Die Trinkwasserinitiative fordert, dass nur noch jene Bauern Geld vom Staat bekommen, die auf Pestizide verzichten, keine Antibiotika vorbeugend einsetzen und nur so viele Tiere halten, wie sie ohne Futtermittelimporte ernähren können. Mit der Annahme der Initiative würde die Überdüngung und Verschmutzung des Trinkwassers, der Bäche und Seen abnehmen. Am 13. Juni wird über die Initiative abgestimmt.
Jetzt stellt sich ausgerechnet das höchste Gremium der Biobauern gegen die Volksinitiative. Das ergibt eine Recherche von K-Tipp und «Kassensturz». Der Vorstand empfiehlt, an der Delegiertenversammlung am 14. April die Nein-Parole zu beschliessen.
Das konnte Karl Schefer, Leiter des Bio-Wein-Versandhändlers Delinat, erst nicht glauben. In einem Brief an den Vorstand schrieb er Anfang Februar: «Wir gehen davon aus, dass diese Information nur falsch sein kann.»
Doch die Information war richtig. Bio Suisse begründet gegenüber Schefer die Ablehnung einer pestizidfreien Landwirtschaft wörtlich so: «Bei einem Ja ist davon auszugehen, dass die grosse Mehrheit der Grünlandbetriebe auf Bio umstellen wird. Eine massive Überversorgung der Märkte mit Bio-Milch und -Fleisch würde in diesem Fall das heute faire Preisgefüge gefährden.»
Im Klartext heisst das: Wenn alle Bauern biologisch wirtschaften, wäre die hohe Marge auf Bio-Lebensmitteln nicht mehr zu rechtfertigen. So argumentiert der Vorstand von Bio Suisse auch in einem Schreiben, das er seinen Delegierten schickte.
Happiger Aufschlag für Bio-Produkte
Tatsächlich zahlen Konsumenten für Bio happige Preisaufschläge. Vor zwei Jahren zeigte ein K-Tipp- Preisvergleich: Bio-Produkte kosten bei Coop durchschnittlich zweieinhalb Mal so viel wie konventionelle Lebensmittel (siehe K-Tipp 13/2019). Daher überrascht es nicht, dass viele Konsumenten zwar Bio wollen, aber am Schluss dann doch das viel günstigere konventionelle Produkt kaufen.
Seit Jahren kritisieren K-Tipp und «Saldo» zudem die hohen Margen: Die Grossverteiler, die mehr als zwei Drittel aller Bio-Produkte verkaufen, schröpfen Konsumenten, die kein Gift essen wollen. Sie haben die höchsten Margen in der Wertschöpfungskette vom Bauern bis zum Käufer. Zu diesem Schluss kam ein Marktbericht des Bundesamts für Landwirtschaft bereits 2014.
Karl Schefer von Delinat findet es verwerflich, dass der Bio-Suisse-Vorstand nun befürchtet, das Privileg hoher Preise zu verlieren: «Das ist ein Verrat an der Grundidee.»
Bio-Bauer Markus Bucher aus Grossaffoltern BE kritisiert die Haltung seines Vorstands ebenfalls: Das Privileg, möglichst hohe Preise zu erzielen, könne nicht das wichtigste Ziel sein. Bucher: «Wir können nicht unsere Lebensgrundlage weiter zerstören.» Er setzt sich deshalb für die Trinkwasserinitiative ein.
Ebenfalls keine Bedenken, in einem «Bio-Land Schweiz» zu wenig zu verdienen, hat der Bio-Bauer Stephan Jaun aus dem bernischen Wattenwil. Er vermarktet Fleisch und Gemüse direkt an private Haushalte und die Gastronomie. Er glaubt, dass die Trinkwasserinitiative im Bio-Sektor einen «Erneuerungsschub auslöst und nicht zu tiefen Einkommen führt».
Tiefere Preise würden Umsatz erhöhen
Der Bio-Umsatz stieg im vergangenen Jahr weiter – und zwar um einen Fünftel. Wenn Bio-Preise um nur 10 Prozent tiefer wären, würden aber noch viel mehr Konsumenten «Bio» kaufen. Das zeigt eine Studie der eidgenössischen Forschungsanstalt Agroscope, die im Auftrag des Schweizer Tierschutzes im vergangenen Jahr erstellt wurde. Fazit der Untersuchung: Es würden 27 Prozent mehr Bio-Rindfleisch und 32 Prozent mehr Bio-Schweinefleisch verkauft.
Mehr Angst vor günstigeren Bio-Lebensmitteln und damit tieferen Margen dürfte Grossverteiler Coop haben. Er stellt sich als wichtigster Akteur auf dem Bio-Markt gegen die Trinkwasserinitiative: 42 Prozent aller Bio-Produkte mit der Bio-Suisse-Knospe gehen über die Coop-Ladentische. Coop zahlt Bio Suisse jedes Jahr geschätzt zwischen fünf und sieben Millionen Franken Lizenzgebühren – das ist rund ein Drittel des Jahresbudgets von Bio Suisse (siehe Kasten).
Coop verneint Einflussnahme
Coop hinderte Bio Suisse an der Vergabe der Bio-Knospe an die Konkurrenten Aldi und Lidl, wie im vergangenen Jahr bekannt wurde.
Nutzte der Grossverteiler jetzt seine Marktmacht erneut aus, um den Bio-Suisse-Vorstand auf Kurs zu bringen? Coop schreibt: «Nein, das widerspricht unserem Partnerschaftsverständnis.» Coop gibt aber zu, mit Bio Suisse über die Trinkwasserinitiative gesprochen zu haben.
Ganz anders tönt es beim Bio-Suisse-Präsidenten Urs Brändli: «Ich habe dazu von Coop noch nie etwas gehört.»
Das ist Bio Suisse
Bio Suisse ist der Dachverband der knapp 7500 Bio- Knospe-Betriebe. Mitglieder des Vereins sind die Kantonalverbände der Bio-Bauern, aber auch Bio- Organisationen wie das biologische Forschungszentrum Fibl und Bioterra, der Zusammenschluss der Bio-Gärtner. Bio Suisse hatte 2019 ein Jahresbudget von rund 20 Millionen Franken. 12 Millionen nahm der Verband durch die Vergabe der Bio-Knospe ein.
Coop ist der wichtigste Grossverteiler, der Lebensmittel mit der Knospe verkauft. Die Schweizer Bio- Produkte der Grossverteiler Migros, Aldi und Lidl tragen andere Labels. Dennoch ist bekannt, dass sie in den meisten Fällen ebenfalls von zertifizierten Knospen-Betrieben stammen.