Michel Huissoud, in der Bundesverwaltung arbeiten 39 000 Leute. Bei der Finanzkontrolle sind 123 Angestellte tätig. Wie ist es möglich, mit so wenig Personal sicherzustellen, dass die Steuergelder wirksam verwendet werden?
Man muss sich von der Illusion lösen, dass wir alles kontrollieren können. Wir können nur Stichproben machen.
Die Bundesverwaltung kauft jedes Jahr für über 6 Milliarden Franken Waren und Dienstleistungen ein – die Hälfte davon ohne öffentliche Ausschreibung. Wird das Geld sorgfältig ausgegeben?
Es wird besser. Der Bund kauft zwar bei einigen «Hoflieferanten» immer noch ohne Ausschreibung ein. Doch dies wird immer schwieriger. Wir kontrollieren regelmässig alle grösseren Ausgaben des Bundes und veröffentlichen die Berichte. Zudem machen auch der Preisüberwacher und Medien wie der K-Tipp eine wichtige Arbeit. Beim Bund bewegt sich meist nur unter Druck etwas.
Bei der aktuell grössten geplanten Ausgabe scheint der Bundesrat nicht sehr genau hinzuschauen. Die Finanzkontrolle kritisierte, dass im Vertrag mit den USA über den milliardenteuren Kauf der Kampfjets F-35 der definitive Preis nicht fixiert ist. Hat dies etwas bewirkt?
Ich hoffe es, der Vertrag ist noch nicht unterschrieben. Da kann man nachbessern. Zudem sollte bei diesen Kampfflugzeugen die Wirksamkeit des Kaufs grundsätzlich überprüft werden. Sind solche Kampfjets in der heutigen Situation tatsächlich die wirksamsten Waffen?
Die Finanzkontrolle ist auch für die Sozialversicherungen zuständig. Für die meisten Haushalte sind die hohen Krankenkassenprämien ein grosses Problem. Konnte die Finanzkontrolle in den letzten 20 Jahren prämiensenkend eingreifen?
Das Bundesamt für Gesundheit sollte bei jeder neuen medizinischen Behandlung überprüfen, ob sie wirksam ist. Als der Bund diese Überprüfungen vor einigen Jahren einführte, ging man von einem Sparpotenzial von einigen Milliarden Franken aus. Wir haben dies im letzten Jahr kontrolliert und mussten feststellen, dass nahezu nichts eingespart wurde.
Die Finanzkontrolle darf nur Berichte veröffentlichen und Empfehlungen aussprechen, sie hat keine Sanktionsmittel zur Verfügung. Besteht hier nicht Handlungsbedarf?
Nicht unbedingt. Ich habe inzwischen gelernt: Die Bundesverwaltung ist wie ein Tanker – sie kann ihre Richtung nur langsam ändern. Es braucht Geduld – und nicht Sanktionen. Klar ist: Der Einfluss der Lobbys ist gross, National- und Ständeräte sind oft auch Angestellte des Bauernverbands, der Krankenkassen und so weiter. Das zeigt die Liste der Interessenbindungen von Parlamentariern.
Die Finanzkontrolle hat vor Jahren dem Bundesamt für Gesundheit empfohlen, dass Arzt- und Spitalrechnungen so gestaltet sind, dass Patienten sie verstehen und wirksam kontrollieren können. Geändert hat sich nichts. Weshalb?
Die Arzt- und Spitalrechnungen müssten per Post zum Patienten nach Hause geschickt werden. Doch weder die Spitäler noch die Ärzte wollen das. Nur der Patient weiss, ob er zum Beispiel fünf oder zehn Mal beim Physiotherapeuten war. Die Kontrolle wäre technisch problemlos möglich: Bevor die Krankenkasse Spitäler und Ärzte bezahlt, müsste der Patient sein Okay geben. Doch die Involvierten wollen diese Kostenkontrolle nicht.
Die Finanzkontrolle darf bei privaten Versicherungsgesellschaften wie Axa oder Zurich überprüfen, ob die Prämien für die obligatorische Unfallversicherung gerechtfertigt sind. Aber Ihre Behörde darf ausgerechnet die staatliche Unfallversicherung Suva nicht überprüfen. Warum?
