Bundesgericht: Laien blitz en meistens ab
Jeden Tag reichen fünf bis zehn Leute beim Bundesgericht eine Beschwerde ein – ohne Anwalt. Ihre Erfolgschancen sind minim. Und oft müssen sie noch hohe Gerichtsgebühren zahlen.
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K-Tipp 08/2013
24.04.2013
Ernst Meierhofer
Laut offizieller Statistik verzeichnete das Bundesgericht im Jahr 2012 7871 Eingänge. Daraus resultierte in rund einem Drittel der Fälle ein sogenanntes «Nichteintreten». Das heisst: Die Beschwerde wurde gar nicht inhaltlich beurteilt, sondern ohne weitere Begründung aus formellen Gründen abgewiesen.
Eine Mehrheit dieser Nichteintretens-Entscheide geht auf das Konto von Laien. Denn wenn Laien ihren Gerichtsfall ohne fachkundige Hilfe eines...
Laut offizieller Statistik verzeichnete das Bundesgericht im Jahr 2012 7871 Eingänge. Daraus resultierte in rund einem Drittel der Fälle ein sogenanntes «Nichteintreten». Das heisst: Die Beschwerde wurde gar nicht inhaltlich beurteilt, sondern ohne weitere Begründung aus formellen Gründen abgewiesen.
Eine Mehrheit dieser Nichteintretens-Entscheide geht auf das Konto von Laien. Denn wenn Laien ihren Gerichtsfall ohne fachkundige Hilfe eines Anwalts ans oberste Gericht ziehen, ist das Scheitern praktisch programmiert. Einige Beispiele:
- «Zwei Ellen»: Das Obergericht des Kantons Schaffhausen verweigerte einer Frau Sozialhilfe. Sie reichte beim Bundesgericht Beschwerde ein. Das Argument der Frau: ihre Menschenrechte seien verletzt worden, und das Obergericht habe «mit zwei Ellen» gemessen. Das Bundesgericht ist auf die Beschwerde nicht eingetreten.
- «Grimmige Grimasse»: Eine Zürcherin beschwerte sich beim Bundesgericht, weil sie für das Überfahren eines Rotlichts mit 300 Franken gebüsst worden war. Sie brachte vor, beim Obergericht sei sie nicht angehört worden. Die Richter hätten ihre Ausführungen «mit grimmigen Grimassen» abgebrochen. Sie hatte damit keinen Erfolg.
- «Mafia»: Ein Mann wurde im Tessin wegen der Alimente gepfändet. Er wehrte sich dagegen mit der Behauptung, die Tessiner Justiz sei «von der Mafia beherrscht». Das Bundesgericht trat auf den Fall nicht ein.
Anspruchsvolle Begründung
Alle diese Fälle zeigen: Pauschale Behauptungen und persönliche Empfindungen genügen nicht als Begründung. Das Bundesgericht verlangt plausible und stichhaltige Argumente, warum das Urteil des kantonalen Obergerichts falsch sein soll oder die geltende Rechtsordnung verletzt. Denn das Bun-desgerichtsgesetz schreibt vor, dass sich Beschwerdeführer mit den Erwägungen der Vorinstanz inhaltlich auseinandersetzen. Bei Nichteintreten schreibt das Bundesgericht deshalb häufig: «Der Begründungsmangel ist offensichtlich.» Kommt hinzu: Selbst wenn das Gericht nicht auf die Beschwerde eintritt, können hohe Gerichtsgebühren anfallen (siehe Kasten).
Neben der fehlenden Begründung gibt es noch weitere Hürden, die Laien oft zum Verhängnis werden:
- Falsche Instanz: Ein Glarner wehrte sich direkt beim Bundesgericht dagegen, dass die Staatsanwaltschaft nicht auf eine Anzeige von ihm eingetreten war. Damit hätte er sich zuerst ans kantonale Obergericht wenden müssen. Gerichtskosten in Lausanne: 800 Franken.
- Frist nicht eingehalten: Wer eine Beschwerde ans Bundesgericht einreichen will, muss das innerhalb von 30 Tagen tun. Sonst kann es teuer werden, selbst wenn die Richter auf den Fall an sich gar nicht eintreten. So musste ein Verkehrssünder 800 Franken zahlen, weil er seine Eingabe vier Tage zu spät auf die Post gebracht hatte.
- Teurer Rückzug: Ebenfalls ins Geld geht es, wenn es sich ein Laie anders überlegt und seine Beschwerde nachträglich zurückzieht. Das Bundesgericht verlangt in solchen Fällen zum Beispiel 500 Franken!
Der ehemalige Bundesrichter Hans Wiprächtiger bestätigt: «Ohne einen Anwalt oder eine andere rechtskundige Person haben es Laien vor Bundesgericht sehr schwer.» Wiprächtiger findet aber: «Oft sieht man bei Eingaben von Laien sofort, dass sie keine Chance haben. In solchen Fällen sollte das Bundesgericht gar keine oder nur eine geringe Gebühr verlangen.»
Hohe Gerichtsgebühren auch bei Nichteintreten
Auch für das Nichteintreten auf Beschwerden von Laien verlangt das Bundesgericht häufig bis 2000 Franken Gerichtsgebühr. Einige Beispiele:
- Ein Mann wurde wegen Rasens zu einer Busse von 600 Franken verurteilt. Er wehrte sich vor Bundesgericht mit dem Argument, er habe sich «in einer gefühlten Drucksituation» befunden. Die Lausanner Richter gingen darauf nicht ein und belegten den Mann mit Gerichtskosten von 2000 Franken. Gleich viel zahlte ein Parksünder, der sich mit untauglichen Begründungen gewehrt hatte.
- Ein Mann reichte Strafanzeige ein, weil er angespuckt wurde. Die kantonalen Behörden gingen darauf nicht ein. Auch das Bundesgericht lehnte das ab – und brummte dem Mann noch Gerichtskosten von 2000 Franken auf.
- Auch Steuerverfahren können ins Geld gehen, wenn Laien vor Bundesgericht eine Abfuhr erleiden. Beispiel: Ein Mann wurde in seinem Wohnkanton mit mehreren Ordnungsbussen (insgesamt fast 20 000 Franken) belegt, weil er seine Steuererklärungen nicht einreichte. Vor Bundesgericht wiederholte er nur die Argumente, die schon das kantonale Obergericht zerpflückt hatte. Gerichtskosten: 2000 Franken.
- Geht es um Betreibungen oder Pfändungen, kann das Scheitern ebenfalls teuer werden. 1500 Franken Gerichtskosten musste ein Mann zahlen, der die Aufhebung einer Betreibung verlangte. Sein Appell an die «Gerechtigkeitsmaxime bei der Urteilsfindung» wurde nicht erhört.
Wichtig: Zwar kann man bei einer Eingabe ans Bundesgericht die unentgeltliche Prozessführung beantragen, das heisst, dass man von den Gerichtskosten befreit wird. Doch solche Begehren haben bei Eingaben von Laien meist keinen Erfolg. Beurteilt das Bundesgericht die Beschwerde als aussichtslos, gibt es auch keinen Gerichtskostenerlass.