Neue App warnt vor gefährlichen Produkten»: Mit diesen Worten lancierte der Bund Ende 2020 die Meldeplattform Recallswiss im Internet. Damit informieren diverse Behörden des Bundes über gefährliche Produkte, die im Umlauf sind. Doch eine K-Tipp-Recherche zeigt: Diese Informationen sind höchst lückenhaft.
Der K-Tipp durchforstete in einer Stichprobe 675 Rückrufe in der Europäischen Union seit November 2021 – und zwar nach Produkten, die auch in der Schweiz erhältlich sind. Dazu weitere 20 Warnungen von Herstellern. Das Resultat der Stichprobe: Auf Recallswiss fehlen viele dieser Rückrufe (siehe Beispiele).
Grundlage für Meldungen auf Recallswiss sind Warnungen von Behörden, die Produkte kontrollieren. Für elektrische Geräte ist etwa das Starkstrominspektorat zuständig, für Medikamente Swissmedic und für die Sicherheit am Arbeitsplatz die Suva, ausserhalb des Arbeitsplatzes die Beratungsstelle für Unfallverhütung. All diese Stellen leiten ihre Meldungen an das Büro für Konsumentenfragen weiter. Es hat den Auftrag, die Warnungen zu verbreiten und die Meldeplattform Recallswiss zu betreiben.
Hersteller müssen einverstanden sein
Warum wird dort aber nicht alles aufgeschaltet? Die zuständigen Bundesstellen nehmen zu den einzelnen Beispielen nicht Stellung. Sie schreiben nur, man gehe EU-Rückrufen «im Rahmen der verfügbaren Ressourcen» nach. Hersteller wie Importeure seien verpflichtet, gefährliche Produkte zu melden.
Doch selbst dann erscheinen Warnungen nicht sofort auf der Warn-App. Voraussetzung sei auch das Einverständnis der betreffenden Firma. Nur in dringenden Fällen sei eine Warnung auf Recallswiss ohne ihr Einverständnis möglich. Das bedeutet: Statt die Bevölkerung möglichst rasch vor Gefahren zu warnen, schützen die Behörden zunächst die Interessen der Industrie.
Deutsche Behörde informiert besser
Die deutsche Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin zeigt, dass es auch anders geht. Sie publiziert in ihrer Datenbank «Gefährliche Produkte» alle ihr bekannt gewordenen Rückrufe, Produktwarnungen und sonstigen Informationen zu gefährlichen Einzelprodukten. Die deutsche Behörde übernimmt auch Meldungen der Hersteller aus dem Internet. Laut Tobias Bleyer, Sprecher der Bundesanstalt, suchen die Mitarbeiter aktiv nach Rückrufen im Internet und überprüfen, ob diese die deutschen Konsumenten betreffen. Die deutsche Behörde veröffentlicht auch Rückrufe aus der Schweiz, weil diese auch «für den deutschen Markt von Bedeutung sein können».
Der K-Tipp publiziert Informationen über gefährliche Produkte regelmässig in der Rubrik «Rückrufe» (siehe Kasten). Die Redaktion entnimmt die Warnungen offiziellen Meldungen von Behörden und durchsucht zudem die Internetseiten von Herstellern sowie diverse Fachportale nach zurückgerufenen Produkten.
Nähere Informationen zu den sechs oben gezeigten mangelhaften Produkten finden Sie im Internet unter www.ktipp.ch/rueckrufe
Gefährliche Produkte: Keine oder zu späte Warnung
Verbrennungsgefahr
Bei der Fitbit Smartwatch Ionic kann der Akku überhitzen. Hersteller Fitbit warnte Anfang März, inklusive Schweizer Kontakt (Tel. 022 500 00 01). Keine Meldung hingegen gab es vom zuständigen Eidgenössischen Starkstrominspektorat auf der Schweizer Meldeplattform Recallswiss.
Absturzgefahr
Der deutsche Kletterausrüster Edelrid informierte im Februar über mangelhafte Schrauben bei einigen seiner Klettergurte: Sie können brechen und zu Abstürzen führen. Die Beratungsstelle für Unfallverhütung (BfU) verbreitete ihre Warnung via Recallswiss erst mehr als einen Monat später.
Krebsrisiko
Das Kinderbüchlein Kids-me Squeaky ist mit Schaumstoff gefüllt. Laut EU-Warnung vom Dezember 2021 enthält dieser einen Stoff, der als Krebsrisiko gilt. Der K-Tipp konnte das Büchlein bei Planethappy.ch einkaufen. Der Händler sagt, er habe nie eine Meldung erhalten. Auch der Bund warnte nie.
Explosionsgefahr
Das Nachtlicht Mr. Maria Miffy First Light für Kinder kann überhitzen und im Extremfall explodieren. Das gilt für Lampen mit Produktionsdatum 2017 und 2018. Der EU-Rückruf erfolgte Anfang März. In der Schweiz fehlt bis heute eine Warnung auf der Meldeplattform Recallswiss.
Erstickungsgefahr
Bei der Kinder-Trinkflasche Zéfal Little Z-350 können sich Kleinteile lösen. Am 10. Dezember 2021 gab es deshalb einen EU-Rückruf. Die Meldung auf Recallswiss erschien erst über einen Monat später – am 18. Januar 2022.
Verletzungsgefahr
Maisons du Monde meldete im Februar, bei seinem Spielbogen zum Anhängen von Spielsachen könnten sich Schrauben lockern. Es bestehe Verletzungsgefahr. Im Rückruf findet sich eine Schweizer Kontaktnummer (Tel. 043 547 81 90). Dennoch warnte Recallswiss nicht vor dem Produkt.
Mangelhafte Produkte: Geheimnistuerei statt Transparenz
Die Öffentlichkeit erfährt von vielen mangelhaften Produkten nichts, weil die Behörden sie «still» zurückrufen. Das heisst: Hersteller oder Importeure warnen Käufer eines gefährlichen Produkts direkt, ohne einen öffentlichen Aufruf. Nur: Viele Konsumenten kaufen im Internet oder im Ausland ein – und damit an offiziellen Vertriebskanälen vorbei.
Beispiel FFP2-Masken: Die Beratungsstelle für Unfallverhütung (BfU) und die Suva riefen in den vergangenen zwei Jahren 13 mangelhafte Schutzmasken «still» zurück, ohne deren Namen je zu publizieren. Der K-Tipp wollte wissen, um welche Masken es sich handelte, um die Leser zu informieren.
Suva und BfU lieferten darauf-hin dem K-Tipp eine Liste voller schwarzer Balken: Marke, Preis, Hersteller, Verkäufer – alle wichtigen Informationen waren abgedeckt.
Das passiert nicht zum ersten Mal: Der K-Tipp verlangte zum Beispiel 2015 die Liste von mangelhaften Wickelkommoden, für die es keinen öffentlichen Rückruf gab. Die Beratungsstelle gab die Angaben erst heraus, als das Bundesverwaltungsgericht dies auf Begehren des K-Tipp anordnete (K-Tipp 18/2021).
Nun sagt die BfU: Schutzmasken seien keine Wickelkommoden, deshalb müsse dieser Fall neu beurteilt werden.