Brutalo-Filme: Wenn der Horror real wird
Wer über die Internetbörse Ricardo Gewaltfilme gekauft hat, muss mit einem Strafverfahren rechnen. Die Justiz hat mehrere tausend DVD-Käufer im Visier.
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K-Tipp 19/2005
16.11.2005
Otto Hostettler - otto.hostettler@ktipp.ch
Er löste eine Lawine aus: Ein Zürcher Gruselfilmfan bestellte im Herbst 2004 bei einem Versandhandel in Österreich mehrere DVD-Horrorfilme. Am Schweizer Zoll blieben die Filme wegen möglicher illegaler Gewaltdarstellungen hängen. Die Polizei rückte an, durchsuchte die Wohnung des Filmfans, nahm den Computer mit - und 430 DVD-Filme.
Der Verdächtige war aber nicht nur Filmkäufer, seit Dezember 2001 war er auf der Internet-Versteigerungsplattform von Ricardo.ch auch ein aktiv...
Er löste eine Lawine aus: Ein Zürcher Gruselfilmfan bestellte im Herbst 2004 bei einem Versandhandel in Österreich mehrere DVD-Horrorfilme. Am Schweizer Zoll blieben die Filme wegen möglicher illegaler Gewaltdarstellungen hängen. Die Polizei rückte an, durchsuchte die Wohnung des Filmfans, nahm den Computer mit - und 430 DVD-Filme.
Der Verdächtige war aber nicht nur Filmkäufer, seit Dezember 2001 war er auf der Internet-Versteigerungsplattform von Ricardo.ch auch ein aktiver Verkäufer: 2790-mal ist er unter dem Benutzernamen «Sternengel» aufgetreten. Die Kundschaft reagierte geradezu euphorisch auf sein Angebot.
Ein grosser Teil der «Sternengel»-DVD-Käufer hat nun selbst ein Verfahren am Hals. An die Adressen der Kunden kam die Bezirksanwaltschaft Uster, weil sie von Ricardo per Verfügung die Herausgabe der Kundendaten erzwang. Die Folge: über 100 Anzeigen, wie Bezirksanwalt Ulrich Krättli bestätigt. Angezeigt wurde auch Ricardo-User «Wolf». Anfänglich erinnerte er sich nicht einmal mehr daran, dass er vor drei Jahren bei «Sternengel» den Film «Tanz der Teufel» gekauft hatte.
«Tanz der Teufel» steht seit dem 18. Dezember 1989 auf einer unverbindlichen «Verbotsliste», die der Schweizerische Video-Verband zusammen mit der Stadtpolizei Bern Ende der 80er-Jahre aufsetzte und seither jährlich aktualisiert. Dafür übernehmen die Videohändler im Wesentlichen die Angaben der deutschen Filmwirtschaft.
SKS beschwert sich bei den Behörden
Seit National- und Ständerat vor 15 Jahren den so genannten Brutalo-Artikel eingeführt haben, weiss niemand genau, wie die nur allgemein formulierte Gewaltstrafnorm in der Praxis angewendet werden soll. Ein oberinstanzliches Urteil fehlt. Trotz der Liste der Videohändler gelangen erfasste Filme in den Verkauf und - wie etwa «Tanz der Teufel» - sogar ins Westschweizer Fernsehen. Figuriert ein Film nicht auf der Liste, kann er trotzdem illegal sein.
Der Fall «Sternengel» ist aber nur die Spitze des Eisbergs: Von einer anderen Untersuchungsbehörde wurde Ricardo inzwischen verpflichtet, Namen und Adressen von «weit über 10 000 Transaktionen» herauszurücken, bestätigt Eveline Duschletta, stellvertretende Ricardo-Geschäftsführerin. Die Internetbörse selbst weist jede Verantwortung von sich.
Aufgrund der verwirrlichen Situation für Filmkäufer beschwert sich nun die Stiftung für Konsumentenschutz (SKS) bei den kantonalen Justiz und Polizeidirektoren und beim Bundesamt für Polizei. Der Artikel 135 werde willkürlich angewendet, wirft die SKS den Behörden vor.
«Solche Waren wollen wir nicht verkaufen»
Auf die neueste Aktivität der Strafverfolgungsbehörde reagieren DVD-Käufer in Internetforen gereizt und grosse Anbieter nervös: Ex Libris listet im Online-Shop zwar Filme auf, die auf der besagten Verbotsliste stehen, bezeichnet sie aber als «zurzeit nicht lieferbar». Ex Libris schreibt: «Wir verkaufen weder über den Online-Shop noch in den Filialen DVDs mit strafrechtlich problematischen Inhalten.» Und bei City Disc sagt Geschäftsleiter Christian Fankhauser: «Wir wollen solche Waren nicht verkaufen.»
Das sagt das Gesetz
Mit dem so genannten Brutalo-Artikel hat der Bund 1989 Gewalt darstellende Ton- oder Filmaufnahmen unter Strafe gestellt. Gemäss Artikel 135 des Strafgesetzbuches macht sich strafbar, wer «grausame Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder Tiere eindringlich darstellt», solche Aufnahmen beschafft, besitzt, herstellt, einführt, lagert, handelt oder sonst zugänglich macht. Strafbar ist auch, wer solche Filme im Internet bestellt oder herunterlädt (Download).
Das raten Juristen:
Nicht alles, was verkauft wird, ist auch legal. Weil Artikel 135 StGB die strafbare Handlung nicht weiter definiert, raten Juristen, im Zweifelsfall die Hände von solchen Filmen zu lassen. Wer Filme besitzt, die möglicherweise unter die Strafnorm fallen, tut gut daran, diese zu vernichten.
Hinweise
- Die Empfehlungsliste des Schweizerischen Video-Verbands ist erhältlich bei: Schweizerischer Video-Verband, Netzibodenstr. 23b, 4133 Pratteln
- Die Freiwillige Selbstkontrolle der deutschen Filmindustrie gibt Empfehlungen zur Alterskennzeichnung von Filmen sowie Einschätzungen zu Gewaltdarstellungen heraus: www.spio.de (Rubrik FSK anwählen).
- Mit einem Meldeformular kann man der Koordinationsstelle für Internetkriminalität des Bundes zweifelhafte Internetseiten melden (auch anonym): www.cybercrime. admin.ch