Dem Verein «Freunde der Verfassung» geht das Covid-19-Gesetz zu weit. Er ergriff das Referendum – mit Erfolg: Am 13. Juni kommt das Gesetz zur Abstimmung. Es dürfe «keine undemokratische Dauervollmacht für den Bundesrat» geben, fordert der Verein. Folgt ihm das Stimmvolk, tritt der Erlass am kommenden 25. September ausser Kraft.
Das Covid-19-Gesetz gibt dem Bundesrat «besondere Befugnisse zur Bekämpfung der Covid-19- Epidemie». Und diese sind tatsächlich sehr gross. So kann die Regierung in diversen Bereichen eine Vielzahl an neuen Vorschriften verfügen – etwa in der Gesundheitsversorgung, bei den politischen Rechten, beim Arbeitsrecht und in vielen anderen Bereichen mehr. Sie darf etwa «medizinisch nicht dringend angezeigte Behandlungen» verbieten lassen.
Richtschnur bei der Anordnung von Massnahmen sind gemäss Covid-19-Gesetz die «verfügbaren, zeitlich und regional vergleichbaren Daten, die auf die Gefahr einer Überlastung des Gesundheitssystems, erhöhter Sterblichkeit sowie schwerer Krankheitsverläufe hindeuten». Diese Daten, auf die sich der Bundesrat stützt, waren und sind aber oft alles andere als solide, wie K-Tipp und «Saldo» mehrmals aufzeigten. Das gilt für Daten zu den «Fallzahlen», zur Zahl der Verstorbenen, zur Positivitätsrate, zur Auslastung der Intensivstationen oder zum R-Wert, der die Entwicklung der Pandemie anzeigen soll (K-Tipp 1/2021, 5/2021 und 7/2021, «Saldo» 19/2020 und 7/2021).
Ein Gesetz mit vielen Regelungen
Das Gesetz enthält zudem ein Sammelsurium an Regelungen und Massnahmen, darunter Entschädigungen für Kurzarbeit und bei Erwerbsausfall, Finanzhilfen für Unternehmen sowie Hilfspakete für Kultur, Sport und Medien. Damit reagierte der Bundesrat auf die Wirtschaftskrise, die seine rigorosen Dekrete zur Pandemiebekämpfung ausgelöst hatten.
Das Parlament verabschiedete das Gesetz am 25. September 2020. Diverse vom Bundesrat im Frühling 2020 per Notrecht erlassenen Massnahmen wurden ins Gesetz übernommen. Denn per Notrecht erlassene Dekrete der Regierung sind auf sechs Monate befristet. Das Parlament sorgte mit dem Gesetz dafür, dass der Bundesrat bezüglich Corona weiterhin über notrechtsähnliche Befugnisse ver-fügt.
Kritik von namhaften Rechtsexperten
Das stösst auf Kritik. Felix Uhlmann ist Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Uni Zürich. Er weist darauf hin, dass der Bundesrat laut Verfassung nur zu Notrecht greifen darf, «um eingetretenen oder unmittelbar drohenden schweren Störungen der öffentlichen Ordnung oder der inneren oder äusseren Sicherheit zu begegnen». Das Gesetz schreibt zur notrechtsähnlichen Machtausübung durch den Bundesrat aber einzig vor, dass sie für die Bewältigung der Pandemie «notwendig» sein müsse. Uhlmann: «Ich halte es für verfassungsrechtlich problematisch, wenn das Gesetz die Eingriffsschwelle senkt.» Der Zürcher Rechtsprofessor Andreas Kley bezeichnete das Covid-19-Gesetz schon vor Monaten als «verfassungswidrig» («Saldo» 13/2020).
Besonders heikel: Gestützt auf dieses Gesetz kann der Bundesrat Bestimmungen erlassen, die von Bundesgesetzen in zahlreichen Rechtsbereichen abweichen. Er wird damit selber zum Gesetzgeber, obwohl nach dem verfassungsrechtlichen Prinzip der Gewaltenteilung einzig das Parlament Gesetze erlassen darf.
Das Gesetz kommt in der Fassung vom 25. September 2020 zur Abstimmung. Seither hat das Parlament den Erlass zweimal ergänzt – unter anderem mit Erweiterungen und Präzisierungen zu den Härtefallhilfen. Auch beschloss es im Dezember höhere Kurzarbeitsgelder für Angestellte mit tiefem Lohn.