Es ist tatsächlich nicht einsichtig, dass wir die Finanzströme der Suva, einer gesetzlich vorgeschriebenen Unfallversicherung, nicht kontrollieren dürfen – und dies, obwohl die Suva sogar noch ein grösseres Vermögen hat als die AHV. Die Suva veröffentlicht nicht einmal den internen Revisionsbericht. Die Organe der Suva, wie Verwaltungsrat und Geschäftsleitung, haben offenbar kein Interesse an Transparenz. Auch die SRG dürfen wir nicht kontrollieren, obwohl es sich bei den Radio-und- TV-Gebühren um Steuergelder handelt. Die Gesetze sehen es so vor.
Finanzminister Ueli Maurer wollte erreichen, dass die Finanzkontrolle die Bundesbetriebe wie Post, SBB oder Ruag nicht mehr kontrolliert. Weshalb braucht es die unabhängige externe Aufsicht durch die Finanzkontrolle?
Ein Beispiel: Mehrere Jahre lang hat die Postauto AG ihre Buchhaltung manipuliert und dadurch von Bund und Kantonen – also den Steuerzahlern – 78,3 Millionen Franken zu viel an Subventionen kassiert. Die externen Prüfer der Revisionsgesellschaft KPMG hätten von den Manipulationen in der Buchhaltung der Postauto AG wissen müssen. Externe Prüfer schauen nur, ob alles formal richtig verbucht ist. Sie prüfen nicht, ob die Ausgaben notwendig und wirtschaftlich sind. Auch bei der Ruag, der ehemaligen Waffenfabrik des Bundes, fand die Finanzkontrolle heraus, dass sie der Armee jahrelang zu hohe Rechnungen ausstellte – auch auf Kosten der Steuerzahler.
Post und SBB schliessen immer mehr Filialen und Schalter, die SBB will zurzeit Schnellzüge aus dem Taktfahrplan streichen (K-Tipp 13/2022). Hat die Finanzkontrolle dazu etwas zu sagen?
Die Haltung des Finanzdepartements war lange folgende: Der Bundesbetrieb muss in erster Linie rentieren. Diese Gewinnerwartung des Bundes an die SBB oder die Post sollte man überdenken. Der Service public ist nicht primär da, um viel Geld zu verdienen. Am Schluss bezahlt dies der Konsument in Form von überhöhten Preisen. Das kommt einer indirekten Steuer gleich. Die Volksinitiative Pro Service public wollte dies verhindern, wurde aber abgelehnt. Doch die Diskussion ist nicht erledigt.
Die EU hat schon vor fünf Jahren Telecomgebühren fürs Roaming verboten. Die Schweizer Konsumenten zahlen dafür Jahr für Jahr Hunderte von Millionen Franken. Haben Sie dagegen je etwas unternommen?
Nein. Denn die Swisscom verweigerte uns früher den Zugang zu Dokumenten. Zurzeit läuft aber eine erneute Prüfung bei der Swisscom. Und jetzt haben wir Zugang zu den Dokumenten. Ein Fortschritt.
Stossen Sie bei Ihren Untersuchungen öfters auf Widerstand?
Ja. Der Widerstand gegen mehr Kontrolle kommt von den geprüften Stellen, also der Verwaltung, und vom Bundesrat. Das Parlament unterstützt unsere Arbeit.
Die Finanzkontrolle kostet die Steuerzahler jährlich rund 32 Millionen Franken. Sparen Sie dieses Geld durch Ihre Untersuchungen wieder ein?
Ja. Allein unsere Preisüberprüfungen im letzten Jahr führten zu Einsparungen von rund 10 Millionen Franken. Mit Korrekturen bei der Kurzarbeitsentschädigung wurden ebenfalls rund 10 Millionen eingespart. Und beim Zoll konnten wir 25 Millionen einsparen. Doch gegenüber vergleichbaren Ländern wie Österreich ist die Finanzkontrolle der Schweiz ein Zwerg.
Jeder kann Missstände melden
Die Eidgenössische Finanzkontrolle überprüft neben der Bundesverwaltung auch die Verwendung von jährlich über 40 Milliarden Subventionsgeldern. Sie unterhält eine Meldeplattform für «schädigendes Verhalten in der Bundesverwaltung, bundesnahen Organisationen oder bei Subventionsempfängern». Jeder Bürger kann unter Whistleblowing.admin.ch anonym Missstände melden.
Im vergangenen Jahr gingen 402 Meldungen ein. Einige Hinweise betrafen zu Unrecht bezogene Kurzarbeitsentschädigungen. So konnte der Bund 10 Millionen Franken einsparen – dank den Whistleblowern.