Ob Carameldessert, Schokoladendrink, Rahm, Glace oder Vegi-Schnitzel: Für viele Lebensmittel verwenden die Hersteller das Gelier- und Verdickungsmittel Carrageen (E407). Es steckt auch in manchen Bio-Produkten. Das Kohlenhydrat wird aus Rotalgen gewonnen und verhindert zum Beispiel, dass Rahm verklumpt.
Carrageen ist umstritten – auch wenn es in Lebensmitteln in der EU und der Schweiz zugelassen ist (Produktbeispiele siehe oben). Die kurzkettigen Moleküle dieses Zusatzstoffs stehen gemäss Studien im Verdacht, Blähungen, Allergien und sogar Krebs zu verursachen. Deshalb dürfen diese Moleküle nur 5 Prozent des verwendeten Carrageens ausmachen.
Die Risiken von Carrageen beschrieb unter anderem die Wissenschafterin Joanne Tobacman von der University of Iowa (USA). Für eine Übersichtsarbeit in der Fachzeitschrift «Environmental Health Perspectives» wertete die Fachärztin für innere Medizin im Jahr 2001 insgesamt 45 Studien aus. Tobacman hält auf Anfrage des K-Tipp daran fest, dass Carrageen in Lebensmitteln ein Risiko sei und deshalb nicht verwendet werden sollte. Ihre Übersichtsarbeit sei «nach wie vor eine gute Referenz».
«Datenlücken» und «Unsicherheiten»
Der wissenschaftliche Lebensmittelausschuss der Europäischen Kommission hingegen kam 2003 zum Schluss, Carrageen sei unbedenklich. Gleichzeitig empfahl er aber, den Stoff nicht für Säuglingsnahrung zu verwenden. Denn es sei unklar, welchen Einfluss das Carrageen auf den unreifen Darm und das Immunsystem von Babys hat.
Doch jetzt prüft die europäische Lebensmittelbehörde Efsa, ob Carrageen künftig auch in Säuglingsnahrung zugelassen werden soll. Die Behörde veröffentlichte im vergangenen Herbst einen Aufruf an Wissenschafter, um an zusätzliche Daten zu gelangen. Darin schreibt die Behörde, es gebe «Datenlücken bei der Risikobewertung» – und zwar für alle Altersgruppen. Zudem gebe es «Unsicherheiten bei biologischen und toxikologischen Daten». Und: Es werde eine «bestätigte Analysemethode» gesucht, um den Anteil der potenziell gefährlichen, kurzkettigen Moleküle im verwendeten Carrageen zu ermitteln.
Bis heute ist also offenbar unbekannt, wie viele der gefährlichen kurzkettigen Moleküle in einem Lebensmittel stecken. Die Behörden liessen demnach Carrageen zu, ohne über ausreichend zuverlässige Daten zu verfügen. Und trotz den jetzt eingestandenen «Unsicherheiten» darf die Industrie Carrageen vorläufig weiter einsetzen.
Bundesamt sieht keine Gefährdung
Grundsätzlich übernimmt die Schweiz bei Zusatzstoffen die Regeln der EU. Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit sieht keinen Handlungsbedarf. Es bestätigt zwar, dass die Datenlage «nicht ausreichend» sei. Trotzdem schreibt Sprecherin Nathalie Rochat dem K-Tipp, es bestehe nach aktuellem Wissensstand keine Gefährdung der Gesundheit. Auch Migros und Coop wollen vorläufig nicht auf Carrageen verzichten, wie sie auf Anfrage schreiben.
Anders sieht dies der deutsche Ernährungsmediziner Matthias Riedl. Dem «Südwestdeutschen Rundfunk» sagte er im Januar: «Das ist letztendlich ein Blackbox-Versuch an der Bevölkerung.» Anders gesagt: Die Konsumenten müssen für Industrie und Behörden Versuchskaninchen spielen.