreter des Bundesamtes sitzen auch in den Vorständen der Wasserverbände. Diese Verstrickung wird stets problematisch, wenn es um Politik geht.
Dabei hätte die Bundesverwaltung gemäss Artikel 76 der Bundesverfassung ausdrücklich den Auftrag, für den Schutz der Wasservorkommen und die Abwehr schädigender Einwirkungen zu sorgen.
Die Drohung des Bundesamts für Umwelt an die Verbände verfehlte ihre Wirkung nicht: Noch vor einem Jahr bekannte sich der Verband der Abwasser- und Gewässerschutzfachleute öffentlich klar zur Trinkwasserinitiative.
Heute befürwortet der Verband eine parlamentarische Initiative, die nur eine schrittweise Reduktion des Pestizidrisikos ohne konkretes Ziel vorsieht – ein klar schwächerer Schutz.
Auch die zuständige Kommission des Verbandes der Trinkwasserversorger sprach sich vor einem Jahr noch einstimmig dafür aus, die beiden Initiativen öffentlich zu befürworten. Doch die Verbandsspitze lehnte das ab.
Drei langjährige Mitarbeiter, ausgewiesene Wasserspezialisten, verliessen darauf den Verband, wie die «Sonntags-Zeitung» berichtete. Den bekanntesten Vertreter, Roman Wiget, enthob der Vorstand gar all seiner Funktionen.
Wiget liess sich jedoch das Maul nie verbieten: «Wie soll sich ein Branchenverband raushalten aus der Diskussion, wenn jetzt zwei Initiativen mit direktem Bezug zum Trinkwasser vor der Abstimmung stehen?» sagte er gegenüber dem K-Tipp.
Das Bundesamt bestätigt seine Intervention und rechtfertigt sie damit, die Wasserverbände stünden für fachlich-technische Glaubwürdigkeit. Deshalb sei «eine politische Positionierung nicht angezeigt». Zur Drohung, bei Zuwiderhandlung und der Ja-Parole für die Initiativen die Bundesgelder zu stoppen, nahm das Amt nicht Stellung.