Würden all diese Bestimmungen, die nach dem 25. September ins Gesetz kamen, bei einem Nein ebenfalls hinfällig? Der Bundesrat behauptet das. Rechtsprofessor Uhlmann differenziert: Alle jene Artikel würden weiter gelten, die auch eigenständig, also ohne den ursprünglichen Erlass, Sinn machen.
Offen ist auch, wie rasch das Parlament ein neues Gesetz für die unbestrittenen Hilfsmassnahmen schaffen könnte, falls das Covid-19- Gesetz im September ausser Kraft treten sollte. Laut Uhlmann gehen in der Rechtswissenschaft die Meinungen dazu «weit auseinander». Der Bundesrat meint, dass dies Monate dauern und deshalb Arbeitsplätze gefährden und Firmen in den Konkurs treiben würde. Damit sagt er: Wer die Finanzhilfen nicht gefährden will, muss Ja sagen zum Covid-19-Gesetz – und damit auch zum grossen Machtzuwachs für die Regierung.
Corona-Pandemie: Die Zahlen sinken
Spitaleintritte, Belegung der Intensivpflegebetten, Todesfälle: Bei den wichtigsten Richtwerten für die Entwicklung der Corona-Pandemie sind die Zahlen im Sinkflug.
- Spitaleintritte: Für den 4. Januar meldete der Bund 184 Spitaleintritte im Zusammenhang mit Corona – das war der höchste Wert dieses Jahres. Am 9. Mai waren es noch 35 Spitaleintritte. Im 7-Tage- Durchschnitt sanken die Hospitalisierungen von 154 über den Jahreswechsel auf 40 in der ersten Maiwoche.
- Intensivpflegebetten: Die Höchstzahl an Covid-19-Patienten auf Intensivstationen betrug dieses Jahr 435, und zwar am 5. und 6. Januar. Am 11. Mai lagen noch 191 Covid-19-Patienten in Intensivpflegebetten.
- Todesfälle: Die Zahl der Todesfälle von positiv Getesteten sank von 73 (1. Januar) –dem bisherigen Höchststand im laufenden Jahr – auf 3 (10. Mai). Im 7-Tage-Durchschnitt ging sie von 73 über den Jahreswechsel auf 5 in der ersten Maiwoche zurück. Gesamthaft starben in der Schweiz seit Anfang Februar 2021 in jeder Woche weniger Menschen als in den entsprechenden Wochen der Jahre 2020 und 2019.
Der Bundesrat verschärfte seit Beginn dieses Jahres die Coronavorschriften zweimal – am 13. und am 27. Januar. Er begründete dies mit angeblich ansteckenderen und gefährlicheren Mutanten des Virus, die auf die Schweiz zukommen könnten, und mit einer möglichen dritten Welle. Die Regierung ordnete unter anderem eine Homeofficepflicht an und – wo das nicht möglich ist – eine Maskenpflicht am Arbeitsplatz.
Die Befürchtungen des Bundesrats bewahrheiteten sich nicht. Im Gegenteil: Seit Jahresbeginn gingen die Zahlen bei allen Richtwerten fast immer nur nach unten.
Der Bundesrat will die verschärften Massnahmen aber trotzdem nur zu einem Teil zurücknehmen: Homeoffice will er per Ende Mai einzig für jene Unternehmen von der Pflicht zur Empfehlung zurückstufen, die ihre Angestellten wöchentlich durchtesten. Die generelle Maskenpflicht bleibt bestehen.
Gesundes Essen und sauberes Wasser
Am 13. Juni kommen neben dem Covid-19-Gesetz weitere Vorlagen zur Abstimmung, darunter zwei Volksinitiativen zur Landwirtschaft.
- Trinkwasser-Initiative: Sie verlangt, dass nur noch jene Bauern Direktzahlungen aus der Bundeskasse erhalten sollen, die auf Pestizide sowie den vorbeugen den oder regelmässigen Einsatz von Antibiotika verzichten. Zudem dürfen Bauern nur so viele Tiere halten, wie sie «mit dem auf dem Betrieb produzierten Futter» ernähren können. Ziel ist eine sichere Versorgung der Bevölkerung mit gesunden Lebensmitteln und sauberem Trinkwasser.
- Pestizid-Initiative: Sie verlangt ein Verbot in dustrieller Pestizide in der Schweiz und ein Importverbot für Lebensmittel, bei deren Produktion solche Pestizide zum Einsatz kamen. Ziel ist es, Trinkwasser und Lebensmittel von gesundheitsschädlichen Stoffen zu befreien. Biologische Pestizide ohne chemische Giftstoffe wären weiterhin erlaubt.