Evamaria Rechsteiner (Name geändert) aus Bern träumt von einer Lehre als Informatikerin. Im letzten Jahr klappte es nicht mit einer Lehrstelle.
Deshalb hängte Rechsteiner ein 10. Schuljahr an und suchte weiter. Doch sie fand erneut keine Lehrstelle. Das Problem: Sie musste fast allen Betrieben den Eignungstest Multicheck mitschicken, der ihr misslungen war.
Schliesslich erhielt sie das Angebot, die Lehre an einer privaten Computerschule zu beginnen. Kosten: 34'000 Franken. Diesen Betrag konnten ihre Eltern nicht aufbringen. Nach langem Suchen hatte Rechsteiner aber Glück: Sie fand vor kurzem eine Lehrstelle bei einem Betrieb, der keinen Multicheck verlangt.
Tausende von Lehrstellen noch offen
Laut Anita Decian, Beraterin im Berufsinformationszentrum Uster ZH, kommt es nicht selten vor, dass Jugendliche keine Lehrstelle für ihren Wunschberuf finden. Trotzdem sagt Decian: «Wer eine Lehre machen möchte, wird auch jetzt noch fündig.»
Ende Mai waren zum Beispiel auf der Plattform Berufsberatung.ch noch rund 20'000 Lehrstellen offen. Im April suchten laut dem Nahtstellenbarometer des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation noch 13'000 Jugendliche eine Ausbildungsstelle.
Gemäss dem Berufsbildungsportal Yousty.ch gibt es vor allem in den Branchen Hotellerie und Gastronomie sowie in handwerklichen Berufen wie Maurer oder Fachmann Betriebsunterhalt noch viele offene Stellen.
Auch im Detailhandel waren Ende Mai schweizweit noch rund 1700 Lehrstellen zu vergeben. Schwieriger ist die Situation bei anderen Branchen. Für eine kaufmännische Ausbildung gab es Ende Mai noch knapp 600 offene Lehrstellen, für Informatiker noch rund 100.
Tipps für die Lehrstellensuche
- In verwandten Berufen suchen: Das Bildungssystem in der Schweiz ist sehr durchlässig. Oft ist die Weiterbildung zum Wunschberuf auch später noch möglich. Wer etwa keine Lehrstelle als Informatikerin findet, könnte eine Lehre als Elektronikerin, Automatikerin oder Gebäudeinformatikerin machen und sich nach der Lehre Richtung Informatik weiterbilden. Tipp: Das Berufsbildungsportal Yousty.ch hilft bei der Suche nach verwandten Berufen. Dort können Jugendliche gratis den Test «Berufs-Finder» machen. Er dauert lediglich drei Minuten. Der Test zeigt alle Berufe an, die zu den eigenen Interessen passen. Dabei werden stets auch verwandte Berufe angegeben. Zeigt der «Berufs-Finder» zum Beispiel, dass Fachfrau Apotheke passend wäre, kann man auch die verwandten Berufe medizinische Praxisassistentin oder Dentalassistentin anschauen. In diesen Berufen gab es auf Yousty.ch Ende Mai noch mehr freie Lehrstellen als für das Profil Fachfrau Apotheke.
- Beratung in Anspruch nehmen: Die Fachleute in den Berufsbildungszentren kennen viele mögliche Wege zu einer Lehrstelle. Laut Anita Decian ist es jetzt noch nicht zu spät, sich für eine Beratung anzumelden. Adressen von Stellen gibt es unter Berufsberatung.ch/dyn/show/8242.
- Viele Bewerbungen einreichen: Es kann sich lohnen, auch Firmen Bewerbungen einzureichen, bei denen keine Lehrstellen angeboten werden. «Grosse Betriebe mit vielen Lehrstellen schreiben nicht jede Stelle einzeln aus», sagt Decian. «Ist etwa jemand abgesprungen, der die Gymiprüfung geschafft hat, kann es gut sein, dass der Betrieb noch spontan eine Stelle vergibt.»
- Lehre auf schulischem Weg absolvieren: Im vergangenen Jahr entschieden sich rund 3700 Jugendliche für eine schulisch organisierte Grundbildung. Dabei drückt man zuerst die Schulbank und absolviert erst gegen Ende der Lehrzeit ein Praktikum. Es gibt zahlreiche private Schulen. Nachteil: Kaufmännische Ausbildungen etwa kosten häufig mehrere Zehntausend Franken. Zwar sind auch für Privatschulen Stipendien erhältlich. Stiftungen bieten ebenfalls Hilfe. Doch meistens bleibt ein grösserer Betrag an den Familien hängen. Anita Decian sagt: «Wer einen solchen Weg in Betracht zieht, sollte vorher unbedingt in der Schule schnuppern und prüfen, ob diese Berufsausbildung passt.»
Für den Eignungstest kann man sich vorbereiten
Der Multicheck ist ein Eignungstest der Firma Gateway Solutions AG in Bern. Viele Lehrbetriebe verlangen den Multicheck bei einer Bewerbung. Er ist teuer: Der Test kostet Jugendliche bis zu 100 Franken (K-Tipp 16/2021).
Viele Schülerinnen und Schüler absolvieren den Test unvorbereitet und sind dann von der Art der Aufgaben und vom Zeitdruck überfordert.
Berufsberaterin Anita Decian empfiehlt deshalb, sich gut auf den Test vorzubereiten: «In vielen Berufsinformationszentren können die Jugendlichen gratis üben.»
Das Unternehmen Colunis Group GmbH aus Thalwil bietet zudem unter Mymulti.ch Übungsmaterial für die verschiedenen Tests an. Lernkarten gibt es ab 50 Franken, Prüfungssimulationen ab 95 Franken.
Gut zu wissen: Längst nicht alle Unternehmen verlangen bei Bewerbungen den Multicheck-Test.